René Weller und die Krankheit CTE im Boxsport

Produzent Peter Althof, Regisseur Davide Grisolia und Schauspieler/Boxer René Weller am Set von „Macho Man 3“ 2020 / Fotonachweis: GREATORS, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Der angeschlagene Gesundheitszustand von Boxlegende René Weller scheint sich leider weiter verschlechtert zu haben.

In einem Interview mit der BILD-Zeitung zum Zustand ihres Mannes berichtet Wellers Ehefrau Maria: (…) „Ich konnte nicht mehr. Er glitt mir buchstäblich zwischen den Fingern weg. René konnte nichts mehr alleine. Sich nicht mehr anziehen, kaum noch laufen, zitterte am ganzen Körper und wusste nichts mehr. Selbst seine geliebte Keksdose kannte er nicht mehr. René wusste nicht, was er macht. So hat er beispielsweise Zahnpasta gegessen“.

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Weller an einer fortschreitenden Erkrankung mit Rückbildung des Hirngewebes leidet. Dass diese Erkrankung mit der Boxkarriere des mehrfachen deutschen Meisters im Leichtgewicht in Zusammenhang steht, ist bisher nicht bewiesen. Gemäß eines Artikels der Stuttgarter Nachrichten wurde bei Weller bereits 2014 eine sogenannte Mischdemenz diagnostiziert. Ob möglicherweise auch der Boxsport und die erlittenen Kopftreffer für diese Form der Demenz mitverantwortlich sind (im Sinne einer CTE; = chronisch traumatische Enzephalopathie), kann aktuell nicht bewiesen werden. Diese Diagnose lässt sich bis dato nur durch eine hirnorgansiche Untersuchung im Rahmen einer Autopsie stellen und anhand typischer Symptome und der passenden Vorgeschichte als Profiboxer vermuten.

Was versteht man unter einer CTE?

Die CTE oder auch Dementia pugilistica wurde erstmals im Jahre 1928 durch den Mediziner Dr. Harrison Martland beschrieben, welcher bei einer Gruppe von Boxern das seinerzeit sogenannte „Punch-Drunk-Syndrom“ beobachtete. Dieser Begriff wird allerdings heutzutage eher nicht mehr verwendet, da mittlerweile bekannt ist, dass die Diagnose der CTE nicht nur auf Ex-Boxer beschränkt ist. Die chronisch traumatische Enzephalopathie ist eine degenerative Gehirnerkrankung, die typischerweise bei Kontaktsportlern, Militärveteranen und anderen Personengruppen mit einer Vorgeschichte von wiederholten kleineren Hirntraumata auftritt. Bei der CTE bewirkt ein Protein namens „Tau“ Fehlfunktionen im Gehirn, sodass auch andere, gesunde Proteine ​​ihre Funktion einbüßen – eine Kettenreaktion entsteht. Das fehlerhafte Tau-Protein breitet sich schließlich langsam im gesamten Gehirn aus und schädigt Gehirnzellen dermaßen, dass diese absterben – die Hirnmasse verschwindet also buchstäblich und wird durch auflaufendes Nervenwasser (= Liquor) ersetzt.

Eine CTE wurde bereits bei Patienten im Alter von nur 17 Jahren beobachtet, jedoch treten Symptome bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten im Allgemeinen viele Jahre nach den erlittenen Kopftraumata auf. Einige Quellen berichten von einem Altersgipfel um die 50 Jahre, andere von einem Auftreten um das 70. Lebensjahr herum. Die Häufigkeit der CTE ist nicht genau bekannt, Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass bei rund 15 Prozent aller Sportler, die im Laufe ihres Lebens Kontaktsportarten ausgeübt haben, eine CTE feststellbar ist.

Welche Symptome verursacht eine CTE?

Eine CTE kann eine Vielzahl von Symptomen verursachen. Personen, bei denen eine CTE diagnostiziert wurde, zeigen einige Stimmungs- und Verhaltenssymptome, die bereits in den 20er Jahren des Patienten auftreten können. Zu den am häufigsten beobachteten Symptomen gehören Probleme bei der Impulskontrolle, Aggressionen, allg. Stimmungsschwankungen, Depressionen, Paranoia und Angstzustände. Die meisten Patienten mit einer CTE leiden im Verlauf unter fortschreitenden Symptomen im Bereich des Denkens/Gedächtnisses, wie z.B. einem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, Verwirrtheit, einem beeinträchtigten Urteilsvermögen sowie Demenz. Solche kognitiven Symptome treten in der Regel eher später im Leben auf, oft in den 40er oder 50er Jahren eines Patienten. Zudem können Patienten entweder nur eine oder auch beide Symptomgruppen entwickeln. In einigen Fällen verschlimmern sich die Symptome im zeitlichen Verlauf (auch wenn der Patient keine weiteren Kopftraumata erleidet), in anderen Fällen können die Symptome über Jahre stabil bleiben, bevor sie sich weiter verschlechtern.

Es gibt derzeit keine zuverlässigen Tests zur Diagnose einer CTE. Die Diagnose basiert zu Lebzeiten eines Patienten auf einer positiven Vorgeschichte der Teilnahme an Kontaktsportarten sowie den Symptomen und klinischen Merkmalen der Patienten. Derzeit kann eine CTE nur nach dem Tod durch eine Analyse des Gehirngewebes sicher diagnostiziert werden. Hierbei werden in Hirnbiopsien die abnormalen Tau-Proteine sichtbar gemacht.

Warum entsteht eine CTE?

Die aktuellen Forschungen zeigen recht klar, dass eine CTE durch wiederholte Schläge auf den Kopf verursacht wird, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren erlitten werden. Die meisten Menschen, bei denen eine CTE diagnostiziert wurde, erlitten im Laufe vieler Jahre durch z.B. Militärdienst oder Kontaktsport hunderte oder tausende von Kopftraumata. Dabei bedarf es nicht immer einer ausgeprägten Gehirnerschütterung: neuere Arbeiten geben als dominierenden Risikofaktor für die Entwicklung einer CTE rezidivierende Mikrotraumata – also im Alltag oft verharmloste oder nicht als gefährlich wahrgenommene Ereignisse – gegen den Kopf an.

Alle Patienten, bei denen eine CTE diagnostiziert wurde, haben eines gemeinsam: eine positive Vorgeschichte von wiederholten Schlägen bzw. Traumata gegen den Kopf. Nachgewiesen wurden CTE gehäuft bei Personen, die Kopfstößen durch Tackle Football (500+ Fälle bestätigt), dem Militär (50+ Fälle), Hockey (30+ Fälle), Boxen (50+ Fälle), Rugby (10+ Fälle), Fußball (20+ Fälle), Profi-Wrestling (5+ Fälle) und, in jeweils weniger als drei Fällen, Baseball, Basketball, Gewalt durch den Partner ausgesetzt waren. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle auch, dass nicht jede Person, die wiederholt Schläge gegen den Kopf erlitten hat, auch tatsächlich eine CTE entwickelt. Es spielen mehrere Risikofaktoren eine Rolle, die manche Menschen anfälliger für die Entwicklung einer CTE machen als andere, wie z.B. das Alter der ersten Exposition gegenüber Kopftraumata, die Anzahl der Jahre der Exposition und eine genetische Komponente.

Wie wird eine CTE behandelt?

Eine heilende Therapie existiert für die CTE derzeit nicht. Es gibt leider nur wenige Studien, die sich mit der kurativen Therapie dieser Erkrankung auseinandersetzen. Ein zentrales Problem hierbei ist, dass die Erkrankung zu Lebzeiten bisher nicht zuverlässig diagnostiziert werden kann, was die Identifikation von entsprechenden Patientengruppe sehr schwierig bis unmöglich gestaltet. Aktuell besteht der Therapieansatz in der Linderung der Symptome und einer Verlangsamung der Erkrankung. Aufhalten können wir sie leider heute (noch) nicht. Ein übrigens immer noch weit verbreiteter Irrglaube: ein Kopfschutz schützt nicht zuverlässig vor Gehirnerschütterungen! Die schnellen Beschleunigungsbewegungen des Gehirns bzw. Traumata gegen den Kopf werden zwar möglicherweise als weniger stark empfunden, kommen jedoch trotzdem durch und können Schaden anrichten. Die einzige Schutzmöglichkeit besteht darin, Kopfverletzungen möglichst zu vermeiden bzw. minimieren und sich im Zweifel beim zuständigen Verbandsarzt/ Ringarzt vorzustellen, um ernsthafte Verletzungen und Erkrankungen möglichst frühzeitig zu erkennen. Aus diesem Grund ist die jährliche Hauptuntersuchung im Amateur- und Profiboxen auch ein wichtiges Screeninginstrument, solche Zustände frühstmöglich zu detektieren.

Wir von Boxen1.com wünschen René Weller und seiner Frau Maria alles erdenklich Gute!

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Referenzen:

Bieniek, Kevin F. et al. (2020): Association between contact sports participation and chronic traumatic encephalopathy: a retrospective cohort study. In: Brain Pathology 30 (2020), S. 63-74.

Stern, D. H. et al. (2013): Clinical presentation of chronic traumatic encephalopathy. In: Neurology 81 (2013), S. 1122-1129.

Grau, E.& Kurz, A. (2020): Informationsblatt 25 — Chronische Traumatische Enzephalopathie (CTE). Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. (https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt25_chronische_traumatische_enzephalopathie_dalzg.pdf)

https://m.bild.de/sport/mehr-sport/boxen/boxen-grosse-sorge-um-champ-ren-weller-demenz-immer-schlimmer-80825374.bildMobile.html###wt_ref=https:/www.google.de/

https://concussionfoundation.org/CTE-resources/what-is-CTE

https://www.nhs.uk/conditions/chronic-traumatic-encephalopathy/

https://www.spiegel.de/sport/sonst/nfl-studie-weist-gehirnerkrankung-cte-bei-110-von-111-untersuchten-ex-spielern-nach-a-1159677.html

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.box-legende-in-klinik-eingewiesen-ren-weller-muss-wohl-nicht-am-hirn-operiert-werden.c36ea799-210d-46d9-a1e5-506add55e8da.html

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1 Kommentar

  1. Es würde uns wohl alle wundern, wenn RW nicht an CTE leiden würde. Ich beglückwünsche euch zu diesem ausgezeichneten Beitrag.

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