Schattenboxer Teil 7: Luis Resto

Schattenboxer – das ist Hinterhof. Das ist die Farbschicht, die von Betonwänden abblättert, an denen verblichene Bilder kleben. Bilder von den Guten, den Bösen und den Hässlichen. Bilder, die manchmal eine Collage bilden. 

Schattenboxer – Die Geschichte von Luis Resto

Der Böse: „Ich hätte die Handschuhe nie anziehen sollen.“

Am 16. Juni 1983 wurde die Boxlegende Roberto Duran im Madison Square Garden Weltmeister. Genau an seinem Geburtstag. Es war eine gigantische Birthday-Party. Die Menge sang und Roberto hatte Tränen in den Augen. Doch es waren nicht die einzigen Tränen, die an diesem Boxabend vergossen wurden.

Luis Resto erinnert sich nur widerwillig an dieses Boxevent zurück. Dabei waren es damals nicht seine Tränen. Denn er hatte gewonnen, auf der Undercard gegen Billy Collins Junior. „Nein, ich hatte keinen Grund zu weinen. Nach meinem Sieg war ich so glücklich, träumte schon von einer Weltmeisterschaft. Aber noch im Ring wachte ich auf und fand mich in einem Alptraum wider.“ Aus diesem Alptraum ist Resto bis heute nie mehr erwacht.

Es ist 2016 in New York. Resto darf mietfrei im Keller eines Boxgyms in der Bronx wohnen. Dafür arbeitet er als „Mädchen für alles“, putzt die Toiletten und Umkleiden, macht Reparaturen, schließt morgens auf und abends ab. Unten im Keller hat er gegenüber den Toiletten einen kleinen, feuchten Raum mit Couch, viel Gerümpel und einem Fernseher. Dazu Zigarretten und Alkohol. Mehr braucht er ohnehin nicht. Er ist gezeichnet und gebrandmarkt. Jeder hier kennt seine seine dunkle Vergangenheit, weiß von seiner Haftstrafe und dem lebenslangen Boxverbot. Er hat versucht, seine Boxgenehmigung zurückzubekommen. Sein Antrag wurde abgelehnt. Er wollte als Cornerman arbeiten, aber auch dafür bekam er keine Genehmigung. An seinem Namen klebt Schmutz. Seine Geschichte eine einzige Niederlage.

Er flog von der Schule, da war er noch ein Kind. Die Lehrerin hatte ihn beschuldigt, dass er zu laut gewesen sei. Er sagte, er sei es nicht gewesen. Die Lehrerin glaubte ihm nicht, packte ihn am Ohr, da rammte er ihr seinen Ellbogen ins Gesicht. Resto versuchte abzuhauen, aber vor der Schule warteten schon zwei Polizeiautos. Die Polizisten nahmen ihn fest, sie verhörten ihn, dann brachten sie ihn ins Krankenhaus. Er kam sechs Monate in eine Einrichtung für psychisch kranke Jugendliche.

Als er wieder draußen war, meldete ihn sein Onkel in einem Boxgym in der Bronx an. Von da an hat Resto nie mehr etwas anderes getan. Sein Vorbild war schon damals Roberto Durán. Man nannte Durán „die steinerne Hand“, weil er angeblich mit 14 ein Pferd mit einem Schlag umgehauen hatte. So wie Durán, stark und furchteinflössend, wollte Resto  immer sein. Sein Ziel: raus aus dem Ghetto, raus aus den ärmlichen Verhältnissen, in denen er mit seinen sechs Geschwistern und seiner Mutter hauste.

1975 und 1976 gewann Resto die Golden Gloves, Amerikas wichtigste Trophäe im Amateurboxen. Noch heute trägt er die goldenen Handschuhe als Kette um seinen Hals. Einmal bot ihm jemand 1000 Dollar dafür. Er antwortete: „Diese Kette ist alles, was ich noch habe.“ Als Amateur startete er vielversprechend, als Berufsboxer weniger. Er wurde verheizt, falsch aufgebaut und verlor schon früh in seiner Profikarriere gegen zu starke Gegner. Der Kampf gegen Collins Junior war seine letzte Chance als Boxer groß rauszukommen, sich aus dem Ghetto zu fighten, ran ans Gold und ans Geld.

Nach dem Kampf gegen Collins Junior wurde festgestellt, dass Restos Boxhandschuhe manipuliert waren. Der Sieg wurde ihm genommen, ihm die Boxlizenz für immer entzogen. 1986 verurteilte man ihn deswegen zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Aus dem Gefängnis entlassen, fing Resto an zu saufen und zu koksen. Der Rausch gaukelte ihm zumindest stundenweise vor, dass selbst ihm armen Hund noch etwas Glück zustand in dieser beschissenen Welt.

Nur sehr selten redet Resto von etwas anderem als vom Boxen. Sein ganzes Leben hat sich immer nur ums Boxen gedreht. Das Boxen hat ihn zerstört und ihm doch Halt gegeben. Fragt man ihn nach seiner Familie, wird er still. Resto hat zwei Söhne mit einer Frau, die er 1974 kennenlernte, mit der er aber nie verheiratet war. Das letzte Mal besuchte er seine Söhne in Virginia vor ein paar Jahren. Sein jüngstes Enkelkind hat er noch nie gesehen.

Wenn man seine beiden Söhne fragt, ob Luis Resto ein guter Vater war, dann sagen sie: „Nein.“ Wenn man Luis Resto fragt, ob er ein guter Mensch war, dann sagt er: „Nein.“ Nur wenn man ihn fragt, ob er ein guter Boxer war, dann sagt er: „Ja. Ich hätte Weltmeister werden können.“ Das ist es, was ihn bis heute aufrecht hält. Die Erinnerung an eine Hoffnung auf ein Leben, das unter anderen Umständen vielleicht möglich gewesen wäre. Aber alles, was Luis Resto hätte werden können, hat er zerstört in jener schmutzigen Nacht im Jahr 1983 mit seiner Schuld, die später in einem Interview ans Licht kam:

„Bin Boxer. Hab nur getan, was ich soll: boxen!“
„Wer trägt die Schuld an dem Verbrechen, Luis?“
„Panama, mein Coach.“
„Und du?“
„Bin Boxer. Hab nur getan, was ich tun soll: boxen und gewinnen!“
„Du hast Billy schlimm verletzt, zerschlagen und gebrochen.“
„Wollte ich nicht.“
„Wusstest du, dass mit den Handschuhen etwas nicht stimmte?“
„Ja, hab gesehen, dass Panama vorher was auf dem Klo gemacht hat.“
„Was hat er denn genau gemacht?“
„Weiß nicht.“
„Warum hast du ihn nicht gefragt?“
„Hab ihn gefragt.“
„Was hat er gesagt?“
„Alles ok, mein Sohn. Will nur, dass du gewinnst. Hast es verdient.“
„Haben sich die Handschuhe anders angefühlt?“
„Bisschen.“
„Du hast Panama vertraut?“
„Ja. Hab ihm vertraut.“
„Du hast vor Gericht gesagt, du hättest es nicht gewusst.“
„Hab gelogen.“
„Warum sagst du erst zig Jahre später plötzlich die Wahrheit?“
„Weil ich nichts mehr zu verlieren hab und weil ich unschuldig bin.“
„Aber deine Hände waren sogar eingegipst.“
„Ja. War Wasser und Gips um die Bandagen.“
„Und das Wasser in den Pausen?“
„Da war manchmal auch was drin.“
„Was denn?“
„Weiß nicht, irgendwas gegen Asthma, damit man mehr Luft hat.“
„Doping?“
„Ja, irgendwas.“
„Hatte Panama Kontakte zu Drogendealern?“
„Er hatte immer Drogen, ja. Er hatte auch Kontakte.“
„Wer trägt die Schuld an Billys Tod?“
„Ich nicht.“
„Wer dann?“
„Ich hab ihn nicht umgebracht.“
„Aber er ist an den Folgen des Kampfes gestorben.“
„Er hatte einen Unfall mit dem Auto.“
„Weil er nicht mehr boxen durfte. Sein Leben war zerstört.“
„Ich durfte auch nicht mehr boxen.“
„Luis?“
„War nicht meine Schuld. Musste gewinnen. Um jeden Preis!“
„Luis?“
„Nicht schuld, Panama.“

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