Interview mit Bundestrainer Michael Timm
Michael Timm ist seit August 2012 Stützpunkleiter des Deutschen Boxsport-Verbands in Schwerin. Er ist der, der die Boxhalle frühmorgens aufschließt und spät am Abend wieder abschließt.
Timm lebt den Boxsport. Er ist Deutschlands erfolgreichster Trainer. Unzählige, Europa- und Weltmeister hat er ausgebildet sowohl bei den Profis als auch bei den Amateuren. Der Deutsche Boxverband trifft keine sportliche Entscheidung, ohne sein Meinung gehört zu haben.
Ungerechtigkeit mag Timm nicht. Dann kann er richtig wütend werden, wie zuletzt bei Artem Harutyunyans Niederlage auf der Weltmeisterschaft in Hamburg.
Herr Timm wenige wissen, dass sie ein sehr erfolgreicher Amateurboxer waren. Fünf DDR-Titel, zwei erste Plätze beim Chemiepokal sowie Gold bei der Europameisterschaft in Budapest sind einige der Meriten, die sie als Aktiver einsammelten. Wer war dabei eigentlich ihr härtesteter Gegner?
Ganz klar, Angel Espinoza. 1984 fand in Havanna ein Freundschaftsturnier statt. Für uns Sportler war es so etwas wie eine Ersatz-Olympiade, denn die DDR schloss sich dem Olympiaboykott der Sowjetunion an.
Ich boxte gegen Espinoza. Nach zehn Sekunden war meine obere Zahnreihe weg. Der Kubaner hatte sie mir trotz Mundschutz ausgeschlagen. Mit den verbliebenen Zähnen biss ich mich dann durch die Runden. Ich musste mich zum Schluss mit einem knappen 3:2 geschlagen geben.
EU-Meisterschaft der Frauen, danach Lehrgang in Hennef und zu guter Letzt die Elite-WM in Hamburg. Man bekommt den Eindruck, dass sie nur noch für den Boxsport leben. Was sagt ihre Frau dazu?
Durch die ganzem Maßnahmen und Höhepunkte war ich über sechs Wochen nicht daheim. Meine Frau ist den Kummer gewohnt, auch wenn es diesmal ein wenig heftig war. Gottseidank duzt sie mich noch.
Sind sie mit dem WM-Abschneiden der Deutschen zufrieden?
Mit den Leistungen bin ich zufrieden. Im Viertelfinale stellten wir neben unserem Bronzemedaillengewinner Abass Baraou fünf weitere Boxer. Allerdings hatten wir Lospech, denn fast alle kämpften im Viertelfinale gegen die späteren Weltmeister.
Abass Baraou war natürlich unser absolutes Highlight. Der Junge ist ein Ausnahmetalent und ich bin stolz auf seine Bronzemedaille, seine Leistung und seine Disziplin. Bei ihm passt alles. Er hätte ins Finale gehört, denn für mich hat er gegen den Kubaner Iglesias knapp gewonnen. Das ist meine persönliche Meinung und keine Kritik an dem Urteil oder gar an den Kampfrichterleistungen. Die waren in Hamburg übrigens ausnahmslos gut.
Aber bei Artem Harutyunyans Niederlage gegen den Usbeken Ikboljon Kholdarov waren sie sauer auf die Jury.
Das stimmt. Wie in aller Welt konnte Artem bei zwei Verwarnungen gegen den Usbeken verlieren? Ich hab das nicht verstanden.
Den Tag drauf analysierte ich die Videos und kam zum Ergebnis, dass ich direkt nach dem Kampf eine falsche Einschätzung abgegeben hatte. Artems Niederlage ging in Ordnung.
Hatte seine Niederlage etwas mit der Vorbereitung zu tun? Er trainierte ja zuhause in Hamburg, gemeinsam mit seinem Schwiegervater Artur Grigorian und nicht bei ihnen am Stützpunkt in Schwerin.
Sicherlich musste ich mich mit der räumlichen Trennung arrangieren, aber nein, ich glaube nicht, dass dies einen Einfluss auf seine Leistung hatte. Artem und Artur hielten sich an die aufgestellten Trainingspläne und nahmen an jedem Blocktraining im Stützpunkt teil. Wäre Artem nicht fit gewesen, hätte er bereits in der Vorrunde gegen Luke Mc Cormack verloren. Der Engländer ist immerhin Vize-Europameister.
Kommen wir noch einmal zurück zu Abass Baraou. Abass trainiert am Stützpunkt in Berlin und wird dort von Ralf Dickert betreut. Üblicherweise steht ein zweiter Stützpunkttrainer in seiner Ecke. Doch diesmal sekundierten sie. Ist das ein Zeichen dafür, dass Abass zu ihnen nach Schwerin wechseln wird?
Um Gotteswillen nein! Ich hatte bereits auf der Europameisterschaft mit Ralf Dickert in Abass Ecke gestanden. Bei der EM war kein weiterer Berliner Trainer da und Ralf hatte mich gefragt, ob ich ihm helfen könnte. Natürlich hab ich das gemacht und es hat sehr gut funktioniert. Immerhin ist Abass Europameister geworden. „Never change a winning Team“, das war der einzige Grund, warum ich bei der WM in Abass Ecke stand.
Das Team war wohl das jüngste, das der DBV je zu einer Box-WM geschickt hat. Haben wir die Staffel für die olympischen Spiele 2020 in Tokio gesehen?
Nicht nur für 2020, sondern auch für 2024. Aber es kommt noch besser: Wir haben einen zweiten Kader zur Verfügung, dessen Boxer jederzeit nach vorne stoßen können.
Für die Olympischen Spiele in Tokio werden sie jede Gelegenheit nutzen, um sich zu qualifizieren. Wie sieht es mit der World Series of Boxing aus? Durch gutes Abschneiden erhält man da ja auch die Chance auf ein Olympiaticket.
Das ist nicht ganz so einfach, denn viele unserer jungen Boxer sind physisch noch nicht stabil genug, um an dem knochenharten Turnier teilzunehmen. Hamza Touba, Omar El-Hag und Abass Baraou hätten die Reife. Ob allerdings eines der WSB-Teams sie draften würde, steht auf einem anderen Blatt.
Für ein deutsches Team bräuchten wir drei Kämpfer pro Gewichtsklasse und diese personelle Ausstattung sehe ich bei uns einfach nicht.
Herr Timm, ein Gedankenspiel. Es ist das Jahr 2019 und ich lese ihnen einige Schlagzeilen aus dem Sportteil der Tageszeitung vor. Bitte geben sie uns ein kurzes Statement:
DBV Präsident Jürgen Kyas wird neuer AIBA Präsident
Glaube ich nicht
Abass Baraou ist neuer Profi-Weltmeister der WBC
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Abass einmal Profi-Weltmeister wird, jedoch nicht 2019.
Michael Timm veröffentlicht seine liebsten Kochrezepte
Ich kann zwar kochen, doch zum Veröffentlichen reicht es nicht. Aber ich bin eine prima Putzfrau. Das können sie schreiben.
Herr Timm, ich bedanke mich für das Gespräch