Spence vs. Crawford – Der Kampf des Jahrhunderts?

Errol Spence und Terence Crawford / Foto: Ryan Hafey/Premier Boxing Champions

Endlich. Es ist soweit. Samstagnacht sehen wir den potentiellen Fight of the Century (den Kampf des Jahrhunderts). Zwar ist das aktuelle Jahrhundert erst 23 Jahre alt, doch ein perfekteres Aufeinandertreffen als zwischen Errol „The Truth“ Spence Jr. und Terence Crawford, ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht denkbar. Bestimmt haben viele von euch schon hunderte Analysen, Break-Downs und Experten-Interviews gesichtet und bestimmt gibt es immer noch Unentschlossene unter euch. Deswegen bekommt ihr jetzt eine große Zusammenfassung darüber, was uns morgen Nacht in der Kampfnacht bevorsteht.

Zur richtigen Zeit am Ort

Die Boxwelt ist in den letzten Jahren etwas geplagt gewesen von großen Namen, die außer heiße Luft keine wirkliche Action generieren konnten. Groß angepriesene Champions haben sich vor knallharten Herausforderern gedrückt und viele tun es aktuell immer noch. YouTuber rennen durchs Seilquadrat auf Veranstaltungen aller Größenordnungen und besudeln den Ruf des Sports. Politische Spielchen zwischen angefeindeten Promotern, neue Netzwerke und Deals lassen große Träume platzen.

Doch Spence und Crawford haben es geschafft, den Kampf auf die Beine zu stellen, den die Leute sehen wollen. Punkt. Crawford musste dafür zwar erst Hall of Fame Promoter Bob Arum vor laufender Kamera den Laufpass geben, während Errol Spence sich noch Yordenis Ugas WBA-Gürtel aneignen konnte. Doch jetzt sind alle Hürden aus dem Weg geschafft und es kommt zum Undisputed-Kracher, zwischen den zwei mit Abstand besten Boxern im Weltergewicht der letzten 10 Jahre. Es ist gar nicht verkehrt, dass Errol Spence noch den WBA-Titel dazugewonnen hat und dass „Bud“ Crawford eine Monster-Performance gegen Shawn Porter auf die Bretter gebracht hat, denn niemand hätte sich gewünscht, dass der Sieger dieses Kampfes noch einem anderen Gürtel hinterher rennen muss. Niemand hätte sich gewünscht, dass es nach diesem Kampf zur Diskussion gekommen wäre in der es hieß, „na gut, aber da ist ja noch Mr. Xy in der Division.“ Nein. Es gibt nur diese zwei Champs, nur diese zwei Namen.

Errol Spence und Terence Crawford / Foto: Esther Lin/SHOWTIME

Nicht zuletzt ist dieser Kampf alleine deswegen eine größere Hausnummer als beispielsweise Mayweather vs. Pacquiao damals. Auch wenn Pacman damals nachgesagt wurde, er sei schon lange nicht mehr in seiner Topform, dominierte er nach dem Kampf noch einige herausragende Gegner und wurde nochmal Champion. Aber zwischen Spence und Crawford gibt es keine Zweifel. Beide sind ungeschlagen, beide sind in Topform, beide brauchen genau jetzt nur noch einen einzigen Kampf: nämlich den gegeneinander.

„Styles make fights“ – wie maßgeschneidert füreinander

Kaum ein Sprichwort hört man in der englischsprachigen Berichterstattung häufiger, wenn es zum Aufeinandertreffen zweier Champions oder hochkarätigen Boxer kommt. Die Art, der Boxstil, macht den Kampf. Wichtig sind natürlich zwei Elemente in dieser Aussage. Erstens: klar, der Boxstil eines jeweiligen Kämpfers. Aber viel wichtiger ist Zweitens: macht die Kämpfe, bringt den Kampf zum Leben, lasst den Kampf passieren. Denkt an Feuerwerke, technische Meisterklassen, absolute legendäre Gefechte. Es geht weniger darum, dass zwei perfekte Boxer aufeinandertreffen, sondern zwei komplementäre Kämpfer. Aktuell fällt einem kaum ein besseres Beispiel für eben genau dieses Phänomen ein, als „Bud“ vs. „The Truth“.

Foto: Ryan Hafey/Premier Boxing Champions

Spence boxt einen einzigen Stil: seinen Stil. Nichts und niemand in der Welt wird Errol Spence davon abbringen, nach vorne zu gehen, viele harte Hände zu schlagen und niemals den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Terrence Crawford boxt ebenfalls ausschließlich seinen eigenen Stil, doch ist Bud ein Chamäleon, eine Wundertüte. Crawford kann den Gegner kommen lassen, ihn auskontern, aber genauso kann er ihn jaben, ihm den Ring abschneiden und mit Einzelschlägen nach hinten drücken. Crawford hat ein einmaliges Verständnis, sich der Situation und dem Gegner Runde für Runde anzupassen. Achso, und dann hat er noch „One-Punch-Knock-Out-Power“ (Power um einen Kampf mit einem Schlag beenden zu können).

Während Errol Spence der Schraubstock ist, der sich langsam immer fester zudreht, ist Bud unberechenbar. Die Reaktion von Crawford zum Ende der letzten Ringrundenpause im Kampf gegen Shawn Porter, fühlt sich heute noch an wie ein surrealer Traum. Nach 10 Runden in einem ausgeglichenen Kampf, erhebt sich Crawford vom Hocker nach den 10-Sekunden-Schlägen und hört aus seiner Ecke „Porter führt auf den Punktkarten“. Bevor Crawford in die Ringmitte läuft, blickt er schockiert und unverständnisvoll in seine Ecke zurück und entgegnet „Wie?“, bevor er in die Ringmitte läuft.

Es müssen Bruchteile von Sekunden gewesen sein, die in diesem Moment einen Schalter umgelegt haben, worauf es wenige Sekunden dauerte und „Bud“ Shawn Porter ausknockte. Egal wie oft man sich diese Sequenz anschaut, es kommt einem immer unrealer vor. Aber es ist passiert. Das haben wir von Terrence Crawford gesehen, genauso haben wir schon gesehen, wie er bereits eine Division vereint hat. Samstag-Nacht steht nur Errol Spence zwischen ihm, um der einzige männliche Boxer zu werden, der in zwei Gewichtsklassen „Undisputed“-Status erlangt hat.

Surreal, übernatürlich – wo wir gerade dabei sind…

Errol Spence und Terence Crawford / Foto: Esther Lin/SHOWTIME

Haben einige von euch vergessen, dass es eigentlich schon ziemlich abgefahren ist, dass Errol Spence überhaupt noch lebt? Richtig, mir wurde es heute morgen auch nochmal in Erinnerung gerufen, als die Videos seines verheerenden Autounfalls von vor ein paar Jahren, mal wieder durch den Youtube-Algorhitmus‘ gepurzelt sind. Und was machte Errol Spence damals nach diesem Horror-Crash? Er sucht sich Danny Garcia als Gegner für sein Comeback aus. Einen Danny Garcia, der nochmal alles in Waagschale werfen will für einen letzten Anlauf auf einen Titel im Weltergewicht – und er dominiert ihn.

Kell Brook, Shawn Porter, Mikey Garcia, Yordenis Ugas (der als „Ersatz“ für Manny Pacquiao dienen musste) – Spence hat das mit Abstand hochkarätigste Resümee im Weltergewicht. Verrückt ist, dass er trotz den Folgen seines Unfalls, jeden Gegner nach Belieben dominiert hat. Dennoch hat der Unfall gezeigt, dass Spence nicht unzerstörbar ist. Doch komischerweise spricht nicht einmal das gegen ihn. Nach seinem Unfall erhielt Spence eine komplette Zahnprothese, da ein großer Teil seines Gesichts verletzt wurde. Jeder der schonmal einen Mundschutz getragen hat weiß, dass die Teile auf bombenfesten Halt konzipiert sind.

Errol Spence / Foto: Esther Lin/SHOWTIME

Im Kampf gegen Ugas verliert Spence nach einem Schlagabtausch seinen Mundschutz und dreht sich sofort um. Ugas trifft ihn erneut, schickt ihn an die Seile. Ugas?…Ugas??? Der Kubaner ist nicht grade für destruktive Schlagkraft bekannt und immerhin reden wir hier von Errol Spence. Später erklärt Spence was passiert ist. Spence dachte für einen Moment, dass seine Prothese im Mundschutz hängen geblieben sei und seine kompletten neuen Zähne deformiert seien. Als er nach dem bizarren Moment wieder bereit war weiterzumachen, sieht man in einem Replay, wie Spence kurz lacht und den Kampf anschließend recht schnell für sich entscheidet.

Zwei außer Rand und Band

Ihr merkt schon, absolute Teufelskerle. Aber zwei sind nicht genug, nein, es gibt ja noch Headcoaches. Mit Derrick James und Brian „BoMac“ McIntyre, haben unsere zwei Hauptrollen von Samstag-Nacht, zwei absolute Teufelskerle in ihren Ecken. Derrick James ist nicht zuletzt bei der gestrigen Pressekonferenz sogar selbst etwas auf „BoMac“ losgegangen.

Es kam zu einer kleinen Schlammschlacht der beiden Startrainer. McIntyre wurde auf sein Übergewicht aufmerksam gemacht, worauf BoMac mit seinen „Undsiputed“-Erfahrungen konterte. James ist eigentlich neben seinen verbalen Attacken bekannt dafür, Champions zu züchten. Nicht zuletzt deswegen entschied sich der gefallene Schwergewichtler Anthony Joshua vor Kurzem für den zweifachen „Trainer of the Year 2022“ (ausgezeichnet von der Boxing-Writers Guild und dem Ring Magazine).

Neben Charlo und jetzt auch Joshua, ist Spence jedoch James‘ perfektes Ebenbild im Ring. Die Basics, „Fundamentals“, wie sie so oft genannt werden. Einfache aber strikte und saubere Bewegung über die Beine, viele kerzengerade Jabs und Power. Bei McIntyre auf der anderen Seite ist „Bud“ der absolute Fokus. Die Beziehung der Beiden ist, neben einem professionellen Verhältnis, in erster Linie eine (Entschuldigung für den Vergleich) Freundschaft durch dick und dünn. „BoMac“ ist der „Bud“-Flüsterer und weiß, was sein Champ wann braucht. Auch hier können wir uns auf ein Duell zweier absolut verschiedener Ansätze des Coachings‘ freuen.

Teufelsadvokat

Wir wollen es wenigstens versuchen. Wo sind die Schwachstellen bei Crawford und Spence? Was könnte den Ausgang dieses Kampfes entscheiden. Vorweg: wir jammern jetzt auf einem unglaublich hohem Niveau, doch es gab auch bei Achilles eine Schwachstelle.

Spence Defence. Habt ihr richtig gelesen? Errol Spence hat eine großartige Verteidigung, doch hat er ein paar Tendenzen auf die sein gegnerisches Camp den Fokus setzten könnte. Spence‘ Doppeldeckung ist Bilderbuch-Deckung, dennoch hat er eine Tendenz seine Ellenbogen zum blocken in Richtung Kopf zu ziehen. Wir stehen Southpaw gegen Southpaw, das heißt, dass Crawford die Linke zum Körper suchen sollte. Wenn ein Ferrari mit hunderten Km/h Spence‘ Kopf nicht kaputt bekommt, wieso dann Crawford? Crawford könnte schnell genug sein, Spence brutalen Haken zu entkommen, mit denen er meist Angriffe zu seinem recht langen Torso bestraft.

Terence Crawford / Foto: Esther Lin/SHOWTIME

Terence Crawford könnte vielleicht zu schlau für seinen eigenen Vorteil sein und zu lange auf den richtigen Moment warten – ich fühl mich absolut lächerlich während ich das selbst nochmal lese. Doch Spence wird kommen, nach vorne gehen und arbeiten. Wenn Crawford nicht gewillt ist, auch ab und zu mal den Vorwärtsgang zu suchen, viel zwischen den Schlägen schlagen (das wird er auf jeden Fall), könnte er Gefahr laufen, Runden zu verlieren. Sollte er dann Spence nicht stoppen/ausknocken (nochmal: der hat den Ferrari überlebt), kann er den Kampf verlieren.

Eine Sache ist garantiert…

Beide Kontrahenten wissen, dass sie vor dem Kampf ihres Lebens stehen. Das Jahrhundert, dem Jahrzehnt, der Division, all das ist außen vor. Die zwei Männer sind so dermaßen in diesem Kampf drin, dass es für beide nichts anderes gibt. Vielleicht wird die erste Runde abgetastet, beide machen das gerne. Vielleicht auch noch ein bisschen in der Zweiten, aber es ist kaum zu erwarten, dass diese Affäre in unter 10 Runden geklärt wird.

Höchstwahrscheinlich werden wir einige der besten Boxsequenzen der Geschichte sehen, und für kleine (oder auch größere) „Wtf?“-Momente sind beide immer gerne Garanten. Es klingt so pathetisch und ausgelutscht, aber dieser Kampf ist der Kampf, auf den wir alle gewartet haben. Dieser Kampf ist ein 50:50 Kampf, weil einfach beide Kämpfer absolute Monster sind. Was danach kommt? Wer geht hoch? Wer verteidigt gegen wen? All das spielt absolut keine Rolle.

Man kann sich auch schwer vorstellen, dass solche Ausblicke aktuell irgendeinen wirklichen Boxfan wirklich interessieren, wir können nur hoffen, dass dem Rest der Boxwelt ein makelloses Beispiel gesetzt wird. In diesem Sinne kann man euch allen im Namen der gesamten Boxen1-Crew nur ein einmaliges Erlebnis wünschen. Denn diese Ansetzung gewinnen zu 100% die Fans.

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