Am Freitag steht die deutsche Boxhoffnung Abass Baraou vor der Möglichkeit, neuer Europameister zu werden, live auf DAZN.
Zugegebenermaßen hat sich das deutsche Boxen in den letzten Jahren stark verändert. Einst blickte man auf einen Boxboom in den 90ern zurück, der auch noch weit ins neue Jahrtausend ging. Spätestens nach dem Wegfall der letzten großen Weltmeister in diesem Land wie den Klitschkos, Abraham, Sturm, Huck usw. sah es düster für das hiesige Boxen aus. Wenn sich deutsche Athleten im Ausland versuchten, gab es zumeist überdeutliche Niederlagen – Boxer wie Jack Culcay blieben die Ausnahme. Zu dieser Zeit gab es jedoch auch schon etwas Licht am dunklen Horizont, beispielsweise kam der Name Abass Baraou (14-1) zunehmend auf. Ein technisch brillanter Boxer mit viel Offensivdrang, der durchaus über die Fähigkeiten verfügen könnte, um es irgendwann an die Spitze des internationalen Boxens zu schaffen – doch seitdem hat sich viel geändert.
Deutschland ist wieder ein Mittelpunkt von WM-Kämpfen
Als die letzten großen Stars des deutschen Boxens in der letzten Dekade allmählich von der Bildschirmfläche verschwanden, sah es düster aus. Keine TV-Verträge, kaum konkurrenzfähige Boxer im internationalen Vergleich, zu wenig Aufmerksamkeit im eigenen Land für die einst so populäre Sportart. Das Boxen geriet allmählich immer stärker in die Versenkung, was ein trauriger Prozess bedeutete, wenn man sich die Erfolge in der Vergangenheit vor Augen führte. Dieser Prozess des Niedergangs ist noch lange nicht endgültig gestoppt, aber es gibt seit geraumer Zeit Hoffnung auf Erfolg.
Wer hätte bitte gedacht, dass ein Michael Eifert (12-1) einen Final Eliminator-Kampf in Kanada nach Punkten gewinnen könnte und damit Pflichtherausforderer von Artur Beterbiev (20-0) wird? Wer hätte gedacht, dass Agit Kabayel nach einigen ruhigen Jahren 2023 so richtig aufdreht und als deutsches Schwergewicht international in aller Munde ist? Und wer hätte gedacht, dass Deutschland wieder Mittelpunkt einer Weltmeisterschaft wird, wo es ein deutscher Boxer noch schafft, einen Silbermedaillengewinner der olympischen Spiele von Rio fair nach Punkten zu bezwingen? Und es gab noch viele weitere Geschichten, die einem den Mund nicht mehr schließen ließen – wie beispielsweise die unfassbare Performance von Slawa Spomer (19-0) in Oberhausen gegen Milan Prat (23-1), der damit seine WM-Ambitionen unterstrichen hat.
Deutschland hat durchaus ein äußerst erfolgreiches Jahr 2023 verzeichnet, zumindest was einzelne Akteure betrifft. Der Trend setzt sich fort mit der anstehenden Weltmeisterschaft im April, wo Jack Culcay (33-4) die Gelegenheit bekommt, in die Fußstapfen von Gualtieri zu treten – doch vorerst wird ein anderer Akteur wieder auf die Bildfläche erscheinen.
Abass Baraou – vom Sorgenkind zum neuen Europameister?
Der deutsche Schützling Abass Baraou galt bei vielen Beobachtern als eine der heißesten Aktien im Profiboxen. Sein Aufbau verlief auch sehr positiv, wo er früh seine Qualitäten unter Beweis stellte und gute Siege einfuhr. Mit Baraou musste man rechnen, doch die Karriere versandete ein Stück weit in den letzten Jahren. Das begann zunächst mit der Eliminator-Niederlage gegen Jack Culcay, wo Baraou nicht unumstritten nach Punkten verlor. Promoter Sauerland (inzwischen Wasserman Boxing) hat den Kampf jedoch nicht veranstaltet bekommen, wodurch Baraou sozusagen auswärts antreten musste, was sich in einem engen Kampf rächte.
Auch im Nachgang zeigte sich Sauerland nur selten bereit, für Baraous zukünftigen Werdegang entsprechende Mittel bereitzustellen. Im Vorfeld sollte nämlich Baraou schon gegen Milan Prat einen Europameisterschaftskampf bestreiten, doch die Versteigerung gewann die französische Seite, wodurch Baraou in Frankreich den Kampf hätte bestreiten müssen – Verletzungen verhinderten jedoch diesen Kampf ohnehin. Auch in den großen Weltverbänden rutschte Baraou aus den Rankings und war kein wirkliches Thema mehr, das Versanden seiner Profikarriere drohte. Neben den hartnäckigen Verletzungssorgen war das eine Konstellation, die seinen unbestrittenen großen Fähigkeiten auch irgendwo nicht gerecht wurde – entsprechend entschied sich Baraou zu handeln. Er verließ Wasserman Boxing und zog nach Miami um, wo er sich dem Trainer Jorge Rubio anschloss. In Miami wollte er seine Boxkarriere wieder ankurbeln, ein Kampf in Orlando im Dezember erfolgte seitdem schon. Nun wird Baraou allerdings am Freitag beim alten Arbeitgeber zurückkehren und den Europameisterschaftskampf in Telford, England, bestreiten. Zudem wurde frisch verkündet, dass Baraou bei Wasserman einen neuen Vertrag unterzeichnet habe.
Sam Eggington – der ultimative Krieger
Wasserman Boxing veranstaltet den Kampfabend im Telford International Centre, wobei der große Europameisterschaftskampf zwischen Baraou und Sam Eggington (34-8) im Superweltergewicht das Haupthighlight darstellen wird. Sam Eggington gehört zu den populärsten Kämpfern in Großbritannien. Der Krieger hat in der Vergangenheit schon legendäre Schlachten geschlagen, beispielsweise gegen seinen Landsmann Ted „The Big Cheese“ Cheeseman (17-3-1) oder auch gegen den Franzosen Bilel Jkitou (18-2). Diese Kämpfe gingen mit ihrer unfassbaren Brutalität in die Ewigkeit ein. Eggington gehört zweifellos zu den härtesten Kämpfern der Welt, er ist gefürchtet für seine Herangehensweise und begeistert Menschen auf der ganzen Welt, die auf Brawls stehen. Doch der ehemalige Europameister im Weltergewicht und IBO-Titelträger im Superweltergewicht hat auch schon starke Titelkämpfe gewonnen, wodurch man ihn nicht nur als einfaches Schlachtross reduzieren kann.
Technisches Plus gegenüber Kämpferwillen
Eggington hat bislang in seiner Profikarriere ein deutlich beeindruckenderes Resümee als Baraou aufzuweisen. Dennoch gehen Experten davon aus, dass Baraou aufgrund seiner technischen Fähigkeiten gute Chancen haben dürfte, am Freitag neuer Europameister zu werden. Doch Vorsicht ist geboten, denn Eggington kann enorm viel einstecken und verfügt auch über genügend Schlagkraft, um in jeder Sekunde Gefahr auszustrahlen. Es ist daher entscheidend für Baraou, seine Stärken gekonnt auszuspielen und sich darauf zu konzentrieren. Der Deutsche hat in Bezug auf Technik und Geschwindigkeit sicherlich Vorteile. Einen Eggington kann man, wenn auch mit viel Gegenwehr, ausboxen – allerdings muss man dabei diszipliniert vorgehen und sich nicht in den Schlagabtausch von Eggington verwickeln lassen, wo der Brite seine ganz großen Momente hat.
Allerdings hat Baraou sich in der Vergangenheit stets als angriffslustig gezeigt. Man denke an den Kampf gegen Jack Culcay, wo beide Boxer sich über 12 Runden harte Treffer lieferten. Das könnte gegen Eggington in dieser Form gefährlich werden. Baraou darf sich nicht verleiten lassen, unbedingt ein Statement in diesem großen Kampf setzen zu wollen – dann sind seine Siegeschancen am größten. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass es ein hochintensiver Kampf wird, in dem beide Boxer ihre harten Momente haben werden. So sehen es auch die Buchmacher, die den Kampf als sehr eng prognostizieren.
Unabhängig vom Ausgang am Freitag verspricht der Kampf ein echtes Highlight in dieser Woche zu werden. Beide Boxer verfügen über viel Offensivkraft, boxen äußerst attraktiv und werden sich nichts schenken. Die Boxfans dürfen sich auf einen grandiosen Europameisterschaftskampf freuen!
Die Undercard fällt qualitativ ab
Leider kann das Niveau des Hauptkampfes auf der zuvor stattfindenden Undercard nicht gehalten werden. Es gibt einen Titelkampf um den BBBofC Southern Area Super Mittelgewichts-Titel zwischen den beiden ungeschlagenen Protagonisten Andrei Dascalu (9-0) und Joe Jackson-Brown (7-0), was sicherlich in Ordnung ist. Auch der vielversprechende kasachische Puncher Sultan Zaurbek (16-0) wird im Superfedergewicht im Einsatz sein. Er trifft auf den argentinischen Boxer Carlos Daniel Cordoba (16-11). Cordoba ist berüchtigt für seine aggressive Herangehensweise, dürfte jedoch technisch gegen Zaurbek Schwierigkeiten haben.
Darüber hinaus meldet sich das 2,03m große Schwergewicht Matty Harris (5-1) zurück, nachdem er seine erste Profiniederlage gegen den starken Kostiantyn Dovbyshchenko (10-15-1) erlitten hat. Harris ist ein unterhaltsamer Actionfighter mit viel Punch, bekam jedoch zuletzt konditionelle Schwierigkeiten und wurde sensationell gestoppt. Er kehrt nun gegen den zähen Amine Boucetta (8-10) in einem 4-Runden-Kampf zurück.
And HE DOES IT!
Dovbyshchenko pulls off the major upset 🙌#McGregorRobles pic.twitter.com/Lah0voCEoT
— DAZN Boxing (@DAZNBoxing) July 21, 2023
DAZN übertragt das Event im Abonnement
Wasserman Boxing überträgt die Events in UK kostenlos auf dem Privatsender Channel 5, zumindest die beiden Hauptkämpfe davon. In Lateinamerika wird ESPN der Übertragungspartner sein, in der restlichen Welt ist es der Streaminganbieter DAZN. Entsprechend kann man das Event am Freitag in Deutschland auf DAZN verfolgen. Zudem werden deutsche Kommentatoren das Event begleiten.