Emir Ahmatovic (12-1-0) ist 2021 nach nur einer einzigen Trainingseinheit Vorbereitung furchtlos gegen Filip Hrgovic angetreten. Trotz der komplett fehlenden Vorbereitung hat der ehemalige EM-Bronzemedaillengewinner damals sein Heil in der Offensive gesucht. Er konnte damals Hrgovic nicht besiegen, aber er hat sein Kämpferherz für jeden erkennbar unter Beweis gestellt. 2022 war für den 35-jährigen also ein Jahr, um wieder auf die Siegesstraße zurückzufinden. 2023 möchte er wieder ganz oben angreifen. Boxen1 blickt mit Emir Ahmatovic zurück auf das Jahr 2022 aus seiner persönlichen Sicht, aber auch aus Sicht des deutschen Schwergewichtsboxens.
Boxen1: Du bist seit 2017 Boxprofi. Manche der jüngeren Boxfans kennen dich vermutlich vor allem von deinem Kampf gegen Filip Hrgovic und durch deinen WBC Mediterranean Titel. Für die Fans, die dich noch nicht von früher kennen: welche Erfolge konntest du als Amateur erzielen?
Emir Ahmatovic: Ich habe 2013 bei den Europameisterschaften die Bronzemedaille und beim Chemiepokal die Goldmedaille gewonnen. Außerdem habe ich mich über die APB (damalige Halbprofiliga der AIBA) für die olympischen Spiel qualifiziert. Leider konnte ich wegen einer Verletzung nicht teilnehmen. Das war großes Pech.
Boxen1: Befindest du dich im Augenblick schon im Weihnachtsurlaub oder bereitest du dich auf einen Kampf vor?
Emir Ahmatovic: Tatsächlich bin ich gerade nicht im Training. Da ich gerade keinen Kampftermin habe, nutze ich die Zeit für eine berufliche Weiterbildung. Für die Sicherheitsfirma Protex in Kassel arbeite ich als Fachmann für Schutz und Sicherheit / Gewaltprävention.
Boxen1: Du hältst seit Mai diesen Jahres den WBC Mediterranean Titel im Schwergewicht. Die WBC hat als erster Weltverband außerdem das Bridgerweight als Gewichtsklasse zwischen dem Cruisergewicht und dem Schwergewicht eingeführt. Wäre das eine passende Gewichtsklasse für dich?
Emir Ahmatovic: Darüber habe ich auch schon mit meinem Trainer Ernesto Plantera gesprochen. Ich bin 1,88 m groß. Damit war man zu Zeiten von Muhammed Ali ein großer Schwergewichtler. Heute ist das nicht mehr der Fall. Mit meinem Gewicht von 107 – 108 kg würde das sogar perfekt passen. Also ja, ich würde mich gerne im Bridgerweight mit den besten der Welt messen.
Boxen1: 2021 hast du gegen Filip Hrgovic geboxt. Der Kampf lief auf DAZN. Wie kam es damals zu dem Kampf? Wie hast du den Kampf erlebt?
Emir Ahmatovic: Ich war damals mit einem Kumpel in Ägypten im Urlaub und hatte fast ein halbes Jahr nicht trainiert. Dann kam der Anruf von meinem Manager Dennis Lindner eine Woche vor dem Kampf. Ich habe den Kampf sofort akzeptiert. Ich musste dann zuerst von Ägypten nach Deutschland fliegen und dann weiter nach Las Vegas. Nach nur einer Trainingseinheit bin ich angetreten. Ich wusste, dass meine Kondition nicht für 12 Runden reichen wird. Aber ich bin nicht angetreten, um zu verlieren. Also habe ich alles auf eine Karte gesetzt und bin nach vorne gegangen. Ich habe die Schlagkraft, um jeden auszuknocken, wenn ich treffe. Solange meine Kondition gereicht hat, war das ein Kampf auf Augenhöhe und die erste Runde ist an mich gegangen. Nach drei Runden waren aber meine Muskeln übersäuert und es ging nichts mehr.
Boxen1: 2022 hast du nach dem Aufbaugegner Andras Csomor (18-36-2) gegen Hueseyin Akdemir (12-3-0) um den WBC Mediterranean Titel geboxt. Wie lief der Kampf?
Emir Ahmatovic: Die WBC hatte Huseyin Akdemir als Gegner ausgesucht, weil er auch aus dem Mittelmeerraum stammt und eine gute Kampfbilanz hatte. Aber ehrlicher Weise war er kein Gegner für mich. Entsprechend habe ich den Kampf vorzeitig in der 2. Runde gewonnen.
Boxen1: Es wurde 2022 auch viel über deinen angesetzten Kampf gegen Tom Schwarz gesprochen und geschrieben. Der Kampf wurde wegen einer Corona-Erkrankung 1 Woche vor dem Termin abgesagt. Was ist deine Sicht auf die Geschehnisse von damals?
Emir Ahmatovic: Ich sage es, wie es ist. Wer die Wahrheit sagt, muss sich nichts merken. Ich hatte mich damals so intensiv und gut auf den Kampf vorbereitet, wie noch nie zuvor. Ich hatte viele starke Sparringspartner geholt und bin selbst für gutes Sparring zu Trainingspartnern gefahren. Mein Trainer Ernesto Plantera hatte mich super vorbereitet. Die Story für den Kampf hat auch gestimmt: Gut gegen Böse. Der Frauenschläger Schwarz gegen mich, der sich für Gewaltprävention einsetzt. Dann hat Schwarz den Kampf nach abgeschlossener Vorbereitung mit der Ausrede von Corona abgesagt. Vielleicht hatte er die Krankheit auch wirklich, aber dann sollte er auch den Anstand haben, mir meinen Kampf später zu ermöglichen. So eine zweimonatige Vorbereitung kostet viel Geld. Der Kampf gegen Schwarz wäre für mich sportlich der leichteste Weg nach oben. Wie das gelaufen ist, macht mich noch heute sehr traurig und wütend.
Boxen1: Wir interessieren uns auch für deine Meinung zu anderen Schwergewichtskämpfen des Jahres mit deutscher Beteiligung. Christian Hammer hat beispielsweise dieses Jahr gegen Joe Joyce geboxt. Wäre Joyce auch mal ein Gegner für dich?
Emir Ahmatovic: Liebend gerne würde ich mal gegen Joe Joyce antreten. Der ist eine Maschine, ein Roboter. Christian Hammer ist aber auch ein starker Mann. Aber man merkt da auch den Unterschied in den Trainingsmöglichkeiten. Ich habe vor der Corona-Krise in England trainiert. Die Engländer wenden die neuesten Erkenntnisse und modernsten Trainingsmethoden an. Die Deutschen setzen noch zu sehr auf die alte DDR-Schule. Nicht dass die alte DDR-Schule schlecht ist. Aber man muss mit der Zeit gehen. Bis auf ganz wenige Trainer in Deutschland haben wir da einen Rückstand. Und deshalb sehen die Deutschen derzeit im Vergleich mit Engländern oder Amerikanern schlecht aus.
Boxen1: Das große Schwergewichtstalent Peter Kadiru hat kürzlich überraschend gegen Marcos Antonio Aumada verloren. Hast du das mitbekommen?
Emir Ahmatovic: Ja, klar. Ich kannte Aumada vorher nicht. Und sein Kampfrekord spricht dafür, dass er als Aufbaugegner für Zwischendurch geholt wurde. Aber das ist Boxen. Der Argentinier ist nicht zum Verlieren angetreten. Und dann hat man immer eine Chance. Vor allem im Schwergewicht, wo ein Schlag den Kampf beenden kann. Für Kadiru würde ich mir wünschen, dass er trotz der Niederlage namhaftere Gegner boxt. Kämpfe gegen Gegner wie Aumada bringen ihn nicht weiter.
Boxen1: Ein weiterer Kampf mit deutscher Beteiligung war Hussein Muhamed – Zhan Kossobutskiy. Auf der Fightcard hat außerdem noch Rapper Sinan G gegen Mo Abdallah geboxt. Die Halle in Oberhausen war damals ausverkauft. Was ist deine Meinung zu dem Event und zu den Kämpfen?
Emir Ahmatovic: Wenn Youtuber oder Rapper boxen, dürfte das nicht mehr Boxen heißen. Die sollten das Zirkusboxen oder Promiboxen nennen. Sinan G und Mo Abdallah würde ich gerne an einem Abend boxen – wenn es dafür genug Geld gibt (lacht). Zhan Kossobutskiy, der im Hauptkampf des Abends geboxt hat, ist aber ein starker und gefährlicher Mann. Der Kasache war ein guter Amateur. Hussein war im Grunde von vornherein chancenlos.
Boxen1: Was müsste im deutschen Boxen passieren, damit die Fans mehr Duelle deutscher Top-10 Boxer zu sehen bekommen?
Emir Ahmatovic: Einiges müsste sich ändern. Die Manager und Promoter müssten seriöser werden. Für deutsch-deutsche Duelle müsste ausreichend Geld bezahlt werden. Es ist ein gefährlicher Sport, bei dem man jedes Mal die eigene Gesundheit aufs Spiel setzt. Auch bekommen die Boxer hier nicht die Anerkennung wie beispielsweise in England. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Man wird in England als Profiboxer mit mehr Respekt behandelt.
Boxen1: Angenommen im kommenden Jahr findet ein Round Robin Turnier mit 4 deutschen Boxern aus deiner Gewichtsklasse statt. Welche 3 Boxer außer dir sollten mit dabei sein? Und wer würde gewinnen?
Emir Ahmatovic: Gute Frage. Tom Schwarz, damit wir unsere offene Rechnung begleichen können. Manuel Charr – den würde ich jederzeit boxen. Und Agit Kabayel, weil er aktuell die Nummer 1 in den deutschen Rankings ist. Natürlich würde ich gewinnen (lacht). Im Finale würden wahrscheinlich Agit Kabayel und ich den Sieg untereinander ausmachen.
Boxen1: Welche deutschen Boxer im Schwergewicht sind deiner Meinung nach überschätzt oder in den Rankings zu weit oben?
Emir Ahmatovic: Manuel Charr – 100-prozentig. Wie der seinen Titel vier Jahre lang behalten konnte, ohne ihn zu verteidigen, ist mir ein Rätsel. Wie ist das überhaupt möglich? Und natürlich Tom Schwarz.
Boxen1: Lass uns abschließend über deine Pläne für 2023 sprechen. Was nimmst du dir vor? Was sind deine Ziele?
Emir Ahmatovic: Ich bin 35 Jahre alt. Ich habe immer noch ohne Ende Bock zu boxen. Wenn ich mich gut vorbereiten kann, kann ich jeden schlagen. Ich boxe auch gerne mehrmals im Jahr. Aber finanziell muss es auch stimmen und ich verkaufe mich nicht unter meinem Wert. Ich setze jedes Mal meine Gesundheit aufs Spiel, also muss auch das Finanzielle passen.