Schattenboxer Teil 9: Sergei Kobozev

Schattenboxer – das ist Hinterhof. Das ist die Farbschicht, die von Betonwänden abblättert, an denen verblichene Bilder kleben: Bilder mit Scheinwerferlicht, Rotlicht und Blaulicht.

Schattenboxer – Die Geschichte von Sergei Kobozev

Wer im Licht steht, hat Mühe, die Schatten auseinanderzuhalten

1995 verschwand Sergei Kobozev spurlos und wurde als vermisst erklärt. Kobozov war ein talentierter Boxer aus Russland. In den frühen 90er Jahren immigrierte er nach Brooklyn, New York, weil er hier auf seinen Durchbruch hoffte und davon träumte, es bis zum Weltmeister zu schaffen. „Es ist schrecklich“, erklärte Lina Cherskikh damals der Polizei gegenüber. „Jeden Morgen wache ich auf, sehe Sergeis Bilder an den Wänden und fange an zu weinen.“ Lina, die Lebensgefährtin von Kobozev, lebte zusammen mit ihm und ihrem Kind in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung in einem Mietshaus mitten im Brooklyner Stadtteil Sheepshead Bay.

Kobozevs Verschwinden gab viele Rätsel auf: Um finanziell über die Runden zu kommen, arbeitete er regelmäßig als Türsteher in einem Nachtclub. Tagsüber ein ambitionierter Sportler und Familienmensch, nachts in Mafiakreisen verstrickt. Dennoch gelang es Kobozev diese völlig unterschiedlichen Lebensweisen zu trennen. Keine Hinweise auf Frauengeschichten, keine Hinweise auf ein zwielichtiges Doppelleben im Nachtclub. Trotzdem sorgte allein dieses Aufeineranderprallen der beiden Welten dafür, dass der talentierte Boxer von der Bildfläche verschwand.

Scheinwerferlicht

Kobozev begann als Jugendlicher mit dem Boxsport und war als Amateur Kapitän der russischen Armeemannschaft. Seine größten Erfolge waren der mehrfache Gewinn des nationalen Armeegürtels, 1987 die Militärvizeweltmeisterschaft und 1989 Bronze bei den Europameisterschaften.

1990 knockte Kobozev als Berufsboxer seinen einstigen Teamkameraden Shanavazov und 1994 den ehemaligen Olympiasieger Maynard aus. Im gleichen Jahr gewann der Russe den USBA-Titel im Cruisergewicht gegen Exweltmeister Robert Daniels. Einen Sieg über den späteren Schwergewichtsweltmeister John Ruiz hat Kobozev ebenfalls zu verzeichnen.

1995 stand er schon fast oben im Rampenlicht eines Champions, als er in Frankreich um die Interims-WBC-Weltmeisterschaft kämpfte. Dort unterlag er allerdings umstritten dem Argentinier Marcelo Dominguez durch eine nicht einstimmige Punktentscheidung.

Blaulicht

1999 in Livingston, New Jersey: Auf dem Anwesen von Alexander Spitchenko fand das FBI bei einer Razzia in einem versteckten Grab die Überreste einer Leiche. Bei dem Toten handelte es sich um Sergei Kobozev, der seit 1995 vermisst wurde. Sein verwester Körper wies Schusswunden im Rücken auf, das Genick war gebrochen. Dem Verdächtigen Spitchenko wurden Verbindungen zur Russenmafia nachgesagt, die durch Schutzgelderpressung, Prostitution, Raub und Betrug ins Visier der Bundespolizei geraten war.

„Ich war geschockt, als ich hörte, dass Sergei ermordet worden ist. Ich habe das Gefühl, dass da mehr dahintersteckt, als es den Anschein hat. Der Junge war ein Geldbringer in der Boxszene,“ erzählte Tommy Gallagher, Kobozevs früherer Manager und Trainer, der Presse. „Trotz seiner knappen Niederlage im letzten Kampf hatte er gute Chancen auf einen lukrativen WM-Fight.“

Obwohl 2001 mit Alexander Nosov, Vasiliy Ermichine und Natan Gozman drei Mitglieder der russischen Mafia des Mordes an Kobozev für schuldig gesprochen wurden, konnte der Fall nie restlos aufgeklärt werden. Immer wieder gab es zum Teil widersprüchliche Aussagen über das Motiv: Gerüchte über einen undurchsichtigen Bandenkrieg, einfache Rache oder mysteriöse Spionagetätigkeiten seitens Kobozev machen weiter die Runde.

Rotlicht

Kobozevs letzter Kampf – die Chronologie seines Verschwindens

1995 kommt es im Nachtclub „Paradise“ zu einer Auseinandersetzung, in die der Türsteher Kobozev verwickelt wird und dabei zwei Gäste des Hauses verweist. Bei den Beteiligten handelt es sich um Alexander Nosov (24) und Vasiliy Ermichine (22), die beide einer russischen Gruppe des organisierten Verbrechens mit mafiaähnlichen Strukturen angehören. Dieser Vorfall erweist sich scheinbar als tödliches Verhängnis für den aufstrebenden Boxer.

Einige Tage später will Kobozev seinen Wagen aus einer Werkstatt in Brooklyn abholen, als die besagten Alexander Nosov und Vasiliy Ermichine plötzlich dort auftauchen. Natan Gozman, dem die Autowerkstatt gehört und der ebenfalls in der Russischen Mafia verstrickt ist, sagt bei der Gerichtsverhandlung 2001 aus, dass der Boxer nicht sehr überrascht über diesen Besuch schien.

Kobozev soll es sogar zugelassen haben, dass Nosov freundschaftlich den Arm um seine Schulter legt und ihn in die Innenräume der Werkstatt geleitet. Dort entsteht aus ungeklärten Gründen ein Handgemenge, in dessen Verlauf Nosov plötzlich einen Revolver zieht und Kobozev in den Rücken schießt. Anschließend verfrachten die drei Männer den schwer verletzten Boxer auf den Rücksitz ihres Geländewagens und fahren einige Stunden ziellos in der Stadt umher.

Den sicheren Tod vor Augen fleht der schwerverletzte und blutüberströmte Kobozev mehrfach um sein Leben, doch Nosov meint dazu spöttisch, er solle seine letzten Atemzüge nicht sinnlos vergeuden. Am Ende bringt man den gequälten Boxer zum Anwesen von Alexander Spitchenko. Dort stirbt Sergei Kobozev grausam, als Vasiliy Ermichine ihm brutal das Genick bricht.

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