Bei einem Sieg über Derevyanchenko kann Culcay der nächste Pflichtherausforderer von Canelo Alvarez werden
Seit Jahresbeginn ist Michael Stachewicz Headcoach des Berliner AGON Boxstalls. Der 58-jährige ist Nachfolger von Thorsten Schmitz. Stachewicz war ein erfolgreicher Amateur: 1981 gewann er die Goldmedaille beim Chemiepokal. Zwei Jahre später, 1983, wurde er in Frankfurt/Oder Vize-Militärweltmeister. Seine Trainerlaufbahn begann er als Assistent von Manfred Wolke und Karl-Heinz Krüger, der mit ihm zuvor in Wolkes Gruppe trainierte. Nach der Wiedervereinigung wechselte Stachewicz an den Olympiastützpunkt (OSP) Frankfurt/Oder. Zuletzt war er für die Betreuung der spanischen Junioren-Nationalmannschaft zuständig.
Am 13. April wird AGONs Ex-Weltmeister Jack Culcay gegen Sergiy Derevyanchenko in den USA einen WM-Ausscheidungskampf bestreiten und Stachewicz wird Culcay sekundieren.
Gewänne Culcay, dann könnte ihm als zukünftiger Pflicht-Herausforderer der IBF sogar ein Fight gegen Saul Alvarez winken, einem der Superstars im Berufsboxen.
Doch ehe es soweit ist, muss das Tandem Culcay/Stachewicz den Ukrainer Sergiy Derevyanchenko bezwingen. Wahrlich eine Herkulesaufgabe, zumal Stachewicz keine Erfahrung im Profiboxen besitzt.
Im Interview steht Michael Stachewicz Rede und Antwort zu Culcays Kampf gegen den Ukrainer Derevyanchenko, seinen Zielen bei AGON und den Beweggründen zu den Berufsboxern zu wechseln.
Herr Stachewicz, Sie bereiten Jack Culcay in Ecuadors Hauptstadt Quito auf Sergiy Derevyanchenko vor. Wie läuft’s?
Michael Stachewicz: Die Umstellung auf die Höhe war für das Team nicht ganz einfach. Immerhin liegt Quito auf 2800 Meter. Ich telefoniere täglich mit Harry Kappell und gebe ihm die Puls- und Sauerstoffwerte unserer Athleten durch. (Anm. Dr. Kappell ist AGONS Leistungsdiagnostiker) Danach stimme ich mit ihm die individuellen Trainingsinhalte, -umfänge und die Belastungen der Sportler ab. Dank Harry gelang uns die Höhenumstellung recht gut.
Es ist unglaublich, wie beliebt Jack in Ecuador ist. Die Fans schauen im Camp vorbei und alle wollen ein Selfie oder Autogramm ergattern. Wenn es seine Zeit zulässt, macht er das sehr gerne.
AGON hatte geplant, den Fight in Culcays Geburtsstadt in Ecuador auszutragen. Jetzt wird in den USA geboxt. Nagt das?
Michael Stachewicz: Ein wenig schon. Eigentlich war der Kampf auf den 27. Februar terminiert. Hätte AGON die Purse Bid (Kampfversteigerung) gewonnen, hätten wir in Ambato geboxt. Das wäre natürlich ein kluger Schachzug gewesen, weil dann der Ukrainer mit der Höhe zu kämpfen gehabt hätte.
Nach dem letzten Kampf von Derevyanchenko gegen Daniel Jacobs hatte Culcay gesagt: „ Ich habe den Fight live gesehen und nun weiß ich, wie ich ihn schlagen kann.“ Was hat er denn gesehen?
Michael Stachewicz: Jack hat Derevyanchenkos letzten Fight nicht nur live verfolgt. Wir haben zusammen viele Kämpfe analysiert. Darauf aufbauend haben wir unsere Taktik entwickelt. Jack und ich schwingen auf der gleichen Wellenlänge. Deshalb glaube ich, dass wir das Gefecht gewinnen, wenn wir unsere Taktik in allen Runden durchsetzen können.
Sie sind zum Höhentraining in Quito. Das lässt vermuten, dass sie Culcay jede Runde angreifen lassen werden. Technisch gibt’s nichts, was sie ihm noch beibringen könnten. Jetzt fehlt ihm nur noch ein harter Punch. Ist es das, woran sie arbeiten?
Michael Stachewicz: Da muss ich schmunzeln. Ob wir angreifen oder in der Defensive auf Konter lauern, werde ich nicht verraten. Da müssen sie sich schon überraschen lassen. Aber eins werde ich ihnen verraten. Für mich ist der Ukrainer der Favorit! Nicht weil er besser ist, sondern weil er den Heimvorteil genießt. Es wird ein Kampf auf Augenhöhe.
Jack Culcay wurde 2009 Amateur-Weltmeister. Sie bereiteten ihn damals vor und Dr. Harry Kappell war sein Diagnostiktrainer. Jetzt ist das Dreamteam wieder zusammen, denn Dr. Kappell ist AGONs Leistungsdiagnostiker und sie werden bei Culcay in der Ecke stehen.
Michael Stachewicz: Das ist nicht ganz richtig, Harry Kappell war damals der Bundestrainer und hat Jack betreut. Ich arbeite schon lange mit Kappell zusammen, auch während meiner Zeit am OSP Frankfurt/Oder. Jack kennt uns beide und vertraut uns. Das hilft bei der Vorbereitung ungemein und gibt zusätzliche Sicherheit.
Herr Stachewicz, sie schauen auf eine beinahe 30-jährige Karriere als Amateur-Trainer zurück. Bei den Profis fangen sie von vorn an. Warum tun sie sich das an?
Michael Stachewicz: Es ist der Reiz des Neuen, die Aufgaben, die auf mich warten. Natürlich habe ich das Für und Wider abgewogen und ich habe mit Freunden und Bekannten gesprochen. Mit Henry Maske zum Beispiel. Letztendlich waren aber die Gespräche mit Ingo Volckmann auschlaggebend, das Angebot anzunehmen. Er ist ein Visionär, der eigene Talente aufbauen und zu großen Boxern entwickeln will. Das ist in meinem Sinne und genau die Herausforderung, die ich suche.
Wiegt es schwer, keine Erfahrung als Profi-Coach zu besitzen?
Michael Stachewicz: Ich war in der DDR der Assistenztrainer von Manfred Wolke und Karl-Heinz Krüger. Die Organisation, die Prozesse und das Training waren sehr professionell. Darüber hinaus war ich mit Henry Maske, Axel Schulz und Karl-Heinz Krüger in einer Trainingsgruppe und habe gesehen wie man Weltmeister und Olympiasieger entwickelt. Für das Amt des AGON-Chefcoachs sind das sehr gute Voraussetzungen.
Jack wird nicht der Erste sein, bei dem ich in der Ecke stehen werde. Ich werde schon vorher AGON Boxer sekundieren und zwar am 2. März in Kaiserslautern und am 23. März in Mecklenburg.
Was macht den Unterschied zwischen Profi- und Amateurboxen aus?
Michael Stachewicz: Lassen sie uns einmal eine Amateur- mit einer Profiweltmeisterschaft vergleichen. Während einer Amateur-Weltmeisterschaft muss ein Athlet fünf bis sechs Kämpfe innerhalb von zehn Tagen bestehen. Vielleicht boxt er zuerst gegen einen Afrikaner, danach gegen einen Asiaten und später gegen einen Amerikaner. In diesem Beispiel sind es drei landestypische Boxstile und drei Persönlichkeiten, auf die er sich einstellen muss. Und dass auf allerhöchstem Niveau. Ein Profiboxer weiß im Voraus, wer ihm bei seinem Weltmeisterschaftskampf gegenüber stehen wird und er hat mindestens drei bis vier Monate Zeit, sich auf den Gegner einzustellen.
Ein weiterer Unterschied ist, dass Profiboxer behutsam an die großen Kämpfe herangeführt werden. Am Anfang sucht der Boxstall schwächere Gegner für ihn aus, die über die Zeit immer stärker werden. Im Gegensatz dazu kann sich ein Amateur die Gegner nicht aussuchen. Er muss boxen, was ihm auf einem Turnier oder einer Meisterschaft zugelost wurde und das könnte bereits im ersten Kampf der Weltmeister sein.
AGON Chef Ingo Volckmann will sich fünf Jahre Zeit lassen und danach ein Fazit ziehen. Welchen Beitrag wollen sie leisten?
Michael Stachewicz: Ich bin noch nicht lang genug bei AGON, um hierauf ehrlich antworten zu können. Wenn sie mich das in drei Monaten fragen würden, dann würde meine Antwort davon abhängen, wie sehr sich jeder einzelne Athlet reingehangen hat. Viele von unseren Boxern stehen am Anfang ihrer Karriere. Bei ihnen ist meine Erwartungshaltung hoch. Bei unseren Ex-Weltmeistern Tyron Zeuge und Jack Culcay muss es gelingen, neue Reize zu setzen.
Überrascht es sie, dass es keinen deutschen Profiweltmeister mehr gibt?
Michael Stachewicz: Nein, denn zurzeit gibt es nur sehr wenige deutsche Athleten, die das Zeug dazu hätten. Unsere Ex-Weltmeister Tyron Zeuge und Jack Culcay gehören dazu. Abass Baraou ist einer, der nachrücken könnte.
Schauen sie einmal. Nahezu alle Großen im Profisport standen als Amateure bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auf dem Podest.
Abass Baraou einmal außen vor gelassen. Welcher deutsche Amateurboxer hat das denn in den letzten Jahren erreicht? Ich sehe die Talente viel zu früh die Lager wechseln. Damit nehmen sie sich die Chance, ihre Fähigkeiten zu entwickeln.
Ich weiß nicht warum, aber es wird immer wieder verdrängt, dass das Profiboxen vom Amateursport lebt!
Deshalb sollte der Deutsche Boxverband mit den Profi-Ställen vernünftig zusammenarbeiten und darüber hinaus für seine Amateurboxer attraktive Anreize schaffen.
In den sozialen Medien melden sich viele, die Jack als Sieger sehen. Es gibt aber beinahe genauso viele, die nicht an ihn glauben. Was rufen sie denen zu?
Michael Stachewicz: Denen rufe ich gar nichts zu. Sie sollen sich Jack am 13. April anschauen und sich schon jetzt auf einen super Kampf freuen.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Stachewicz