Das Schwergewicht gilt seit jeher als die Königsklasse des Boxsports. Von Jack Johnson über Joe Louis, bis hin zu Muhammad Ali und den Klitschko Brüdern: im Reich der schweren Jungs waren schon viele illustre Namen unterwegs, die der Boxgeschichte ihren Stempel aufdrücken konnten. Doch bereits um die Jahrtausendwende erlebte die Gewichtsklasse einen Abstieg, von dem sie sich bisher nicht so recht erholt hat. Zu wenige neue Talente, langweilige Kämpfe und eine durch die Titelflut der Verbände einhergehende Verwässerung des Sports – dies ließ speziell die Fans aus Übersee Abstand nehmen von der einstigen „Glamour Division“. Erst mit der Ankunft der Briten Anthony Joshua änderte sich so einiges. Die Welt schaut wieder auf das Schwergewicht, doch wer sind die neuen Gesichter, die der Gewichtsklasse auch wieder die Qualität geben können, die sie so sehr benötigt?
Im Folgenden möchten wir den Lesern von Boxen1.com die neuen Talente des Schwergewichts präsentieren. Dabei geht es sowohl um frisch im Profibereich angekommene Boxer als auch um Männer, die schon auf der Schwelle zur Weltspitze stehen, jedoch noch keine WM-Chance erhalten haben. Zudem blicken wir weit voraus auf vielversprechende Amateurboxer, die in Zukunft auch eine Rolle bei den Profis spielen könnten.
Die US-Boys
Adam Kownacki (29 Jahre alt, Kampfrekord: 17-0-0, 14 KOs)
Unser erster Boxer für den dritten Teil unserer Serie, hatte mitnichten den idealen Karriereverlauf. Nach kurzer, aber erfolgreicher Amateurlaufbahn, wurde Adam Kownacki bereits 2009 Profi. Der mit 7 Jahren aus Polen in die USA emigrierte Schwergewichtler, hatte den üblichen Start, den so viele Talente durchleben: regelmäßige Kämpfe gegen Aufbaugegner, um erste Erfahrungen mit den Profigegebenheiten zu bekommen und Selbstvertrauen zu tanken.
Bei einem dieser Duelle – das war 2010 – brach sich Kownacki die linke Hand so schwer, dass ein künstlicher Knochen operativ hinzugefügt werden musste. Nach langer Pause, durfte er 2012 den damaligen Schwergewichts-König Wladimir Klitschko auf seinen Kampf gegen Jean-Marc Mormeck vorbereiten. Doch das Schicksal meinte es wieder nicht gut mit ihm: Kownacki riss sich im Sparring den Bizeps des – drei Mal darf man raten – linken Arms. Wer meint, dass dies das Ende des jungen Mannes gewesen wäre, der irrt.
2013 kehrte er zurück und arbeitete sich Stück für Stück in den Ranglisten nach oben. Siege über andere Talente wie Ytalo Perea oder Joshua Tufte ebneten den Weg für das erste große Highlight seiner Karriere – im Sommer 2017 kam es nämlich zum polnisch gefärbten Aufeinandertreffen gegen Artur Szpilka, welcher ein Jahr zuvor noch um die WM boxte.
Szpilka ging als Favorit ins Rennen gegen den etwas untrainiert ausschauenden Kownacki. Doch wie das manchmal so ist, kam es es gänzlich anders, als es die Mehrheit im Vorfeld vermutet hatte. Kownacki drückte seinen Kontrahenten von Anfang an in den Rückwärtsgang, variierte gut zum Körper und Kopf und ließ Szpilka keinen Raum zum Atmen. Damit setzte er ihm derart zu, dass Szpilka bereits in der vierten Runde aus allen Löchern pfiff und seine Hände kaum noch oben halten konnte. Eine willkommene Gelegenheit für Kownacki, der konsequent nachsetzte und den Kampf beendete. Ein Statement.
Dass der Boxer mit den polnischen Roots kein Modellathlet oder dergleichen ist, kann man nicht leugnen. Seine soliden Basics, seine Schlagkraft und Unnachgiebigkeit machen ihn jedoch zu einem ernsten Anwärter auf einen WM-Kampf. Nachdem er zuletzt auch den ehemaligen Wegner-Schützling Iago Kiladze KO schlug, dürfte dieser in nicht mehr allzu weite Ferne gerückt sein. In seiner Heimat Brooklyn, New York, könnte man allerdings mit Sicherheit auch fernab von Weltmeisterschaften attraktive Duelle auf die Beine stellen.
Darmani Rock (22 Jahre alt, Kampfrekord: 11-0-0, 7 KOs)
Man muss ja leider feststellen, dass aus der dominantesten Boxnation des letzten Jahrhunderts, den USA, in den letzten gut 20 Jahren herzlich wenig neue Schwergewichtler empor gestiegen sind, die man auch nur annähernd in eine Reihe mit den Größen vergangener Tage stellen kann. Man kann auch sagen keiner. Da tappt man als Boxfan schon mal in die Falle, sich an jeden noch so kleinen Strohalm zu klammern.
2014 hörte man das erste Mal von einem groß gewachsenen Neuankömmling, ausgestattet mit schnellen Händen und einem Bewegungstalent, wie man es bei Schwergewichtlern aus den Vereinigten Staaten lange nicht mehr gesehen hatte. Es ging dabei um den damals kaum 18-jährigen Darmani Rock, der am Anfang eben jenen Jahres die Goldmedaille bei den Junioren-Weltmeisterschaften errang. Er sei das größte Schwergewichtstalent, was die Amerikaner zumindest seit Shannon Briggs, wenn nicht sogar Riddick Bowe, hervorgebracht hätten.
Der junge Kerl aus der „Rocky-Stadt“ Philadelphia ging zunächst einmal seinen Weg weiter, holte Silber bei der Junioren-Olympiade, bevor in den Herrenbereich wechselte und prompt die National Golden Gloves und US Nationals für sich entscheiden konnte. Rock galt von da an als Favorit auf einen Olympia-Startplatz seines Landes. Ende 2015 fanden die offiziellen Ausscheidungskämpfe des Amerikanischen Boxverbands statt, wo neben Rock noch 5 weitere Super-Schwergewichtler ins Rennen gingen. Einer von ihnen war der von Virgil Hunter (bekannt durch seine Arbeit mit Andre Ward oder Amir Khan) trainierte Marlo Moore.
Nachdem Rock seine ersten Duelle siegreich gestalten konnte, traf er auf eben jenen Moore. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge, gewann Rock die ersten beiden Runden dieses Kampfes, bevor er im letzten Durchgang zwei Mal zu Boden geschickt wurde und der Ringrichter das Geschehen abbrach. Damit war der Olympia-Traum für Darmani Rock geplatzt.
Statt Trübsal zu blasen, dauerte es jedoch nur zwei Monate, bis der nächste Schritt in der Karriere des jungen Mannes von der Ost-Küste erfolgte. Die von Erfolgsrapper Jay-Z 2013 ins Leben gerufene Promotion Roc Nation Sports verpflichtete das hoffnungsvolle Talent und schon im April bestritt er seinen ersten Profikampf. 10 weitere folgten im Laufe der nächsten zwei Jahre – dabei deutete Rock immer wieder seine großen Stärken an.
Die beeindruckend schnellen Hände, verpackt in variablen Kombinationen, sind wohl das, was am ersten ins Auge sticht. Rock hat mehr Talent als die meisten seiner Landsleute, könnte aber auch noch gut und gerne 10 Kilogramm an Gewicht verlieren. Dies ist wohl das größte Problem bei Rock, ähnlich erging es – und da schließt sich der Kreis – ja auch Riddick Bowe. Dessen undisziplinierte Lebensweise kostete ihm mehrere Jahre seiner Karriere. Hoffen wir mal, dass es Darmani Rock anders ergeht.
Stephan Shaw (25 Jahre alt, Kampfrekord: 9-0-0, 6 KOs)
Ja, was sollen wir sagen – auch der nächste Kandidat auf amerikanischer Seite sieht nicht wie ein im Videospiel-Editor erstellter Super-Soldat aus. Dass dies kein zwangsläufiges Hindernis sein muss, konnte ja einst auch der ehemalige Schwergewichts-Dominator Larry Holmes unter Beweis stellen. Dass es natürlich trotzdem besser wäre, gut austrainiert in den Ring zu steigen, bedarf natürlich keiner Nachfrage. Unabhängig davon, sollte man als erstes den Hintergrund Stephan Shaw‘s beleuchten.
Schon im Grundschulalter bestritt er seinen ersten Amateurkampf, was in Zeiten, in den viele Schwergewichtler aus den USA erst nach gescheiterter Football- oder Basketballkarriere den Weg zum Boxen finden, bemerkenswert erscheint. Es folgten nationale Titel als Amateur, bevor er 2013 den Weg ins Profilager fand. Dies kam nach eigener Aussage Shaws etwas plötzlich, hatte er doch eigentlich auch eine Olympia-Teilnahme 2016 geplant.
Aufgrund von Schwierigkeiten mit Management und Promotern verlief dann jedoch nicht alles nach Plan, lange Pausen zwischen den Kämpfen zwangen Shaw zur Inaktivität. Wenn er allerdings im Ring stand, machte er jedem Beobachter klar, dass er ein Heavyweight mit einer Menge Skills ist. Der solide Jab, die sauber ausgeführten Kombinationen und die relativ lückenfreie Deckungsarbeit waren stets ein Garant für ungefährdete Siege. Shaw könnte hier und da aber noch etwas mutiger agieren, vielleicht öfters mit subtilen Finten den Gegner öffnen und dann zuschlagen. Das technische Rüstzeug dafür besitzt er allemal.
Parallel zu Oleksandr Teslenko, über den wir im letzten Teil sprachen, unterzeichnete auch „Big Shot“ einen Vertrag beim New Yorker Promoter Lou DiBella. Mit einem solch erfahrenen Mann im Rücken, sollte es für Stephan Shaw möglich sein, in Zukunft öfter und regelmäßiger das Seilgeviert zu betreten. Vielleicht könnte man so das nachholen, was durch den chaotischen Start in die Karriere verloren ging: von einem regionalen Titel hin zu einem nationalen Titel (wo ist eigentlich der gute alte USBA Heavyweight Title abgeblieben?), bis man sich in mehreren Weltverbänden gut platziert hat und einen Ausscheidungskampf anstreben kann.
Mit anderen Worten: ein klassischer Aufbau eines Talents, wie man ihn kennt. Mit 25 hat Stephan Shaw auch noch genügend Zeit, um nochmal neu anzufangen.
Weitere Talente aus den Vereinigten Staaten
In die Gattung „kleines Schwergewicht“ passt Jermaine Franklin ideal rein. Der flinke Golden Gloves Champion von 2014 bringt einen Stil mit, der in den Zeiten der zwei Meter Schränke deutlich heraussticht. In seinen bis dato 16 Siegen in 16 Kämpfen, zeigte der 24-jährige schnelle Konter und eine beachtliche Ringintelligenz. Sein endgültiger Durchbruch dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
Trey Lippe-Morrison, Sohn des ehemaligen WBO-Weltmeisters Tommy Morrison, fing erst nach dem viel zu frühen Tod seines Vaters mit dem Boxen an. Ohne Amateurerfahrung begab er sich direkt ins Haifischbecken Profiboxen und deutete dabei an, ähnlich viel Dynamit in den Fäuste zu tragen wie sein alter Herr. Ob es für die Spitze reicht ist fraglich, doch langweilig werden die Kämpfe des harten Schlägers mit Sicherheit nicht.
Talente aus dem Amateurbereich
Große Hoffnungen werden derzeit in den erst 18-jährigen Richard Torrez gesetzt. Schon jetzt ist der junge Mann aus Kalifornien der Dominator des amerikanischen Super-Schwergewichts, gewinnt ein Turnier nach dem Anderen und beeindruckt dabei durch technisch beschlagenes Boxen aus der Rechtsauslage, welches in der Regel in einem KO-Erfolg mündet. Auch wenn Torrez mit 1,88 m nicht der Größste ist, bringt er alles für eine starke Profikarriere mit. Er könnte zudem nach langer Zeit mal wieder ein Amerikaner sein, der in der Gewichtsklasse über 91 kg ernsthafte Chancen auf eine Olympiamedaille hat.
Gleich hinter ihm steht der New Yorker Nkosi Solomon. Dieser entspricht eher dem klassischen Bild des modernen Schwergewichtlers – was sich in gut 1,95 m Körperlänge widerspiegelt. Auch wenn es bei den Amateuren für die ganz großen Erfolge bisher nicht gereicht hat, hat er Physis und Athletik, um später gut bei den Profis durchzustarten.
Am Montag geht es weiter mit Teil 4. Dann werfen wir einen Blick auf unsere deutschen Talente. Seid gespannt!