Ein Nachruf von Ebby Thust zum Tode von Graciano Rocchigiani
Es war gestern um die Mittagszeit als ich die Nachricht von einer langjährigen Freundin über Facebook bekam: „Graciano ist tot! Überfahren auf Sizilien.“ Ich war geschockt, konnte es nicht glauben. Dann ein neuer Post: „Bitte mache es noch nicht öffentlich, seine Eltern müssen das erst noch begreifen.“
Ich habe dann einen Freund angerufen und von ihm habe ich dann gehört, es wäre nicht sicher ob er auch wirklich tot sei. Wir trösteten uns gegenseitig am Telefon und wollten es beide nicht wahr haben……und dann kamen immer mehr Anrufe, jeder wusste einiges mehr. Ich habe weder darüber bei Facebook gepostet noch eine Eilnachricht in unserem Boxen1-Portal veröffentlicht. Ich war regelrecht konsterniert. Dann wieder ein Anruf: „Jetzt steht es auch in der Bild und in der BZ.“ Erst jetzt konnte ich es langsam glauben und meine Gedanken sind zurückgegangen, ins Jahr 1983 als mein damaliger Freund Wilfried Sauerland und ich die „beiden Rocchigianis“ unter Vertrag genommen haben. Graciano hat bei Sauerland und sein Bruder Ralf hat bei mir einen Profivertrag unterschrieben.
Ich war aber nicht nur der Manager seines Bruders Ralf sondern auch noch gleichzeitig oft Technischer Leiter bei den Sauerland-Veranstaltungen und den Kämpfen von Graciano und habe auch selbst als Promoter einige Kämpfe mit ihm in eigener Regie veranstaltet. So zum Beispiel in der Sporthalle Süd in Frankfurt-Sachsenhausen und in der Bad Homburger „Tennis Bar“ wo Graciano 1986 und 1987 zwei Mal auf meiner eigenen Veranstaltung geboxt hat. Erinnerungen als er im gleichen Jahr 1987 im Saal des Kurfürstlichen Schlosses zu Mainz geboxt hat (dort wo immer die Karnevals-Sendung „Mainz wie es singt und lacht“ stattfindet) und wo damals beim Kampf von Graciano der Ringboden zusammengekracht ist.
Es sind die kleinen, für viele vielleicht nebensächliche Dinge, an die ich mich, wenn ich zurück denke, erinnere. Seine großen Erfolge hat unser Mitarbeiter Patrick schon in einem eigenen ganz tollen Beitrag über Graciano gewürdigt, deshalb muss ich mir hier nicht wiederholen.
So erinnere ich mich, als ich im Oktober 1989 am Frankfurter Flughafen stand und mit meinem Freund Hako Sevecke, wie sehr oft zu dieser Zeit, nach Las Vegas fliegen wollte. Da sah ich beim einchecken in der Lounge der American Airline plötzlich Graciano mit seinem Trainer Wolfgang Wilke, die Beiden wollten mit dem gleichen Flieger nach Los Angeles zum Trainings-Camp, für den anstehenden WM-Kampf gegen Thulani Malinga fliegen, der am 27. Januar 1989 in der Berliner Deutschlandhalle stattfinden sollte. Bis zur Landung nach 9 Stunden Flug, in Los Angeles, hatte ich Graciano und Wolfgang Wilke überredet umzudisponieren und statt zum Training nach LA mit uns weiter nach Las Vegas zu fliegen. Ich nahm es damals auf meine Kappe, seinen Promoter Wilfried Sauerland zu überzeugen, dass dies die bessere Trainings-Variante wäre. Ich habe dann Tickets von LA nach Vegas gebucht und hatte den Beiden natürlich zuvor versprochen, dass ich dort in Las Vegas, wo ich schon seit Jahren VIP-Gast im Caesars Palace Hotel war, dafür zu sorgen, dass Graciano und Wolfgang dann dort im Caesars auch trainieren könnten.
Im Caesars angekommen wusste ich natürlich, dass dort für den 7. November 1988 der Big Fight zwischen Sugar Ray Leonard gegen den Kanadier Donny Lalonde anstand, denn deswegen war Hako und ich auch eigentlich nach Vegas geflogen. Es war der erste und einzige Kampf in der Boxgeschichte wo es in einem Kampf gleich um zwei WM-Titel in zwei verschiedenen Gewichtsklassen ging, um den WM-Titel im Super-Mittelgewicht und den WM-Titel im Halbschwergewicht. Das hieß aber, dass beide Hauptkämpfer des anstehenden Big Events auch in den Trainingshallen des Caesars trainierten. Eigentlich schwierig da auch noch einen freien Termin zum Trainieren für Graciano und Wolfgang Wilke zu bekommen. Doch ich war damals nicht nur VIP-Gast im Caesars Palace sondern auch noch High Roller, was heißt dass ich zum damaligen Zeitpunkt mit hohen Summen an den Spieltischen des Casinos im Hause gezockt habe. Diese Tatsache wird dann wohl auch der Grund gewesen sein, dass meine Freundin die damalige Vize-Präsidentin des Caesars Palace Dolores Owens angeordnet hat, dass Graciano eine tägliche Trainingssession zugesprochen wurde. Kurz später stand dann auf einer Tafel vor dem hoteleigenen Sportzentrum
„Training: Ray Leonard 11:30 AM –
Training: Graciano Rocchigiani 2:30 PM
Training: Donny Lalonde 5:30 PM”
Ich war damals froh darüber, dass dies so problemlos geklappt hatte. Während Graciano mir da voll vertraut hatte, dass ich das regle, wollte Wolfgang Wilke schon wettern und sagte: „Wären wir nur in Los Angeles geblieben. Jetzt gibt’s sicher auch noch Probleme mit Sauerland, wenn das nicht klappt.“ Aber es hat dann doch geklappt und alle waren happy. Am ersten Tag als Graciano im Caesars trainierte schaute auch Donny Lalonde, eine damalige absolute Boxgröße, vorbei und fragte mich, auf Graciano deutend: „Ist das der Junge der Mustafa Hamsho ausgeknockt hat?“ Lalonde hatte auch kurz zuvor gegen Hamsho gekämpft und musste dabei über 12 schwere Runden gehen um nur knapp nach Punkten zu gewinnen. Ich erklärte dann Lalonde, genau das ist er. „Er hat ihn schon in der ersten Runde ausgeknockt“, sagte ich. „Unbelievable,“ murmelte Lalonde und ging wieder aus der Trainingshalle. Wir haben dann auch noch zusammen den Kampf von Sugar Ray Leonard vs. Donny Lalonde gesehen, wo eben dieser Donny Lalonde dann Sugar Ray ganz schwer zu Boden geschlagen hat. Ich sah Graciano selten so entspannt wie in diesen Tagen an denen wir zusammen in Las Vegas waren.
Wir haben uns noch unzählige Male danach getroffen und ich war bei seinen großen Kämpfen in Dortmund gegen Maske dabei und im St. Pauli Stadion in Hamburg, im ersten Kampf gegen Dariusz Michalczewski und auch gegen beim Kampf gegen Chris Eubanks sen. in Berlin, bei diesen drei Fights bei denen die Punktrichter Graciano verschoben haben. Aber es sind genau diese drei Kämpfe die den Boxfans am meisten im Gedächtnis geblieben sind. Die Menschen da draußen, in der Boxhalle oder im Stadion und auch an den TV-Bildschirmen, haben eigentlich viel mehr Sachverstand als so mancher dieser professionellen Punktrichter die am Ring sitzen und letztlich entscheiden welcher der beiden Boxer den Kampf gewinnt. So war es auch bei Axel Schulz, wenn man heute die Schulz-Fans fragt, an welchen Kampf von Axel sie sich erinnern, kommt immer zuerst der Kampf gegen George Foreman, den er zwar bei den Punktrichtern verloren, aber für seine Fans klar gewonnen hat. Und genau so war es bei Graciano, für alle die vielen Boxfans in der Dortmunder Westfalenhalle und den vielen Millionen Zuschauer an den Fernsehschirmen, war der Sieger dieses ersten Maske vs. Rocchigiani Fights ganz klar Graciano und so war es dann auch beim ersten Kampf gegen den Tiger und beim WM-Kampf in Berlin gegen Eubanks sen.
Um zu erzählen wie Graciano tickt muss ich wieder eine kleine Episode erzählen:
Es war nach den Kampf von Graciano gegen Chris Reid, am 7. Oktober 1988 in der Berliner Deutschlandhalle, den Grace durch KO in Runde 11 gewonnen hatte. Im Anschluss an diesen Kampf fand, wie fast immer eine große VIP-Party in den oberen Räumen der Deutschlandhalle statt. Die VIP-Party war schon voll im Gange und der Ringrichter dieses Fights zwischen Graciano und Reid, Frank Cappuccino glänzte auf der VIP-Party als sensationeller Sänger. Es dauerte noch fast eine Stunde, weil erst nach dem WM-Sieg von Graciano, noch eine Pressekonferenz stattfand und alle Partygäste warteten auf den Weltmeister Graciano um ihn und mit ihm zu feiern. Und dann kam Graciano, mit vielleicht 10-12 seiner engsten Freunde, die wohl nicht ganz so herausgeputzt und geschniegelt wie die meisten anderen Partygästen waren. Während der Sicherheitsdienst an der Eingangstür Graciano begrüßte und ihn einlassen wollte, verwehrte man aber seinen 10-12 Freunden, die auch keine VIP-Tickets hatten, den Einlass. Graciano diskutierte nicht lange, sprach kurz mit seinen Kumpels und verschwand wieder mit ihnen. Am nächsten Tag hat er mir dann erzählt, dass er seine ganzen Freunde in seine Stammkneipe eingeladen hat: „Ick lass doch meene Kumpels nicht aleene vor der Tür stehen.“ So war Graciano.
Den Unterschied zwischen Graciano und Henry Maske kann man vielleicht am Besten im Vergleich zweier TV-Serien beschreiben: Henry Maske war „Denver Clan“ und Graciano war „Lindenstraße“, (Denver Clan war die Sendung mit den feinen Leuten und den Millionären und denen die im Glanz stehen – Lindenstraße ist die Sendung aus der Welt des normalen Durchschnittsbürgers)
Wenn ich seit Bekanntwerden seines Todes in die sozialen Netzwerke, in die Printmedien von Bild, BZ und vielen anderen und natürlich auf die TV Nachrichten und die gesamte mediale Berichterstattung schaue, dann mache ich mir meine Gedanken: Musste Graciano denn erst sterben, dass ihm unsere Medien diese Schlagzeilen widmen, die ihm eigentlich schon nach seinen großen sportlichen Leistungen zugestanden hätten?
Gestern am Spätnachmittag habe ich dann die Nachrichten von RTL eingeschaltet, dem TV Sender für den Graciano viele Jahre geboxt hat, der TV Sender der die großen Kämpfe von Graciano gezeigt hat und für den Graciano mit seinen grandiosen Fights immer zweistellige Millionen Einschaltquoten eingefahren hat und dann musste ich, nach anfänglichem Lobgesang hören: „Rocchigiani lebte von Hartz IV. Drogen, Prostituierte, häusliche Gewalt, Knast, Scheidung – Rocchigiani ließ keinen Skandal aus. Er stand wegen Drogenhandel, Zuhälterei und Menschenhandel vor Gericht und nach seiner Boxkarriere fiel er immer wieder durch diverse Alkoholexzesse auf.“
„Verehrte RTL Verantwortliche, ich finde das gelinde gesagt zum Kotzen. Einfach nur unterste Schublade! Ist das die Referenz die ihr einem verstorbenen deutschen Ausnahme-Sportler entgegenbringt, einem deutschen Sportidol, das für euren Sender geboxt und Multi-Millionen Einschaltquoten eingefahren hat? Peinlicher geht’s nicht. Ich habe fast das Gefühl als wollten einige RTL-Verantwortliche, am Liebsten Graciano auch noch seine Verfehlungen auf seinen Grabstein gravieren.
Habt Ihr bei RTL schon einmal die Worte „Contenance“ oder „Würde“ gehört? Wie niedrig ist denn euere Schamgrenze? Sich ein bisschen zurück zu nehmen und einen Verstorbenen nicht auch noch mit Dreck zu bewerfen, hätte Euch sicher besser gestanden.
Übrigens stand auch die Bild und die BZ, den oben zitierten Aussagen von RTL, diesbezüglich nicht viel nach. Immer dieses reißerische Negative, weil es wohl leserwirksamer als etwas Positives ist. Ich habe es ja vor fast 30 Jahren auch selbst erleben müssen und vielleicht regt es mich auch nur deshalb so auf.
Einzig dem TV-Sender „Sport1“ muss ich ein Kompliment aussprechen, dass auch ihr nicht in die gleiche Kerbe gehauen habt. Ihr habt gezeigt wie seriöse und respektvolle Berichterstattung über einen deutsches Ausnahmesportler sein kann. So wird aus einem verstorbenen Weltmeister eine Legende. Danke Sport1!
Zum Schluss ist es mir ein Bedürfnis Gracianos Eltern Renate und Zanubio und seinem Bruder Ralf, seinen Kindern, seiner Freundin und der gesamten Familie und allen Angehörigen mein aufrichtiges Beileid auszusprechen. Niemand außer denen die selbst betroffen sind kann sich das Leid vorstellen, niemand kann Euch trösten, selbst ich habe es bis jetzt noch nicht begriffen, aber vielleicht hilft es, dass uns allen die Erinnerung bleibt an einen Graciano wie ihn jeder von uns gekannt hat.
Ein geliebter Mensch stirbt nie, denn er lebt weiter in den Herzen derer die ihn lieben!