„Rocky Story in 4K“: Im Gespräch mit Yaser Yüksel

„Boxer werden nicht geboren, sie werden gemacht“ – dieses Zitat beschreibt den Werdegang des Deutsch-Türken Yaser Yüksel ziemlich gut. Der gebürtige Duisburger wurde zu Beginn seiner Karriere von vielen Seiten belächelt und für verrückt erklärt. Heute kann er vom Boxsport leben – und das, obwohl er erst mit Anfang 20 das erste Mal Handschuhe angezogen hat.

Zwei Trainingseinheiten neben einer Vollzeitstelle als DHL-Kurier: Der Beginn von Yüksels Boxkarriere

Es war 2014, als der damals 22-Jährige den Entschluss gefasst hatte, mit dem Boxen zu beginnen. Zunächst trainierte er für sich allein. „Ich habe mir Videos angeschaut und die Aufgaben nachgemacht, die die Trainer aus dem Ausland vorgegeben haben und nachgeahmt was sie in den Videos erklärt haben. Wie muss man stehen, wie sollte man sich bewegen, schlagen, etc.“, erinnert sich der heute 30-Jährige, der zunächst Amateurkämpfe bestreiten wollte, um Erfahrung zu sammeln. „Ich wollte unbedingt Boxer werden und kämpfen. Also zog ich los und tingelte von Verein zu Verein, wo man sich jedoch mehr über mich und meinen Wunsch lustig machte, als ihn ernst zu nehmen. Keiner wollte mich boxen lassen.“ Keiner der Amateurtrainer wollte ihn als Wettkämpfer, bis er schließlich bei Ex-Profiboxer und Trainer Rüdiger May landete. „Er fand mich wohl ganz gut, obwohl ich keinerlei Erfahrung hatte.“

Yüksel erinnert sich noch gut an die Anfangszeit: „Mein Alltag vor 9 Jahren: Aufgestanden bin ich um 3:30 Uhr. Um 4 Uhr habe ich meine Schicht bei DHL angetreten und die 40-Tonner leer gemacht. Dann habe ich die Wagen gepackt sowie meinen eigenen. Mit diesem bin ich nicht sofort zum Ausliefern gefahren, sondern gegen 9:30 Uhr erstmal ins Gym gefahren. Dort habe ich anderthalb Stunden trainiert. Dann habe ich meine Schicht gefahren und alle Pakete ausgeliefert. Wo die anderen Fahrer 16 Uhr schon zurück waren, bin ich noch unterwegs beim Ausliefern gewesen, bis ca. 18 Uhr. Dann begann meine zweite Trainingseinheit und ich war gegen 21 Uhr zuhause, habe gegessen und bin ins Bett gegangen. Das habe ich ein paar Monate gemacht, dann bin ich kollabiert. Ich habe bei DHL gekündigt und alles auf eine Karte gesetzt, ich musste mich also durchkämpfen. Von da an war ich ‚Vollprofi‘.“

Yaser Yüksel: „Ich kann nur gewinnen oder Erfahrung sammeln“

Der erste Profikampf folgte dann relativ früh. Am 12. Februar 2016 gab Yaser Yüksel im Weltergewicht sein Debüt als Profiboxer – ohne jegliche Amateurerfahrung. Er gewann den Kampf vorzeitig und sollte auch in den darauf folgenden vier Kämpfen siegreich bleiben, ehe er auf Marco Martini traf, der damals bereits 17 Profikämpfe bestritten hatte. Gegen den Lokalmatadoren Martini war er im WBF International-Titelkampf zwar nicht chancenlos, unterlag aber nach Punkten. „Ich war über 10 Runden fast blind. Marco hat mich mit einem Jab unglücklich erwischt, sodass mir die Hornhaut auf einem Auge eingerissen ist. Ich sah nur noch verschwommen und habe oft ins Leere geschlagen. Das war aus meiner Sicht der ausschlaggebende Punkt. Für die Niederlage habe ich mich dann im vergangenen Jahr, wieder auswärts und bei ihm zuhause, revanchiert.“

Sein Weg als Profi war von da an geprägt durch sportliche Höhen und Tiefen, doch auch Niederlagen sind Yüksel egal, anders noch: sie sind wichtig für ihn. „Ich will starke Gegner boxen und lernen. Ich kann nur gewinnen oder Erfahrung sammeln. Eine Niederlage ist trotzdem ein Sieg für mich. In Dubai habe ich gegen Maona Ally geboxt. Der Typ war ein Brecher und körperlich einfach viel zu stark. Man riet mir im Vorfeld davon ab, gegen ihn zu boxen.“

Doch er hörte nicht auf die Stimmen um ihn herum, wollte unbedingt die Herausforderung. „Ich wollte gefordert werden und keine schwachen Gegner mit gutem Rekord boxen. Der Mann kam von 74 kg ins Superweltergewicht runter. Für das nächste Mal weiß ich, dass ich solche Jungs einfach nicht mehr boxe“, so Yüksel, der auch ab und an in Sheffield im Gym von Dominic Ingle trainierte. Auch dort konnte er wertvolle Erfahrungen für seine kommenden Kämpfe sammeln: „Ich habe 2020 eines meiner besten Sparrings überhaupt gemacht – gegen Lee Selby! Er war damals Weltmeister und trainierte im Gym. Dominic Ingle sagte ‚du machst jetzt mit Sparring‘. Das war eine absolut geile Erfahrung für mich und ich habe viel gelernt.“

„Die ersten 20 Kämpfe wollte ich lernen“ – WBC-Titelsieg in Instanbul

Rüdiger May ist seit mehreren Jahren nicht mehr als Trainer an Yaser Yüksels Seite, der Kontakt besteht jedoch nach wie vor. „Ich wollte neue Impulse und brauchte was neues. Wir sind im Guten auseinander gegangen, haben weiterhin Kontakt. Mein jetziger Trainer heißt Patrick Lamek und ist seit September 2020 in meiner Ecke. Bevor er seine eigene Kampfsportschule eröffnet hat, haben wir beide jahrelang zusammen in seinem Keller trainiert.“

„Meine Devise war immer: die ersten 20 Kämpfe will ich lernen. Und so habe ich in Kanada gegen den Lokalmatadoren Josh Wagner meinen 20. Profikampf bestritten. Er hat mich drei Runden durch den Ring gescheucht und ich hatte nichts entgegen zusetzen, weswegen der Ref zurecht abbrach. Aber ich habe dort so viel gelernt, was mir dann in Instanbul zugute kam.“ Dort konnte der als Abdulmuttalip Yaser Yüksel geborene Duisburger im April 2023 gegen Burak Akkus seinen bis dato größten und wichtigsten Sieg feiern. Er sicherte sich den WBC Asian Titel im Weltergewicht und krönte sich zudem zum Türkischen Meister.

„In Istanbul war es so, dass ich als Deutsch-Türke kein richtiger und wahrer Türke bin. Das rief man mir während des Kampfes auch in den Ring rein und sagte immer wieder, dass ich kein Recht auf den Titel hätte. Als Auswärtsboxer ist es aus verschiednen Aspekten ohnehin schon schwer. Durch die ganzen negativen Erfahrungen im Vorfeld war ich aber so abgewichst, dass ich Burak Akkus, obwohl er mich in Runde 3 niedergeschlagen hat, die restlichen sieben Runden durch den Ring geprügelt habe.“

Schaut man sich das BoxRec-Profil von Akkus an, ist er eher der Kandidat „Aufbaugegner“. „Was ich nicht wusste und was sich erst danach herauskristallisierte: er hatte mehr als 150 Amateurkämpfe und damit weitaus mehr Ringerfahrung als ich. Auch die Videos die ich mir im Vorfeld angesehen hatte, brachten mir nichts. Unsere Taktik ging nicht auf, denn Akkus hatte ganz anders geboxt. Dann haben wir gesagt ‚ok wir boxen hart und dreckig‘ und das ging am Ende auf und sicherte mir den WBC Titel.“

Mit diesem im Gepäck, steigt auch sein Marktwert als Boxer. Das ist nicht nur für potenzielle Sponsoren wichtig. Allein von den Börsen der Kämpfe, wenn er als Gegner gebucht wird, kann der 1,72 m große Yüksel, der bis vor ca. 5 Jahren noch zwei Jobs parallel zum Boxen hatte, sein Dasein allerdings nicht bestreiten. „Ich habe mehrere Angebote aus England erhalten, wo man gutes Geld verdienen konnte. Ich kann aber nur davon nicht leben“, erklärt er. „Ich brauche die Sponsoren, denn ohne die gehts einfach nicht. Ich war kein Top-Amateur, der bei internationalen Vergleichen, Meisterschaften oder vielleicht sogar bei Olympia war. Die werden mit Kusshand genommen und die Promoter investieren da locker 200-300.000 EUR um die Jungs aufzubauen, ehe man mit ihnen Geld verdienen kann. Alles was ich verdient habe, habe ich wieder in mich investiert.“

Yaser Yüksel möchte Vorbild sein

Doch wichtig ist für ihn nicht nur das Monetäre, er möchte auch Vorbild sein und ein Mensch, zu dem man aufblickt, ein Mensch, der als Macher wahrgenommen wird. „Mir ist wichtig, dass mich die Leute als positives Beispiel nehmen. Wenn einem alles egal ist und man trotzdem durchzieht oder wenn man Träume hat und das durchziehen will, ist es meist unsere Gesellschaft und unser Umfeld, das sagt: ‚Nein mach das nicht, das wird nichts.‘ Wenn man aber Ziele hat, dann kann man diese durch Disziplin und harte Arbeit erreichen. Ich kann das jetzt seit 5 Jahren machen und lebe nur durchs Boxen und das mit einem Kampfrekord von 15 Siegen, 6 Niederlagen und einem Unentschieden. Ich will Vorbild sein, für jeden, vor allem aber für die Kinder und die Jugendlichen. Das alles, was in den letzten 10 Jahren passiert ist, ist, ohne arrogant zu klingen, reine Selbstdisziplin und Motivation gewesen.“

Fragt man ihn nach einem potenziellen Gegner aus Deutschland, gegen den er gern einmal kämpfen würde, fällt die Entscheidung leicht: „Ich würde gern gegen Sebastian Formella boxen, natürlich mit vernünftiger Vorbereitungszeit.“ International bleibt er auf dem Boden und selbstkritisch: „Wenn ich mir die ausländischen Boxer ansehe, habe ich keinen Wunschgegner. Die Top-5 im Weltergewicht würde mich kaputtschlagen, das bringt mir also nichts. Ich habe Bock auf geile Kämpfe und will dem Publikum etwas bieten. Mit meiner Art und Weise zu boxen, möchte ich die Zuschauer begeistern. Wenn dann noch das Geld stimmt, wäre das doch perfekt.“

Nächster Kampf im Spätsommer geplant

Sein nächster Kampf wird jedoch noch einige Monate auf sich warten lassen, denn vorerst steht etwas anderes an: „Derzeit arbeite ich an einem Projekt, was mein Leben verändern soll und mich sehr viel Zeit und Kraft kostet. Ich bin zwar ständig im Training, will der Sache aber möglichst einhundert Prozent widmen.“ Deswegen ist der nächste Kampf auch erst für Ende des Jahres geplant: „Noch ist nichts in trockenen Tüchern, aber ich möchte auf jeden Fall meinen Titel verteidigen. Vielleicht schon im September.“

Fakt ist: Mit seinen 30 Jahren hat er noch viel vor, will noch viele Kämpfe bestreiten und sich in den Ranglisten nach oben boxen. Was er immer bleiben will, ist ein Vorbild des Sports und ein Vorzeige-Athlet. „Die Story dahinter ist für mich wichtig. Wenn ich es in den nächsten vier Jahre schaffe, um eine richtige WM zu boxen, egal ob ich den Kampf gewinne oder nicht, dann wäre das doch eine total irre Geschichte, wenn man bedenkt, dass ich das erste Mal mit 24 Jahren geboxt habe.“

Yüksel schreibt weiter an seiner eigenen „Rocky Story“ – „Aber in 4k“, wie er mit einem Augenzwinkern betonte.

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