Amir Khan vs. Kell Brook – Besser spät als nie, Kinn oder Auge

Wo fangen wir hier an? Ein Kampf der vor 10 Jahren hätte passieren sollen. Ein Kampf, in dem beide Fighter über ihrem Zenit sind. Ein Kampf, der für das Ringen um Weltmeistertitel oder Positionierungen um an einen Titel zu kommen, total irrelevant ist.

Worum geht es dann, wenn alles oben genannte dieses Duell so unnötig erscheinen lässt? Drehen wir die Zeiger der Zeit mal etwas zurück.

Lang lebe der König! Hoffentlich…

Es ist einige Zeit her, dass die beiden Boxer ihre glorreichen Tage in ihre jeweiligen Divisionen erlebt haben, aber glorreich waren sie deswegen nicht umso weniger. Amir Khan ist eine britische Erfolgsgeschichte, wie man sie in Medien und Volksmund nur lieben kann. Ein Supertalent mit Migrationshintergrund, dass für die Krone Juniorenweltmeisterschaften gewinnt und bei den magischen Olympischen Spielen in Athen auch noch mit einer Medaille nach hause kommt.

Als Profi wird er der jüngste Weltmeister des Königreichs, löst damit Prince Naseem ab und bekommt logischerweise damit auch die Krone aufgesetzt. Amir „King“ Khan ist geboren. Seine feurige Offensive ist eine Augenweide. Der junge Khan bewegt sich majestätisch im Ring, gekrönt von einem Paar unglaublich schneller Hände. Solide Power haben die flinken Pranken auch noch, denn ein Großteil der Gegner müssen sich vorzeitig geschlagen geben. Ein Kampfstil der für die Augen der Fans kaum besser sein könnte. So eine Erfolgsgeschichte lässt sich einfach auf den Beinen halten, es sei denn man verliert die Kontrolle über diese Beine. Wie zum Beispiel durch einen Schlag aufs Kinn.

Das Khan Kinn

Die große Schwachstelle des Kings‘. Erstmals von Briedis Prescott im September 2008 ans Licht der Welt getragen. Was für ein Schock. Die erste Runde begann mit einem Desaster. Prescott landet nach einer halben Minute einen Treffer direkt aufs Kinn. Die Reaktion von Khans‘ kompletten Körper auf den Treffer, gleicht einer Bilderbuchvorstellung von dem, was ein Schlag aufs Kinn bezwecken soll. Khan schafft es wieder auf die Beine, lediglich um im zweiten Anlauf seinen Untergang zu besiegeln.

Ufff…was ein Schock für Promoter, Fans und Königreich. Doch es war nicht das Ende. Das sagt man leider dieser Tage viel zu selten, deswegen will ich hier kurz ein paar Wörter verschwenden. Viel zu viel der Geschichten die heute erzählt werden, versuchen makellos zu sein. Sie werden nicht um des Erzählens‘ Willen erzählt, sondern weil sie vermarktet werden sollen. Vor allem ist das aber eine eher amerikanischere Tradition, die sich inzwischen im „everything is great – always!“ – Social Media Universum manifestiert hat. Wir reden hier aber erstens von einer Zeit vor Social Media Wahn und wir reden übers Boxen. Und das Boxen hat Khan die Treue gehalten – oder andersrum.

Khan kam nach einem brutalen K.O. in der ersten Runde zurück und hat seine Traumkarriere wiederbelebt. Fünf Monate später stand er wieder im Ring und fünf Kämpfe später hatte er mit dem fünften Sieg auch den ersten großen, namhaften Sieg seiner Karriere eingefahren: Paul Malignaggi. Und dabei blieb es nicht. Mit Siegen über Marcos Maidana und Zab Judah baute er sich nicht nur eine Karriere in Amerika auf, sondern brachte sich ins Gespräch mit der Cashcow aller Cashcows des Boxens den Ring zu teilen: Floyd „Money“ Mayweather. Leider wurde aus dem Fight aber nichts, angeblich weil Khan vorschnell Bestätigungen rausgeplappert hat. Tja, Money May only wants it his way!

Canelo KOs Khan

Und dann kam Danny Garcia und das nächste Kinn-Drama. Dieses mal tat es aber irgendwie nicht so weh, vielleicht weil es kein so brutaler Knock-Out war, wie gegen Prescott. Oder weil man schon ein bisschen drauf eingestellt war, wer weiß. Danach fuhr Khan allerdings nochmals ein paar solide Siege ein, bis er auf die grandiose Idee kam, Canelo Alvarez im Mittelgewicht entgegenzutreten. Der Knock-Out tut mir persönlich heute noch weh. Ein paar Kämpfe später ging er gegen Terrence Crawford auch nochmals zu Boden, wobei der Kampf auf Grund eines eher etwas ominösen Tiefschlags abgebrochen wurde.

Ohne jeden Zweifel ist Khans Kinn seine große Schwachstelle, wobei man ihm durchaus zu Gute halten muss, dass er sich deshalb nicht vor großen Namen versteckt hat. Für Kell Brook sollte das eigentlich schon fast eine klare Marschroute sein.

Kell „The Special One“ Brook

Außer der fast identischen Körpergröße und gleichem Alter, hat Kell Brook wenig mit seinem Kontrahenten gemein. Irgendwie erscheint Kell Brook einfach gestrickt. Sheffield eben. In der für die Stahlindustrie bekannten Stadt aufgewachsen, trainierte Brook dort schon im frühen Alter. Er gewann auf nationalem Level so ziemlich alles was es zu gewinnen gab und hat sich dann langsam nach oben gearbeitet. Ein Arbeiterklasse-Typ eben. Kein Ruhm als „jüngster britischer Weltmeister“ mit 21, keine Zeremonie Videos beim Einzug der Olympiagewinner nach London auf einem roten Doppeldecker-Bus, keine Reality-TV Familienserie „Meet the Brooks“. Kell gehört in den Ring und da hat er sehr lange viel Erfolg.

Nach nationalem Niveau besiegt er ein paar solide Aufbaugegner, bis er 2014 auf den ungeschlagenen Shawn Porter trifft – und gewinnt. Der erste namhafte Gegner in Kells Resümee. Nicht zuletzt im Aufbau des bevorstehenden Kampfes gegen Khan wurde Kells Resümee kritisiert, was ich etwas ungerechtfertigt finde. Allerdings war die Entscheidung ein paar Sieg nach dem Sieg über Porter später, mehr als fraglich. Brook überspringt zwei Gewichtsklassen um Gennadiy Golovkin im Mittelgewicht herauszufordern. Zu jener Zeit, für ein aufgeblasenes Weltergewicht, ein absolutes Selbstmordkommando.

Auge um Auge

Bis heute ist es für mich unverständlich welcher Teufel Brook oder sein Team geritten hat, den Kampf gegen GGG zu realisieren. Ehrlicherweise muss ich diese Frage aber zu jener Zeit jedem stellen, der meinte er könne es mit GGG aufnehmen. Golovkin demolierte Brook im wahrsten Sinne des Worte. Besonders zermürbte er Brooks‘ Augenhöhle. Brook verlor nach Kampfabbruch oder besser gesagt: sein Trainer bewahrte ihn mit dem Wurf seines Handtuchs vor Schlimmeren. Eine Niederlage gegen GGG ist in meinen Augen absolut kein Weltuntergang, vor allem nicht, wenn man zwei Gewichtsklassen übersprungen hat.

Doch auch im nächsten Kampf hatte „The Special One“ nicht mehr Glück. Diesmal hieß der Gegner Errol Spence Jr. Immerhin hat er es 11 Runden mit Spence ausgehalten. Diesmal wusste es Brook jedoch selbst besser, als er in Rücksicht auf seine Gesundheit auf die Knie ging. Auch wenn Kell gegen „The Truth“ kaum Land gesehen hat, muss man diese Entscheidung respektieren. Auf diese Niederlage folgten drei Siege, die Brook wieder etwas Aufwind verschafften, bis er sich 2020 mit dem zweiten der zwei Top-Dogs im Weltergewicht im Ring wieder fand: Terrence „Bud“ Crawford.

Terence Crawford (rechts) ließ Ex-Champion Kell Brook (links) keine Chance!

Auch Crawford dominierte Brook – und zielte mit seinem rechten Jab immer wieder aufs Auge. Am Ende des Tages wurde er jedoch einfach von einem jüngeren und besseren Boxer überrollt. Amir Khan wird seinen langen, schnellen Jab vermutlich auf das gleiche Ziel richten. Zumindest kann man damit rechnen, dass sein neuer Trainer Bob McIntyre ihm raten wird, der auch schon Crawford zum Sieg über Brook coachte.

Trainer und Ex-Rivalen

Trainerwechsel sind oft von Kritikern und Fans hinterfragt, wie zuletzt auch bei Anthony Joshua vor seinem Rückkampf gegen Oleksandr Usyk. Kell Brook ist dem Ingle-Gym treu und wird auch diesen Kampf unter der Führung seines vertrauten Coaches bestreiten. Amir Khan jedoch, hat sich in „BoMac“ eine neuere Stimme in die Ecke geholt. Khan wechselte bereits in der Vergangenheit seine Trainer, wodurch er auch unter Pacman-Macher Freddie Roaches‘ Fittichen lernen durfte.

Dass er sich nun für „BoMac“ entschieden hat um Brook zu bezwingen, kann man als Beweis dafür deuten, dass er wirklich gewinnen will. Es wird immer viel geredet und jeder hat seine eigene Philosophie, ob ein Trainerwechsel Fluch oder Segen ist. Allerdings muss keiner von uns Couch-Coaches zwei solchen erfahrenen Kämpfern wie Brook oder Khan irgendwas erzählen. Keiner der beiden wird irgendwelche neue Kunststückchen vorführen, die wir von ihnen noch nie gesehen haben. Im allerbesten Fall, wird das eine richtig schöne, klassische Angelegenheit.

Die nächsten Vergleiche die angestellt werden, sind oft die Ex-Rivalen-Vergleiche. Beide haben gegen Crawford verloren. Der Eine zwei Runden eher als der Andere. Aber vergessen wir nicht: Jeder hat bisher gegen Crawford verloren. Mit Golovkin und Canelo standen beide zwei Titanen gegenüber – bei denen ich mich auf keine Diskussion einlasse, welcher von beiden der Bessere ist oder war, egal an welchem besagten Abend, als die zwei sich gegenüberstanden. Allerdings hat GGG Kell nicht ausgeknockt. Hätte Amir Khan das auch von sich behaupten können? Nie im Leben, davor geht ein Kamel durchs Nadelöhr. Genauso hätte Canelo aber auch Kell Brooks Augenknochen zerdonnert, wie er es zuletzt erst gegen Billy Joe Saunders getan hat. Für jedes gute Beispiel, findet sich also ein Gegenbeispiel. Zwickmühle.

For your Winner…

By…? Ich vermute schwer, dass die Angelegenheit am Samstag nicht über die volle Distanz gehen wird. Brook müsste eigentlich fitter sein. Er hat in näherer Vergangenheit gegen bessere Gegner geboxt. Khan hat möglicherweise einen Trainervorteil. Khan muss Brook lang halten und seine schnellen Hände nutzen – das sind keine Neuigkeiten. Wie bereits erwähnt, werden wir vermutlich nichts Neues lernen über die beiden Fighter, was ihre Kampfstile angeht. Kell muss Amir den Ring abschneiden und einfach nur landen, am besten aufs Kinn.

Eigentlich ist das für beide eine ganz klare Angelegenheit. Dieser Kampf hat irgendwie genau deswegen etwas Schönes an sich. Keine machtpolitischen Spielereien mit den Verbänden oder hiesigen Promotern spielen eine Rolle, es geht einfach nur ums Boxen. Die zwei mögen sich nicht, beide sind durch Höhen und Tiefen in ihren Karrieren gegangen, haben Gürtel gewonnen und verloren. Jetzt ist es Zeit für einen letzten Showdown. Beide haben hart trainiert und sind im Kopf des Anderen. Vielleicht kommt das Khan Kinn noch ein letztes mal zum Vorschein, vielleicht geht die Sache wieder in Kells‘ Auge. Vielleicht sehen wir aber doch etwas, womit keiner gerechnet hat. Obwohl ich Anfangs nicht wirklich begeistert von dem Kampf war, muss ich jetzt doch gestehen: Mit etwas Glück, könnte das ein richtiges Fest werden.

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