Am Freitag erfolgt ein monumentaler P4P-Titelkampf in den USA. Der Rahmen für diesen geschichtsträchtigen Kampf könnte dafür nicht unpassender sein.
Die aktuelle Woche hat enorm viel zu bieten für die Boxsportfreunde. Zum einen hat man den großen PBC-Amazon Startschuss im PPV mit Tszyu vs. Fundora, was vermutlich die meiste Aufmerksamkeit erhält. Zugleich findet noch eine Cruisergewichtsweltmeisterschaft statt und vieles mehr. Ebenfalls wird in dieser Woche jedoch ein großartiger und maximal wertiger Frauenkampf stattfinden in den USA. Aus Konkurrenzgründen ist die Wahl am Freitag zu veranstalten durchaus schlüssig, allerdings gibt es einen weiteren Faktor, der zum Kopfschütteln veranlasst.
Estrada gegen Valle – der großartige Traumkampf
Im Profiboxen gibt es definitiv eine Titelflut, die ziemlich undurchsichtig und überfordernd erscheint. Im Frauenboxen ist das gewissermaßen noch eklatanter, weil es weniger aktive Damen in den Gewichtsklassen gibt als bei den Männern. Sprich, viele Titel für weniger aktive Boxerinnen. So kann es also durchaus sein, dass es zu WM-Kämpfen kommt, die eigentlich sportlich nicht so signifikant sind, dass man zwingend von einem sehr großen Kampf sprechen muss. Man stelle sich einen Schwergewichtsweltmeisterschaftskampf bei den Damen vor, viele werden dieses Kriterium überhaupt nicht erfüllen können. Entsprechend ist die Wertigkeit der Titel nicht immer maximal gegeben.
Der Kampf zwischen Seniesa Estrada (25-0) und Yokasta Valle (30-2) gehört absolut nicht dazu. Es ist nicht nur ein Weltmeisterschaftskampf im Minimumgewicht, es ist zugleich der historische Kampf um die Undisputed-Krone in dieser Gewichtsklasse. Estrada bringt den WBA- und WBC-Titel mit, Valle den der IBF und WBO. Es ist zudem ein Kampf, der schon länger in den Köpfen schwebt. Ein Kampf, der wie eine Traumpaarung sich verhält.
Populäre P4P-Personalien
Beide Boxerinnen sind enorm stark und durchaus auch populär. Estrada hat nicht nur ein wunderschönes Gesicht, sie war schon früh ein großes Gesicht des Frauenboxens. Bei Golden Boy auf DAZN bekam sie viel Sendezeit und machte von sich Reden. Zugleich hält sie den Titel für den schnellsten KO der Geschichte des Frauenboxens, was allerdings auch an der verfehlten und kritisierbaren Gegnerwahl lag. Ungeachtet dessen gehört Estrada zu den größten Boxerinnen unserer Zeit. Bei Valle verhält es sich so, dass sie schon stets als sehr stark galt, doch die große Karriere mit Top-Promotern hatte sie nicht zwingend vorliegen. Valle musste hart für ihre Karriere kämpfen und tat dies auch. Sie wurde nach 2 verpassten WM-Chancen endlich Weltmeisterin. Konnte bislang 9 erfolgreiche Titelverteidigungen am Stück im Minimumgewicht einfahren. Ein zweiter WM-Titel erfolgte im Minimumgewicht sowie ein Sieg um zwei WM-Titel im Halbfliegengewicht.
Valle hat sich in den letzten 5 Jahren zu einer absoluten P4P-Kämpferin entwickelt, die durch ihre große sportliche Qualität an Popularität massiv zugewonnen hat. Lange hat man sich also schon ausgemalt, dass genau dieser großartige Kampf nun kommen muss, doch er tat es lange nicht. Hier treffen nicht nur 2 Weltmeisterinnen aufeinander, es ist auch ein Kampf um die P4P-Krone. Wenn man sich die P4P-Liste auf Boxrec anschaut, dann rangiert Valle aktuell auf Platz 1, Estrada kommt auf Platz 4. Bei dem renommierten The Ring-Magazin liegen beide Damen im P4P-Ranking in den Top 10. Es ist ein Kampf der Superlative, es ist ein absoluter Big Fight, der sportlich das Maximum bedeutet.
Estradas Weggang von DAZN zu ESPN
Estradas Weg begann bei Golden Boy auf DAZN. DAZN ist als Streamingplattform durchaus dafür bekannt, dem Frauenboxen eine größere Plattform zu bieten. Estrada wurde bei Golden Boy auf DAZN enorm gepusht. Eddie Hearns Matchroom Boxing setzt enorm viele Frauenkämpfe an, darunter auch Hauptkämpfe mit Katie Taylor. Auch Jake Paul und Amanda Serrano sind sehr aktiv, um das Frauenboxen zu repräsentieren. Der Kampf zwischen Taylor und Serrano hat es historisch sogar geschafft, der erste Hauptkampf zweier Frauen im Madison Square Garden zu werden. Geschichte wurde geschrieben.
Bob Arums Top Rank hat die Entwicklung genau beobachtet und sich gedacht, dass ihre Promotion bzw. ESPN auch etwas vom weiblichen Kuchen abhaben muss, um zeitgerecht zu erscheinen. Man hat dann als ganz großes Signing Seniesa Estrada vorgestellt. Sie sollte der weibliche Superstar auf der Plattform werden. Man hat sie entsprechend auch mit großen Produktionen gefördert, ihr gute Titelkämpfe verschafft. Zuletzt gab es einen ESPN-Hauptkampf, und Estrada wurde immer wieder als Kommentatorin auf ESPN platziert, wo sie beispielsweise Weltmeisterschaftskämpfe mit Crystina Poncher begleitete.
Top Rank sieht scheinbar kein Potential für Frauen in Hauptkämpfen
Im Grunde ist alles perfekt angerichtet. Man hat zwei weibliche Boxgiganten, die einen Kampf um sämtliche Gürtel bestreiten werden, was zudem P4P-Relevanz mitbringt. Beide Personalien sind ziemlich bekannt, und der Kampf ist seit Jahren schon im Hinterkopf der Boxfans. Nun schafft es allerdings Top Rank und ESPN, diesen monumentalen Kampf auf die Undercard zu platzieren. Das wäre nicht zwingend schlimm, wenn der Hauptkampf dann auch wirklich enorm groß wäre. Man könnte beispielsweise einen grandiosen Doubleheader inszenieren, wo das durchaus in Ordnung ginge. Oder man stelle sich eine teure PPV-Card vor, wo der Frauenkampf das Co-Mainevent spielt für einen anderen großen Kampf, das hätte durchaus gepasst. Dem ist aber nicht so.
Der eigentliche Hauptkampf am Freitag auf ESPN in Glendale, Arizona, lautet Oscar Valdez (31-2) gegen Liam Wilson (13-2). Es geht um keine Weltmeisterschaft, es treffen die Nummer 26 auf die Nummer 37 im Superfedergewicht gegeneinander. Und für diesen absoluten Durchschnittskampf lässt man einen historischen Frauenkampf im Co-Mainevent verstecken. Da fällt einem nichts mehr ein. Es scheint einfach die Faustregel zu sein, dass ein Hauptkampf im Boxen nur von zwei männlichen Kämpfern bestritten werden darf, ansonsten ist es ungenügend. Das klingt zwar harsch, aber im Grunde ist dieses Prinzip ja angewendet worden. Wenn dieser großartige Frauenkampf das Co-Mainevent dieses durchschnittlichen Kampfes sein muss, dann sieht ESPN und Top Rank keinerlei Potenzial im Frauenboxen. Das ist schade und traurig, aber dann sollten sie auch die Finger davon lassen. Estrada und Valle sollten entsprechend auf DAZN gefeiert werden und eine gebührende Plattform bekommen, so wie es der Kampf eigentlich verdient hätte.
UFC fördert Frauen auf ESPN zugleich
Dass es auch anders geht, kann man zugleich bei der UFC auf ESPN bestaunen. Die größte MMA-Organisation der Welt erfreut sich über einen grenzenlosen Zuschauerzuspruch. Schon fast neidisch kann man als Boxfan auf das Konsumverhalten der MMA-Fans blicken, die es verstanden haben, dass es keine schlechten Gewichtsklassen oder Geschlechter gibt, lediglich gute oder schlechte Matchups. Das ist leider eine Unumstößlichkeit, die das Boxen niemals verstanden hat. Wenn wir in Deutschland uns das Interesse am Boxsport so anschauen, dann gibt es fast nur dieses einseitige Interesse bezüglich des Schwergewichts. Wird eine PPV-Card irgendwo angeboten, dann müssen das immer nur Schwergewichtskämpfe sein. Wenn dann mal ein Leichtgewicht noch zusätzlich kämpft, dann wertet es die PPV-Card maximal ab, weil das ja bekanntlich irrelevant ist.
Schlimmer verhält es sich dann nur noch bei den Frauenkämpfen, die sind gänzlich langweilig und obsolet. Bei der UFC verhält es sich dagegen völlig diametral. Wenn man sich die letzte UFC-Veranstaltung in Las Vegas angeschaut hat, die auch auf ESPN live übertragen wurde, dann hieß der Hauptkampf Ribas vs. Namajunas, ein Frauenduell im Fliegengewicht. Die kommende UFC Fight Night in Atlanta, ebenfalls live auf ESPN, hat den Hauptkampf Blanchfield vs. Fiorot parat. Ebenfalls ein Frauenkampf, dazu ohne Titel auskommend. Im Boxen wäre das völlig undenkbar, wie man an Estrada gegen Valle leidig sehen kann.
Die UFC veranstaltet auch große PPV-Events, die nächste lautet UFC 300 am 13. April in Las Vegas und wird auf ESPN bis zu 80 $ kosten. Ein stolzer Preis, den die Leute dennoch reihenweise auf den Tisch legen. Wenn man nun denkt, dass dort lautet Schwergewichte ihr Grapplingunwesen betreiben, der irrt. Der Hauptkampf findet im Halbschwergewicht statt, das Co-Mainevent wird jedoch ein weiblicher Minimumgewichtskampf werden. Zugleich hat man noch 2 Leichtgewichtsduelle drauf und ein Mittelgewichtsduell. Wann gab es die letzte PPV-Card im Boxen mit einem Damenkampf bei einem großen Promoter?
Man kann nur neidisch auf die MMA-Szene blicken, die den Schwerpunkt auf das Wesentliche gerichtet haben, auf die sportlichen Ansetzungen. Und man muss deprimiert auf die Gegenwart zugleich blicken, wo einer der größten Frauenkämpfe unserer Zeit auf der Undercard versteckt wird. Welch eine Schande.
Der Autor versteht viel vom Boxsport und seinen unvermeidlichen Begleiterscheinungen – und diese beim Namen genannt zu haben, ist schon verdienstvoll!
Was derzeit an Gala-Veranstaltungen, Eliminationen, ja sogar als WM-Meisterschaften dubioser Verbände abläuft, ist niederschmetternd…
Wenn Dennis Gropengießer wissen ließe, wo und wie er sich künftig mit den Niedergängen des Boxsports befassen will, würde ich gerne mehr von ihm lesen – denn schreiben kann er, ganz ohne Zweifel!