Winfried „Winne“ Spiering gründete vor 25 Jahren das Wiking Boxteam. Der heute 63-Jährige besorgte Ralf Rocchigiani seinen ersten Weltmeisterschaftskampf und führte Sebastian Sylvester zum Europa-Titel. Seine größte Freude war nicht der Sieg eines Boxers. Es war eine Nachricht, die ihm ein Teamkollege überbrachte.
Die Nordmänner greifen an
Winne Spiering liebt den Kampf Mann gegen Mann. 1966, mit 13 Jahren, zog er zum ersten Mal die Boxhandschuhe an. Er trainierte bei Lokomotive Greifswald mit der späteren Trainerlegende Fritz Sdunek. Beide absolvierten viele Trainings- und Sparringsrunden. Sdunek wurde DDR-Studentenmeister und Spiering Bezirksmeister. Später trennten sich ihre Wege. Während Sdunek nach Schwerin ging, blieb Spiering in Greifswald und legte die Meisterprüfung im Schlosserhandwerk ab.
Spiering fehlte das Talent, um als Boxer in der Staffel der DDR anzugreifen. Seine Qualitäten waren andere: Kampfgeist, Organisationstalent, einen Dickschädel, wie es ihn nur an der Küste Vorpommerns gibt und Visionen vom ersten Boxstall in Ostdeutschland.
1985 reiste er nach Westberlin aus. Einige Jahre später eröffnete er in Charlottenburg ein Fitnessstudio, an das er einen Boxstall anschloss. Noch war es mehr Liebhaberei, als ein lukratives Geschäft. Anfang 1992, zog er mit seinem Gym nach Friedrichshain und baute den Boxstall aufwendig aus. Es war die Geburtsstunde des Wiking Boxteams, dem ersten Profistall in den neuen Bundesländern.
Wiking passt zu Spiering, denn er hat einen Bizeps wie die Nordmänner, zieht wie sie in die Schlacht und nimmt dabei keine Gefangenen. Der gebürtige Greifswalder kam eher zufällig zu seinem ersten Event. Michael Pohl, Manager von Ralf Rocchigiani, klopfte bei ihm an. Rocchigiani musste unbedingt in den Ranglisten steigen, um die Voraussetzung für einen Europa- oder sogar WM-Kampf zu erfüllen.
Spiering ist ein Manager, der weiß wie man Boxer präsentiert und Kämpfe arrangiert. Er organsierte einen Box-Event mit dem Ziel, Rocchigianis Ranking zu verbessern. Als Termin einigte man sich auf den 25. April 1992. Rocchigianis Gegner war der Niederländer John Held, der ihn kurz zuvor besiegte. Sollte er wieder unterliegen, wäre es der Totalschaden für Rocchigiani und Pohl. Für das Wiking Boxteam wäre es ein denkbar schlechter Einstand gewesen. Doch soweit sollte es nicht kommen, denn „Rocky II“ besiegte in der TSC-Spielhalle in Friedrichshain den Holländer nach Punkten. Als kleines Bonbon gab es zusätzlich die deutsche Meisterschaft im Supermittelgewicht zwischen Andreas Schweiger und Andy Marks. Marks siegte. Er war der erste Athlet, den Wiking unter Vertrag nahm. Sein Kontrahent Schweiger arbeitete später als Punkt- und Ringrichter für den Bund Deutscher Berufsboxer (BDB).
Spiering und Pohl planten Rocchigianis nächsten Karriereschritt, den Kampf um einen WM-Titel. Nach zähen Verhandlungen wurden sie sich mit der World Boxing Organization (WBO) einig. Am 2. Oktober 1992 war es soweit. Rocchigiani kämpfte gegen Tyron Booze in der Berliner Deutschlandhalle um die WM im Cruisergewicht. „Ralf hat verloren, aber im Kampf war mehr drin“, ärgert sich Spiering noch heute. Kaum einer weiß, dass er mit diesem Titelkampf der WBO in Deutschland die Tür öffnete.
Rocchigiani musste aufgefangen werden, damit er seine Position in den Ranglisten hielt. Im Eiltempo arrangierte Spiering einen Kampf gegen Melvin Ricks. Nur knapp zwei Monate nach seiner Niederlage gegen Booze schlug er den US-Amerikaner in Suhl KO. Mit diesem Sieg kam das Wiking Team und der Profisport endgültig in den neuen Bundesländern an.
Auf die Frage, was einen erfolgreichen Wikinger ausmacht, schießt Spiering aus der Hüfte:
„Er muss die Kraft und Freude haben, für das Boxen zu leben. Den Rest bringen wir ihm bei.“ Die Sätze drücken Leidenschaft aus. Leidenschaft, die der erfolgreichste Wikinger mitbrachte – Sebastian Sylvester.
Hartmut Schröder, Spierings Cousin und Chefcoach des Teams, hatte ihm Sylvester empfohlen.
„Sebastian zeigte, dass sich durch Disziplin sowie Trainingsfleiß auch Erfolge einstellen“, erinnert sich Spiering. „Beinahe im Vorbeigehen entthronte er Dirk Dzemski und nahm ihm den Weltmeister-Titel des heute bedeutungslosen NBA-Verbands ab.“ Als Wikinger wurde Sylvester Europameister und verteidigte den Titel mehrfach. Danach kämpfte er gegen Felix Sturm um die Weltmeisterschaft der WBA. Er verlor. Der „Sturm-Schaden“ zog einen Riss durch das Team. Sylvester wechselte zu Sauerland.
Es wurde still um den Berliner Boxstall. Kämpfer kamen und gingen, der Erfolg blieb aus. Seit einem Jahr treibt eine frische Brise das Wikingerschiff wieder voran. Eduard Gutknecht meldete sich. Er wollte noch einmal in der Weltspitze mitboxen und Spiering sollte ihm die entsprechenden Kämpfe besorgen. Nach langem Überlegen ließ sich Spiering auf eine Zusammenarbeit ein. Gleichzeitig rüstete er seinen Boxstall auf. Talente wie Angelo Frank, Artur Mann und Elvis Hetemi kamen hinzu.
Und natürlich Eduard Gutknecht, der nach einer Odyssee durch Deutschlands Profiställe bei Wiking eine neue Heimat fand. „Energy Eddy“ lieferte erstklassige Kämpfe ab, vor allem gegen Jürgen Brähmer. Auch wenn er die Fights verlor, sie werden den Fans in Erinnerung bleiben. Gutknechts Karriere neigte sich dem Ende zu. Doch es gab noch Wünsche, die er sich erfüllen wollte. Zum Beispiel einen Kampf in seiner Heimatstadt Gifhorn. Spiering half ihm, sich den Traum zu erfüllen. Gutknecht träumte auch von einem WM-Titel im Supermittelgewicht und auf dem Weg dahin, von einem Gefecht gegen George Groves. Er wollte den Engländer um jeden Preis fighten. Spiering bekam es hin.
Am 18. November boxten Gutknecht und Groves in Wembley. Der Sieger sollte gegen Fedor Chudinov um die WBA-Superchamp-Krone kämpfen. Es reichte nicht für den Deutschen. Unter Standing Ovation verließ er den Ring. Auf dem Weg zur Kabine klatschten seine Fans ihn ab. Gutknecht hatte einen Cut am Auge, der in der Kabine genäht werden musste. Zum weiteren Checkup wurde er vorsorglich ins Krankenhaus gebracht. Dort begann die Tragödie, die alle Boxfans erschütterte: Notoperation, künstliches Koma, die Ärzte kämpften um sein Leben. Für Spiering war es der schrecklichste Tag seiner Karriere.
Nur hartgesottene Boxfans nahmen am Vormittag des 18. Dezembers auf den Stühlen des Bielefelder Sportpalasts Platz, um bei einem Box-Frühschoppen dabei zu sein. „All for Eddy“ war das Motto der Charity Veranstaltung zugunsten Gutknechts Familie. Ehrensache, dass auch Wikinger in den Ring kletterten. Hetemi und Frank zerlegten ihre Gegner. Spiering freute sich, aber unbeschreiblich war seine Freude, als ein Teamkollege ihm mitteilte: „Eddy wird langsam wach.“
Während seiner 25-jährigen Karriere organisierte Spiering über 50 Veranstaltungen. Henry Maske, Axel Schulz und Karo Murat boxten auf einem Wiking Event. Aber auch Arthur Abraham und sein Bruder Alexander kletterten in den Ring. „Damals hatte ich geglaubt, dass Alexander der Bessere wird“, erinnert sich Spiering, „Alexander hatte einen schönen linken Hammer.“
Unzählige Deutsche und internationale Deutsche Meistertitel nach Version des BDB zählen zu seinen Erfolgen. Andreas Liebig, Andy Marks, Niko Salzmann, Mario Schießer, Andreas Schulz, Thomas Troellenberg, Henry Weber und Steffen Wiesenthal sind einige von ihnen. Besonders stolz ist er auf Schießer und Wiesenthal. Sie waren die ersten beiden deutschen Schwergewichtsmeister, die aus dem Osten kamen.
Die Wikinger werden demnächst wieder einen Event aufziehen. Im März haben die Nordmänner vor, Parsberg zu „stürmen“. Einen Knaller verrät Spiering schon jetzt: Der Neu-Wikinger Ünsal Arik wird im Superweltergewicht seinen Einstand geben. Parsbergs Bürgermeister und die Stadtverwaltung wollen ihn dabei unterstützen. Weiterhin plant der rührige Box-Manager Ronny Gabel gegen Predrag Radosevic kämpfen zu lassen. Dabei wird es um den IBF-Continental-Titel im Superweltergewicht gehen.
Spiering hat mit seinem jungen Team noch einiges vor. Er wird es behutsam aufbauen und langsam an die großen Kämpfe heranführen. Dieses Jahr werden Artur „Thunderman“ Mann, Elvis „Hitman“ Hetemi und Angelo „Europa“ Frank um internationale Titel kämpfen.
Eines ist sicher: Wenn der Wikinger einmal vor Odin stehen wird, dann nur mit einem WM-Gürtel in der Faust.