Emre Cukur mit historischer Chance auf Europameistertitel

Quelle: Alexandre Gorodnyi

Am 19.11.2022 kämpft Emre Cukur (19-1-1) im französischen Cannes gegen Kevin Lele Sadjo (18-0-0) um den Europameistertitel der EBU im Supermittelgewicht. Für das deutsche Boxen ist das eine historische Chance. Den sehr renommierten Titel konnten bisher nur vier Deutsche erobern und selbst namhafte deutsche Boxer sind beim Versuch, den Titel zu gewinnen, gescheitert. Boxen1 schaut zurück auf die Versuche deutscher Boxer diesen Titel zu erwerben.

10.12.1994 Graciano Rocchigiani – Frederic Seillier (FRA)

Erst seit 1990 vergibt die EBU einen Titel im Supermittelgewicht. Am 10.12.1994 boxte einer der namhaftesten deutschen Boxer aller Zeiten um diesen Titel: Graciano Rocchigiani. Mit damals 30 Jahren und einem Kampfrekord von 37-1-0 war Rocchigiani bereits ein Weltklassemann. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits einmal IBF-Weltmeister im Supermittelgewicht und Europameister im Halbschwergewicht gewesen. In seinem letzten Kampf vor dem legendären 1. Kampf gegen Henry Maske hatte er es bei seinem Titelversuch mit dem Franzosen Frederic Seillier (damals 38-5-2) zu tun. Leider waren sich die Punktrichter an diesem Abend im Sportforum Lichtenberg nicht einig. Ein Punktrichter sah Rocchigiani vorne, ein anderer sah Seillier vorne und der Dritte sah ein Unentschieden. Durch das Split-Decision Unentschieden behielt Seillier seinen Europameistertitel. Trotz dieser verpassten Chance konnte Rocchigiani später noch WBC-Weltmeister im Halbschwergewicht werden.

 

07.06.1999 Jürgen Hartenstein – Bruno Girard (FRA)

Bei dem Namen Jürgen Hartenstein müssen selbst eingefleischte Boxfans noch mal googeln. Am 07.06.1999 trat Jürgen Hartenstein (damals 8-2-1) im Palais Marcel Cerdan in Paris gegen den Franzosen Bruno Girard (damals 35-3-0) an. Die Kampfrekorde beider Boxer sowie der Heimvorteil von Girard legen den Verdacht nahe, dass Hartenstein hier nicht zum Siegen eingekauft wurde. Fehlendes Kämpferherz konnte man Hartenstein aber sicher nicht vorwerfen. Trotz Niederschlägen in der 1. und in der 3. Runde hielt der damals 28-jährige durch. In der 8. Runde nahm der Ringrichter den Deutschen trotzdem aus dem Kampf. Hartenstein beendete seine Karriere 2010 – gefühlt einige Jahre zu spät – mit einem Kampfrekord von 12-15-1.

 

27.01.2001 Danilo Häußler – Andrey Shkalikov (RUS)

Danilo Häußler hat den Europameistertitel insgesamt sechs Mal verteidigt und hält damit den deutschen Rekord. Am 27.01.2001 trat er gegen den Russen Andrey Shkalikov (damals 50-5-2) an. Der gebürtige Schwedter war damals erst 25 Jahre alt und hatte mit 15-0-0 den Kampfrekord eines aufstrebenden Talents. An diesem Abend in der Sachsen Arena in Riesa musste Danilo Häußler alles aus sich herausholen. Nachdem er sogar selbst einmal am Boden war, konnte er einen knappen Split-Decision Punktsieg für sich herausholen. Es folgte die längste Regentschaft eines deutschen Europameisters im Supermittelgewicht.

 

08.12.2007 Danilo Häußler – Christian Sanavia (ITA)

2003 hatte Danilo Häußler seinen Europameistertitel an den Dänen Mads Larsen verloren. Am 08.12.2007 wollte sich Danilo „seinen“ Titel in der St. Jakob Halle Basel gegen den Italiener Christian Sanavia (damals 40-3-0) zurückholen. Mit einem fragwürdigen Unentschieden Urteil blieb der Titel beim Italiener. Da Sanavia in der 7. Runde am Boden war und in der 9. Runde einen Punktabzug erhalten hatte, blieb ein fader Beigeschmack. Danach hatte Danilo Häußler nur noch einen Kampf. Mikkel Kessler – damals in seiner absoluten „Prime“ – schlug Häußler in der 3. Runde leider schwer KO.

Karo Murat / Foto: EC Boxing – Vedat Alyaz

12.04.2008 Karo Murat – Christian Sanavia (ITA)

Kurz darauf machte sich Karo Murat daran, die – aus Sicht der deutschen Boxfans – offene Rechnung mit Christian Sanavia zu begleichen. Im Jahnsportforum in Neubrandenburg trat der damals 24-jährige Murat mit einem Kampfrekord von 16-0-0 gegen den italienischen Veteranen an. Murat gewann einstimmig nach Punkten. Er verteidigte danach noch drei Mal den Europameistertitel. Das eröffnete Murat die Möglichkeit gegen die absolute Weltspitze zu boxen: Gabriel Campillo, Nathan Cleverly und Bernard Hopkins zählten zu seinen folgenden Gegnern. Und tatsächlich gewann der Kitzinger Murat später auch noch den EBU-Titel sowie den IBO-Weltmeistertitel im Halbschwergewicht.

02.06.2018 Robin Krasniqi – Stanislav Kashtanov (RUS)

Robin Krasniqi war bei seiner Chance auf den Europameistertitel bereits ein Veteran. Mit einem Kampfrekord von 47-5-0 hatte er bereits große Namen geboxt: Nathan Cleverly, Jürgen Brähmer und Arthur Abraham. Am 02.06.2018 stand er dem Russen Stanislav Kashtanov (damals 36-2-0) in der weeArena im bayerischen Bad Tölz gegenüber. Krasniqi fuhr einen überzeugenden Punktsieg ein und verteidigte danach den Titel noch einmal erfolgreich. Anschließend kam es zum Duell mit einem anderen Deutschen.

Stefan Härtel

11.05.2019 Stefan Härtel – Robin Krasniqi

Am 11.05.2019 kämpften das erste und einzige Mal zwei deutsche Staatsbürger um die Krone des Europameisters im Supermittelgewicht. Der amtierende Europameister Robin Krasniqi trat in der Stadthalle Magdeburg gegen den ehemaligen Olympiateilnehmer Stefan Härtel an. Härtel, der zu diesem Zeitpunkt einen Kampfrekord von 17-1-0 hatte, konnte sich an diesem Abend einstimmig nach Punkten durchsetzen. Was ist seitdem passiert? Härtel legte bald nach dem Kampf seinen Titel nieder und kämpfte mit Blick auf eine WM direkt um den Interconti-Titel der WBO. Leider hat der Berliner seit Beginn der Corona-Krise nicht mehr geboxt. Krasniqi war seit dem Kampf wesentlich aktiver und konnte im Halbschwergewicht sogar noch den IBO-Weltmeistertitel erringen.

 

19.11.2022 Emre Cukur – Kevin Lele Sadjo (FRA)

Am 19.11.2022 versucht es nun also Emre Cukur seinerseits die EBU-Europameisterschaft zu erringen. Mit mittlerweile 29 Jahren und einem Kampfrekord von 19-1-1 ist Emre Cukur auf dem Zenit seiner Leistungsfähigkeit. Erst vor wenigen Wochen hat er im heimischen Leo’s Boxgym gegen den ehemaligen Europameister Hadillah Mohoumadi Unentschieden geboxt. Die kurze Pause zwischen beiden Kämpfen erinnert an die Gewohnheiten von Old School Kämpfern, die sich auf große Kämpfe mit einem oder mehreren zeitnahen „Aufwärmkämpfen“ vorbereiteten. Es bleibt zu hoffen, dass der Münchener Techniker in Topform in den Ring steigt.

Quelle: Lionssport Promotion

Gegen den französischen Titelinhaber Kevin Lele Sadjo muss man Cukur als leichten Außenseiter sehen. Für den Franzosen spricht auf jeden Fall der Heimvorteil – geboxt wird in La Palastre in Cannes als Co-Main Event des WBA Cruisergewichtstitelkampfs zwischen Arsen Goulamirian und Aleksei Egorov. Außerdem spricht für den Franzosen die gewaltige Schlagkraft: 16 seiner 18 Gegner konnte Sadjo vorzeitig besiegen. Mit 32 Jahren ist Sadjo noch etwas älter als Cukur.

Für Cukur wird es erstens darauf ankommen, seine Beweglichkeit und Vielseitigkeit zu nutzen, um den schweren Schlägen Sadjos auszuweichen. Zweitens muss Cukur eine Strategie entwickeln, die Punktrichter trotz des Heimvorteils des Franzosen auf seine Seite zu ziehen. Emres deutliche Reichweitenvorteile und seine technischen Fähigkeiten müssen dabei eine Schlüsselrolle spielen. Die deutschen Boxfans drücken jedenfalls die Daumen, dass es für einen Sieg für den Münchener reicht. Er könnte sich damit einreihen in die namhafte Liste deutscher Titelträger.

Wer bei dem Titelkampf in Cannes mit dabei sein will, kann mit dem eigenen Fanbus aus München starten. Am Freitag um 00:00 geht es in München an der Bodenseestrasse 228 los. Der Bus wird also am Samstagmorgen an der Cote d’Azur ankommen. Samstagnacht nach dem Kampf geht es dann wieder zurück nach München. Tickets kann man unter +49171 332 54 48 bestellen.

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