Mitte März wurde Prof. Dr. Jens Hadler, der den Deutschen Boxsport-Verband seit Ende Januar komissarisch geführt hatte, auf dem DBV-Kongress einstimmig zum neuen Präsidenten des Verbandes gewählt. In diesem Interview beschreibt er seine Verbindung zum Boxsport, seine Sicht auf den Verband und auf die Lage des olympischen Boxens.
Herr Prof. Hadler, der Wechsel an der Verbandsspitze des DBV erfolgte für Außenstehende fast über Nacht. Wie kam es dazu?
Es war für andere vielleicht unerwartet, aber etwas Zeit zu überlegen war schon. Und es gab auch ein paar Gründe dafür, zum Beispiel die Doppelbelastung meines Vorgängers Erich Dreke. Wir haben es über Wochen im Vorstand diskutiert, dann wurde der Wunsch an mich herangetragen, das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Ich habe mich über das Vertrauen gefreut und musste dann nicht mehr lange überlegen.
Was reizt Sie, dieses Mandat neben Ihren zahlreichen anderen Aufgaben in der Wirtschaft, an der Uni sowie beim BC Traktor Schwerin zu übernehmen?
Ich bin ohnehin jemand, der gern relativ nah am Anschlag fährt. Außerdem war ich schon länger im DBV-Vorstand aktiv. Und nicht zuletzt versucht wohl jeder von uns, irgendwo Spuren zu hinterlassen, sinnvolle Wege zu gehen. Wenn ich sehe, dass ich anderen dabei helfen kann, etwas auf die Beine zu stellen, macht mich das ein Stück weit zufrieden. Das gilt für die Mitarbeiter in meinem Unternehmen ähnlich wie für junge Talente im Sport, die von Olympia träumen.
Woher kommt die starke Passion fürs Boxen?
Im Wesentlichen durch meinen Bruder, der fast elf Jahre älter ist als ich. Er war in den 1970ern, also noch zu DDR-Zeiten, an der Kinder- und Jugendsportschule in Schwerin. Dadurch war ich öfter mal da und durfte bei Trainern wie Fritz Sdunek und Paul Nickel ein bisschen mitmachen. Während der Armee-Zeit habe ich dann sehr aktiv und auch mit ein bisschen Erfolg geboxt und das während des Studiums fortgesetzt. In meinem Keller steht und hängt bis heute alles, was man zum Training braucht und wird auch täglich genutzt. Durch Dieter Berg und Frank Kleinsorg habe ich dann 2015 den BC Traktor Schwerin ganz intensiv kennengelernt und gesagt, komm, hier geht was. So gilt seit etwa acht Jahren: Volle Kraft voraus fürs Boxen!
Mit welcher Vision?
Ich sehe das als Pyramidenmodell, vom Breiten- bis zum olympischen Spitzensport hinauf, der Kirsche auf der Torte. Wir müssen unseren Sport so attraktiv machen, dass wir über Partner und Sponsoren die Mittel generieren können, um auch an der Basis Projekte zu finanzieren. Am Ende des Tages agiert man immer mit Menschen, ob nun in der Wirtschaft oder im Sport. Man braucht also Teams, man braucht Vertrauen. Und was man aus der Wirtschaft vielleicht ein Stück weit in den Verband hineinbringen kann, ist Verbindlichkeit: Wer macht was, mit wem und bis wann?
Sehen Sie Ihre Rolle als neuer Präsident denn eher als Repräsentant oder als jemand, der aktiv ins Geschehen eingreift?
Ich bin nicht der Frühstücksdirektor. Wenn ich das mache, möchte ich etwas bewegen – aber nicht autokratisch, sondern im Team. Das meint: Jede Meinung wird gehört, Probleme werden möglichst zügig ausdiskutiert und am Ende gibt es Lösungen, die von der Mehrheit getragen werden.
Auf welchem Weg sind die Elitekader der besten Boxerinnen und Boxer des DBV?
Der Gradient passt auf jeden Fall, in den letzten Jahren war eine deutliche Steigerung festzustellen. Das ist auch an den Erfolgen abzulesen, die wir im Jugend- und Juniorenbereich haben. Die Nachwuchsarbeit zahlt sich aus. Wir sollten in Zukunft auch eher in zwei olympischen Zyklen statt nur in einem denken. Es wäre aber vermessen, davon zu reden, dass Deutschland im olympischen Boxen schon in der Weltspitze angekommen ist. Ziel muss jetzt sein, 2028 in Los Angeles und 2032 in Brisbane Medaillen zu holen, und zwar mehr als eine.
Hat der DBV genug hochmotivierte Trainer, Partner und Helfer dafür?
Das ist ja das Erstaunliche. Vor meiner Haustür, beim BC Gifhorn, gibt es zwei verrückte Trainer, die machen in der Woche locker je 25 Stunden für eine kleine Aufwandsentschädigung und fahren an fast jedem Wochenende noch zu Wettkämpfen. Das kann man gar nicht oft genug herausstellen. Wir reden immer über Olympia und herausragende Leistungen, weil die eben die Leitplanke für unsere Förderung sind. Aber am Ende lebt das, was in der Spitze ankommt, davon, was unsere 800 Vereine hauptsächlich mit ehrenamtlichen Kräften hinbekommen. Deshalb sollten wir auch überlegen, wie wir für so viel Herzblut noch mehr Mittel und Anerkennung über die Kommunen, die Länder und den Bund realisieren können.
Derzeit stellt der Verband mit Stefanie von Berge eine Europameisterin und mit Nelvie Tiafack den Europameister im Schwergewicht. Sind das schon Hinweise, dass Ihr Verband auf dem richtigen Weg ist?
Ja, definitiv. Wir haben hochveranlagte Aktive, die jetzt um die 20 bis 22 Jahre sind und eigentlich schon das olympische Box-Turnier in Los Angeles anfliegen, wenn es denn stattfindet. Da sind neben den beiden Genannten weitere Kandidaten vorhanden. Aber auch bei denen, die altersmäßig danach kommen, ist einiges zu sehen.
Kommen die Nachrichten davon in der Öffentlichkeit an, oder bleiben sie in der Blase des Verbands? Anders gefragt: Wie könnte man die Außenwirkung des DBV noch steigern?
Wir brauchen für die Medien, die wir heute haben, natürlich andere Kommunikationskonzepte. Dazu gehört auch das Thema der Digitalisierung im Verband. Das konsequent auf allen Ebenen durchzuziehen, vom digitalisierten Startbuch bis zur Erfassung der Wettkämpfe, ist eine Riesenherausforderung. Dann ist da der Bereich Marketing und PR, da hat sich bereits einiges getan. Die DBV-Homepage hat einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Bezüglich der anderen sozialen Medien ist viel Luft nach oben. Das Problem ist, dass das weitgehend alles im Ehrenamt realisiert werden muss. Aber wie überall im Leben, geht immer noch ein bisschen mehr. Generell sollten wir das, was Boxen der Gesellschaft geben kann, noch mehr in einfache Botschaften packen. Persönlichkeit entwickeln, Willensstärke ausprägen, mit Energien haushalten: In unserem Sport werden Charaktereigenschaften gefördert, für die es einen großen Bedarf in der Gesellschaft gibt.
Auf der anderen Seite erlebt die Sportwelt, wie das IOC und die IBA als Weltverband fürs olympische Boxen so stark auseinanderdriften, dass etliche Mitgliedsverbände erwägen, die IBA zu verlassen. Ist diese Entwicklung noch aufzuhalten?
Zumindest ist ein kritisches Stadium erreicht. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass IBA und IOC vernünftig miteinander reden, also im Sinne des Sports. Wer alt genug ist, wird sich auch noch an die Olympiaboykotte 1980 und ´84 erinnern und sollte sich heute mal fragen, was das gebracht hat. Wir tun im DBV jedenfalls weiter alles Notwendige, um unseren Athletinnen und Athleten die olympische Perspektive zu erhalten — was immer das am Ende bedeutet.
Tatsache ist, dass IBA und IOC und ihre Wettbewerbs-Kalender im vorolympischen Jahr nicht wirklich aufeinander abgestimmt haben. So startet die erste Qualifikation zu Paris innerhalb der Euro-Games in Krakau wenige Wochen nach dem WM-Turnier der Männer in Taschkent. Hat der DBV deshalb keine Aktiven für die Weltmeisterschaften gemeldet?
Ja, und das ist uns bestimmt nicht leichtgefallen. Aber die Olympia-Qualifikation ist für uns nun mal das entscheidende Event in 2023. Unser Cheftrainer Eddy Bolger und sein Team haben eine planmäßige, durchdachte, sportwissenschaftliche Methodik der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung. Demnach passt es einfach nicht, einen Athleten, der gerade noch in einem WM-Turnier stand, so schnell zum nächsten Leistungshöhepunkt zu führen. Darum haben wir das in Abstimmung mit den Athletinnen und Athleten so entschieden.
Was gibt es zu Ihrer Person zu sagen, wo kommt Jens Hadler her?
Ich habe in Magdeburg Maschinenbau studiert und da auch noch die Promotion hinterher geschoben. Nach ein paar anschließenden Jobs habe ich dann 1996 bei VW angefangen, in der Konstruktion, und da relativ schnell Verantwortung bekommen. Ich habe in der Abteilung Nutzfahrzeuge Modellreihen betreut, vom Caddy bis zum 60-Tonner, und war dann Aggregate-Chef bei VW. Wer meinen Namen googelt, wird sehr schnell darauf stoßen, dass auch mich irgendwann der Abgasskandal eingeholt hat. In dem Zusammenhang verantworte ich mich derzeit vor dem Landgericht Braunschweig. Die ganze Story würde hier den Rahmen sprengen, deshalb nur so viel: Ich kann in den Spiegel gucken, sonst würde ich jetzt auch nicht als DBV-Präsident vor Ihnen sitzen. Später war ich Chef einer Engineering-Firma mit über 1000 MitarbeiterInnen und hab irgendwann meine eigene Firma aufgemacht. Das hatte auch mit dem Boxen zu tun, weil ich mich intensiver um den BC Traktor und dann eben auch um den DBV kümmern wollte. Inzwischen führe ich drei Firmen und bin seit 2010 Honorarprofessor in Magdeburg. Da geht es hauptsächlich um Mobilität und Antriebssysteme für Fahrzeuge. So ist mein Leben wesentlich seit über dreißig Jahren »automotiv« bestimmt.
Verstehen Sie sich denn grundsätzlich eher als Teamplayer, oder prägen Sie die Dinge am liebsten ›top-down‹?
Wo ich bin, sollte schon alles ausdiskutiert werden, ich mag auch Konflikte. Nur sollten die Dinge dann irgendwann auf den Punkt gebracht werden. Ich kann mich auch anderen Mehrheiten anschließen, wenn sie mit meinem Gewissen vereinbar sind. Man sollte so viel wie nötig miteinander reden – und möglichst wenig übereinander, am besten gar nicht.
Text: DBV