Schattenboxer – das ist Hinterhof. Das ist die Farbschicht, die von Betonwänden abblättert, an denen verblichene Bilder ebenso verblichener Boxer kleben. Das ist der modrige Geruch selten gelüfteter Gyms, der nach außen hin übertüncht werden soll. Der Versuch eben diese bröckelnde Fassade zu überspielen.
Schattenboxer – Die Geschichte von Lee Canalito
„Als Boxer unausgefüllt. Als Schauspieler unausgefüllt. Zusammen ausgefüllt? Nicht wirklich.“
Die Filmgeschichte von Rocky Balboa, ein Niemand aus dem Ghetto, der aus Anlass der 200-Jahr-Feier der USA die Chance bekommt, gegen den Weltmeister Apollo Creed zu boxen und nur knapp nach Punkten verliert, erhielt 1976 drei Oscars. Und sie machte Sylvester Stallone, den Mann, der Balboa erfand und ihm cineastisches Leben einhauchte, zum Superstar.
Viele reale Boxer können das nicht verstehen. „Über diese Filme lache ich mich halb tot“, äußerte sich einst Mittelgewichtsweltmeister Marvin Hagler unmissverständlich, „sie sind Hollywood. Sie haben mit dem wirklichen Boxen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Stallone fiele bei mir in 30 Sekunden. Trotzdem hat er damit mehr Ruhm bekommen und mehr Geld verdient als ich, der Champion, im Leben. Verrückt.“
Noch verrückter allerdings: die Rockyfilme haben mehr mit dem Boxsport gemein, als es echte Boxer wahrhaben wollen. Inzwischen haben sich sogar authentische Fighter wie zum Beispiel Tommy Morrison oder Antonio Tarver als Schauspieler in der Rockysage auf Leinwand versucht. Umgekehrt hat Klitschko-Bezwinger Tyson Fury mit seinem Walk Inn als Apollo Creed einen Hauch von Hollywood in das reale Seilgeviert gebracht. Und es war ausgerechnet Klitschko, der betonte, dass ein guter Boxer immer ein guter Schauspieler sein muss.
Boxer und Schauspieler: Lee Canalito, ein großgewachsener und gutaussehender Hüne aus Houston ließ mit seinem Blick und seinem muskelbepackten Körper das Herz vieler Frauen höher schlagen. Doch nicht nur das! Er galt in den 80ern als eine der „weißen Hoffnungen“ in der Königsklasse mit einem imposanten Kampfrekord, der das Herz vieler Manager genauso berührte, wenngleich aus ganz anderen Gründen.
Zwischen 1977 und 1987 machte Lee Canalito mit spektakulären und kurzrundigen Knockoutsiegen auf sich aufmerksam. „Lee hatte Talent. Für einen Jungen seiner Größe konnte er sich verdammt gut bewegen und boxen“, schwärmte Canalitos Trainer Angelo Dundee (früherer Meistercoach von Boxgrößen wie Muhammad Ali und Sugar Ray Leonard). Und tatsächlich: Canalito kletterte zu dieser Zeit in den Ranglisten stetig nach oben.
Wegen seiner vielen Knockoutsiege führte man ihn bald unter den besten Schwergewichtlern der Welt und er stand damit sozusagen bereits im Vorhof zum goldenen (Box-)Paradies.
„Vorhof zum Paradies“, so hieß 1978 auch ein Kinostreifen von Sylvester Stallone. Für diesen Film suchte Stallone nach einem geeigneten Mann, der einen Wrestler verkörpern sollte. Im berühmten „5th Street Gym“ von Dundee wurde er auf Lee aufmerksam und wollte ihn als Schauspieler verpflichten. Canalito sagte zu diesem Angebot nicht „nein“ und machte seine Rolle gar nicht mal so schlecht. Allerdings konnte das Filmdrama weder die Erwartungen des Publikums erfüllen noch an den überwältigenden Erfolg von „Rocky“ anknüpfen. Und auch Canalito sollte im Vorhof hängen bleiben. Als Schauspieler wie als Boxer!
Canalito blieb als Profiboxer zwar unbesiegt, wurde sogar von Sylvester Stallone gemanagt, doch seine Verbindung zwischen Boxen und Schauspiel war gleichzeitig Fluch und Segen. Er musste die Boxkarriere wegen diverser Filmangebote immer wieder unterbrechen. Und eben durch seine Kontakte zum Showbizz erlag er mehr und mehr den Versuchungen und Verlockungen, mit denen Hollywood viele Hoffnungen köderte.
Canalito durfte verschiedene Gastrollen in amerikanischen Fernsehserien spielen, war auf vielen Partys ein umschwärmter und gerngesehener Gast. Doch der Tanz auf zwei Hochzeiten hatte seine Schattenseiten: vor allem, weil Canalito zwischen Beruf und Berufung nur mühsam unterscheiden konnte. Er veränderte sich. Die langjährige Beziehung zu seiner Schulfreundin ging in die Brüche und 1981 verpasste er sich als Schauspieler selbst einen Schlag unter die Gürtellinie. In der Rolle als Tarzan durfte er mit Erotikstar Bo Derek ein paar Tage halbnackt im „Rumble of the Jungle“ herum turnen, wurde dann aber kurz vor Drehbeginn von Produzent und Regisseur John Derek, dem Ehemann der schönen Bo, gefeuert, weil er dem Ehepaar körperlich nicht gut in Form schien oder er vielleicht zu wild zu „Jane“ war.
Vorgesehen war auch ein Kampf gegen Gerry Cooney, eine andere berühmte „weiße Hoffnung“ in den 80ern, der schon um die Weltmeisterschaft kämpfte. Diese Auseinandersetzung platzte, weil Canalito zu hohe Forderungen stellte oder er rechtzeitig erkannte, dass sein Boxrekord nur einer künstlich aufgebauschten Fassade glich und er nicht wirklich das Zeug für einen großen Boxer oder Schauspieler hatte. In Hollywood zerplatzen viele Träume schlagartig, im Boxring zwischen den Seilen genauso.
1987 zog sich Canalito unbesiegt aus dem aktiven Boxerleben zurück. Heute arbeitet er in seinem VIP Boxing Gym als Personal- und Boxtrainer.