Schattenboxer Teil 10: Angel Robinson Garcia

Angel Robinson Garcia (links)

Schattenboxer – das ist Hinterhof. Das ist die Farbschicht, die von Betonwänden abblättert, an denen viele Bilder kleben: darunter ein Schnappschuss von einem Reisenden ohne Ziel.

Schattenboxer – Die Geschichte von Angel Robinson Garcia

„Ich glaub, es fing in London an. Ich trank bisschen zuviel.“

Ich hab mal einen gekannt – Bojangles, ja, so hat der geheißen – der tanzte. Tanzte in seinen ausgelatschten Schuhen, in seinem ausgefransten Hemd und den ausgebeulten Hosen. Graues, fast silbernes Haar. Ganz weich hat der getanzt. Springen konnte er wie kein anderer, hoch, und aufgekommen wie ´ne Feder so leicht.

Getroffen hab ich Angel das erste Mal 1958 in Dundees Gym in Miami. Er trug ´nen sündteuren Anzug, rauchte Zigarre. War was Besonderes, hatte ständig ´nen Lächeln und ´nen Witz auf den Lippen. Die Weiber waren verrückt nach ihm. Er war´n Journeyman, war´n Boxer, der in den Ring steigt, wenn man ´nen Verlierer braucht. Ist aber nur die halbe Wahrheit. War´n echter Fighter, hat über 300 mal gekämpft, die Hälfte davon gewonnen. Nur einmal k.o. Und auch nur, weil er da ´nem sexy Weib im Publikum zugewunken hat.

Mit 18 angefangen als Profi. Kam aus Kuba. Von dort wegen Castro abgehaun. War´n Tänzer, war´n Techniker. War ihm egal gegen wen und wo er kämpft. Hat sie alle geboxt. Viele Champions, viele große Namen. Duran, Benitez, Sugar Ray, De Jesus, Mamby, Buchanan. Und niemand von denen schaffte ihn auf die Bretter. Der hatte echt was drauf. Hätte selber Champion sein können. Wollt aber lieber dauernd feiern, trinken und tanzen.

Wollten ihn überall boxen sehen. In Havanna, Mexico City, Caracas, Miami, Panama, Paris, Mailand, Rom, Vegas, London, Brüssel, Frankfurt, Tunis, Barcelona, Genf und was weiß ich wo. War einfach überall. wollt das Leben geniessen, die Welt kennen lernen. Kämpfte jeden Monat. Ohne Pause. Welches Gewicht, welcher Gegner? Scheißegal, hauptsache Geld. Von der Bar direkt in den Boxring. Immer lachend. Immer Hauptattraktion. So ging das jahrelang.

„Heut tanz ich hier, schon für ein Bier.“

Er hat mich damals angesehen, als wäre er die Weisheit des Alters in Person. Und dann hat er begonnen zu erzählen. Hat mir sein ganzes Leben erzählt. Hat mir von der Zeit erzählt, als er durch die ganze Welt tingelte. Und dann sprach er von den fünfzehn Jahren, als er mit seinem Hund überall rumzog. Und dann war sein Hund gestorben. Und jetzt, nach zwanzig Jahren, muss er immer noch weinen deswegen.

Hab Angel das letzte Mal 1975 gesehen. Immer noch ne Zigarre paffend und ein breites Grinsen im Gesicht. Aber paar Zähne weniger und schlampige Kleidung. Und die Weiber wollten nichts mehr wissen von ihm. Hat immer noch im Ring gestanden. Obwohl er auf `nem Auge blind war inzwischen. Konnte ihn aber immer noch keiner zu Boden schicken. Und machte all seinen Gegnern das Siegen schwer.

Alkohol, mein Junge, hat er gesagt und den Kopf geschüttelt. Dann hat er gelacht, ist auf die Beine gesprungen. Bojangles, hat er gesagt, heißt er. Und dann hat er getanzt. Mein Gott, der konnte tanzen!

1978 stand Angel Robinson Garcia das letzte Mal offiziell im Boxring. Dann wurde er aus gesundheitlichen Gründen von allen Verbänden mit einem Boxverbot belegt. Doch Garcia kämpfte weiter. In den Boxgyms verdingte er sich als Sparringspartner. Von irgendetwas musste er leben und er hatte nie etwas anderes gelernt als zu boxen. Irgendwann taugte er nicht mal mehr als lebender Sandsack. Am Ende landete er als obdachloser Bettler auf den Straßen von Paris. Fast blind, das Gesicht voller Narben und körperlich ein Wrack.

Der Legende nach wurde er dort vom großen französischen Schauspieler Jean Paul Belmondo entdeckt, der sich um ihn kümmerte und ihm seinen letzten Wunsch erfüllte. Garcia war sterbenskrank und wollte nur noch heim nach Kuba. Belmondo kontaktierte die kubanische Regierung und übernahm sämtliche Kosten, so dass Fidel Castro ihm die Rückreise in sein Heimatland erlaubte, wo er 2000 in seinem Geburtsort Havanna verstarb.

„Dieser kubanische Bastard weiß so viel übers Boxen. Ich will, dass er mir was beibringt!“ – Boxlegende Roberto Duran über Garcia

„Hey, Mr Bojangles, komm, tanz für uns. Bitte Einmal noch. Los.“ – Mr. Bojangles – Liedtext

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