Schattenboxer – das ist Hinterhof. Das ist die Farbschicht, die von Betonwänden abblättert, an denen verblichene Bilder gerne einfach durch neue Bilder ersetzt werden.
Schattenboxer – Die Geschichte von Michele Aboro
„Du bist nicht vermarktbar.“
Boxen ist ein schmutziger Sport, jedenfalls dort, wo es um Geld geht. Die Strukturen sind undurchsichtig, das Personal ist zwielichtig, und die Leute, die das Sagen haben, sind überwiegend Männer. Es ist eine Welt aus Machogehabe und Ganoventum. Dies musste die farbige Michele Aboro am eigenen Leib erfahren.
Aufgewachsen war die gebürtige Britin in einem südlichen Stadtteil Londons in bescheidenen Verhältnissen zusammen mit sechs Geschwistern. „Peckham hatte einen üblen Ruf. Die Polizei hielt sich lieber fern“, erzählte Aboro in ihrer Biographie. Aber tatsächlich sei das Zusammenleben dort sehr nachbarschaftlich gewesen. „Trotzdem sind solche Orte ein Ansporn. Du bekommst Hunger auf etwas Besseres.“
Diesen Hunger stillte sie mit Kampfsport und holte im Thai- und Kickboxen sämtliche Meistertitel in ihrer Gewichtsklasse, die es zu gewinnen gab. Als sich keine Gegnerinnen mehr fanden, wechselte die Ausnahmeathletin 1995 zum Profiboxen. Auch hier kämpfte sie sich unaufhaltsam empor, wurde Champion und war ungeschlagen. Doch das allein sollte nicht reichen.
Für Aboro lauerten die gefährlichsten Gegner vor allem außerhalb des Rings. „Die Nummer eins im Boxen ist das Marketing. Firmen wollen Sportler in eine individuelle Illusion, eine Traumfigur für Herrn oder Frau Norm verwandeln“, analysierte die bekennende Lesbe Mitte 2000 freimütig in einem Interview. „Ich bin eine Athletin und kein Playmate. Meine Hautfarbe ist ein Problem. Meine Sexualität ist ein Problem. Ethnizität ist ein Problem.“, kritisierte Aboro weiter. „Solange Du all das versteckst, ist es in Ordnung. Aber das kann und will ich nicht. Ich weiß, wer ich sein will und wer ich bin. Und nun habe ich ein großes Problem.“
Dieses Problem versetzte der Boxerin 2001 den Knockout. Plötzlich und unerwartet beendete Aboros damaliger Arbeitgeber, die Universum Box Promotion, ihren Vertrag. Für Aboro war das ein Schock. Sie forderte eine Begründung für die Kündigung und bekam nur zu hören, dass sie für ihren Arbeitgeber und dem Programmsender ZDF im Fernsehen nicht zu vermarkten sei. Vor Gericht setzte sie sich dagegen zur Wehr, doch am Ende ohne Erfolg. Nach jahrelangem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht bis hoch zum Europäischen Gerichtshof war sie es leid. Sie warf das Handtuch.
„Ich habe geklagt, um Arbeitsrechte einzufordern. Auch für andere Boxer. Wir sind keine Sklaven. Doch irgendwann erkannte ich, dass mein Kampf sinnlos ist“, begründete Aboro ihre Entscheidung den Rechtsstreit nicht mehr fortzuführen. Sie hängte die Boxhandschuhe als ungeschlagene WIBF-Weltmeisterin im Superbantamgewicht an den Nagel, widmete sich neuen Herausforderungen.
Heute lebt Michele Aboro in den Niederlanden und China und unterrichtet Kampfsportler und Kampfsportlerinnen in ihren eigenen Fitness-Studios in Zaandam und Shanghai.