Schattenboxer Teil 11: Emanuel Augustus

Schattenboxer – das ist Hinterhof. Das ist die Farbschicht, die von Betonwänden abblättert, an denen Bilder kleben: manche schwarz, manche weiss und einige bunt.

Schattenboxer – Die Geschichte von Emanuel Augustus

Von einem Kämpfer, der sich selbst Dragon Master nannte, aber von anderen Drunken Master gerufen wurde

Wir wissen es von unzähligen Beispielen: Talent plus Fleiß sind die Fundamente, auf der Champions ihre Karriere aufbauen. Das faule Talent wird sowenig zum Star wie der fleißige Unbegabte. Und dann gibt es, das Wort sei erlaubt, auch wenn viele die Nase rümpfen, die dem Boxen gleichgültig gegenüberstehen, noch den Einzigartigen, den Virtuosen. Er ist der Solitär. Unnachahmlich eben. Aber gefährdet, weil er nicht ins System passt. Er realisiert den Glücksfall seiner Begabung nicht, und das macht es ihm schwer, wenn nicht gar unmöglich, zu begreifen, dass für ihn kein Platz im Raster ist. Sie nannten ihn „The Drunken Master“. Fast alle Boxer bekommen ihre Kriegsnamen und dieser war ein besonders passender. Emanuel Augustus boxte, ohne ein Bandit zu sein, ausserhalb der Gesetze dieses Sports.

Emanuel Augustus wurde 1975 als Emanuel Burton in Chicago geboren und nahm später den Nachnamen seines Vaters Augustus an. Er wuchs in verschiedenen Pflegeheimen auf und begann als 17-Jähriger mit dem Boxen. Schnell wurde er zu einem Begriff in den Boxgyms seiner Umgebung. Er erlernte das Boxen weniger durch das Training am Sandsack, sondern vor allem durch das Sparring. Hier war er immer der Erste und der Letzte im Ring. Die übliche Boxschule war ihm zu langweilig, er wollte immer nur kämpfen. 1994 wechselte er mit 19 Jahren zu den Profis und es war ihm egal, gegen wen, wann und wo er boxte.

Schon früh in seiner Karriere als Berufsboxer stellte er sich protegierten Prospects und späteren Champions wie zum Beispiel Jesus Chavez, Ivan Robinson, Diosbelys Hurtado oder Antonio Diaz. Er nahm jeden Kampf ohne Rücksicht auf Verluste an. Er kannte bzw. akzeptierte die Spielregeln des Boxgeschäftes nicht, sondern wollte nur in den Ring, das Publikum unterhalten, seinen Spass haben und schnelles Geld verdienen.

Er hätte einen umsichtigen Manager gebraucht, denn irgendwie war er immer ein Kind geblieben. Er verbrachte seine Zeit mit Boxtraining, Videospielen und Boxkämpfen, nur die Reihenfolge änderte sich manchmal. Die Namen seiner Gegner sagten ihm nichts, interessierten ihn auch nicht. Für ihn war alles lediglich ein unterhaltsamer Zeitvertreib.

Augustus gehörte von Anfang an zu den Fightern, die kurzfristig als Aufbaugegner für die Eliteboxer verpflichtet werden, um eine gute Show zu bieten. Er jedoch zeigte den Zuschauern oft sogar noch viel mehr und stellte selbst Boxgrößen wie Floyd Mayweather Jr. mit seinem spektakulären Boxstil vor Probleme oder lieferte spektakuläre Ringschlachten ab wie gegen Mickey Ward.

Obwohl er gegen die Meisterboxer, darunter viele bekannte und bis dato unbesiegte Boxgrößen wie Leonard Dorin, David Diaz, Kelson Pinto uvm., überwiegend Niederlagen einstecken musste, wurde seine Fanbase stetig größer und die Art, wie er sich im Ring verkaufte, sorgte dafür, dass seine Fights regelmäßig bei den US-Boxsendern zu sehen waren.

Seinen Spitznamen „The Drunken Master“ bekam er wegen seiner Haltung und seiner außergewöhnlichen Gestik im Kampf. Man könnte denken, dass er total betrunken ist. Seine Gegenangriffe und seine Verteidigung waren einzigartig, spektakulär und regelmäßig von verschiedenen Tanz- und Posingeinlagen unterbrochen, die er sich angeblich aus Videokampfspielen abguckte und imitierte.

Augustus erhielt dafür Lob, Anerkennung, doch die großen Erfolge blieben ihm verwehrt. Er hatte keine Lobby, musste immer wieder strittige Punktniederlagen gegen Lokalmatadoren einstecken oder diente den aussichtsreichen WM-Herausfordern als Gegner, um sich einen Namen zu machen und in den Ranglisten höher zu steigen. Er wusste nicht, dass er nur ein Spielball in der glitzernden Welt des Boxens war, die nach dem Virtuosen lechzt, aber ihm nichts mehr bietet, wenn er ihr nichts mehr bieten kann. Als die Kraft aus seinen Beinen wich, er immer mehr und mehr Treffer einstecken musste und seine Boxleistungen glanzloser wurden, war sein Tanz vorbei. Am Ende diente er nur noch als Kanonenfutter und besonders seine vorzeitigen Niederlagen in den letzten Jahren seiner Laufbahn hinterließen Spuren.

Seine Sprache wurde etwas verwaschener, sein Gang schleppender, die Reaktion und Reflexe langsamer. 2011 bestritt er gegen den damals ungeschlagenen Vernon Paris seinen letzten Fight mit einer Bilanz von 38 Siegen, 34 Niederlagen und 6 Unentschieden. Doch Augustus kam nicht los vom Boxen. Immer wieder tauchte er in den Gyms auf, um sich auf einen großen Kampf vorzubereiten. Was ihm zuflog, war teuflisches Gnadenbrot. Nostalgische Schwärmer wollten gute, alte Zeiten zurückholen, indem sie ihn trainieren ließen, bis er mit grandioser Einfalt erklärte, dass er, morgen schon, in den Ring gehen werde, um es allen zu beweisen. Er klebte an der Legende und Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet beim Verlassen des Gyms 2014 als Unbeteiligter in einen Schusswechsel geriet, bei dem ihn eine Kugel in den Kopf traf.

Augustus überlebte schwer verletzt, musste in ein künstliches Koma versetzt werden und hat als Folge noch heute mit Gedächtnisausfällen nnd Gesichtslähmungen zu kämpfen. An guten Tagen jedoch kann man ihn noch immer im Boxgym finden, wo er als Coach und Trainingspartner im Ring steht.

„Wenn ich sterbe, dann nur mit Fäusten in Boxhandschuhen und dem Mundschutz zwischen den Zähnen!“ Emanuel Augustus

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