Mit einem weiteren Erfolg zementiert Usyk seinen Status als Nummer 1 im Schwergewicht. Furys Zukunft bleibt offen.
Am Samstag waren wieder sämtliche Augen nach Riad, Saudi-Arabien, gerichtet. Dort versucht man seit einigen Jahren, mit Sportswashing eine Relevanz zu entwickeln, wodurch nicht nur Saudi-Arabien Gesprächsstoff bietet, sondern zeitweise auch der Mittelpunkt der sportaffinen Welt wird. Dieses Konzept kostet massiv viel Geld, trägt aber Früchte, weshalb große Veranstaltungen im Boxsport in Riad kaum mehr wegzudenken sind.
Eines dieser großen Events war zweifellos das Rematch zwischen Oleksandr Usyk (23-0) und Tyson Fury (34-2-1) im Schwergewicht. Beim ersten Aufeinandertreffen in Riad gelang Usyk ein verdienter Punktsieg, wodurch er zum ersten Undisputed-Champion seit Lennox Lewis (41-2-1) avancierte. Historie zu schreiben, das konnte Usyk in der jüngeren Vergangenheit schon häufiger. Neben dem Triumph im Schwergewicht vereinigte er auch sämtliche Gürtel im Cruisergewicht, gewann dort nebenbei die World Boxing Super Series und holte bei den Olympischen Spielen als Amateurboxer Gold. Eine durchweg dominante und großartige Karriere, die nun bald auf die Zielgeraden im Profibereich einbiegt.
Fury war die große Unbekannte vor dem Kampf
Von Usyk wusste man durchaus, was man erwarten konnte: einen absoluten Modellathleten, der Beweglichkeit mit einer enormen Stamina vereint und die beste ukrainische Boxschule verkörpert. Bei Fury war die Erwartungshaltung hingegen deutlich schwammiger. Der selbsternannte „Gypsy King“ hat mit manischen Phasen zu kämpfen und wirkt häufig unkontrollierbar. Nicht selten führt das zu exzessivem Konsumverhalten, was mit dem gewissenhaften Lebensstil eines umsichtigen Leistungssportlers unvereinbar ist. Fury wurde beispielsweise total betrunken in einer Bar in Großbritannien gesehen, von der Security hinauskomplimentiert und fiel später eigenständig auf die Straße. Ein Verhalten, das vielleicht ein übermütiger Teenager zeigt, doch ein siebenfacher Familienvater sollte sich derweil besser im Griff haben.
Aber genau dies zeichnet den Charakter Tyson Fury etwas aus. Er ist unberechenbar und teilweise auch nicht nahbar, was eine gewisse Faszination auslöst. So war stets unklar, welche Version von Tyson Fury man im Rematch erleben würde. Könnte die Niederlage so stark an ihm nagen, dass er psychisch implodiert und komplett untergeht – oder weckt die Schmach unerwartete Kräfte und einen Trainingsfleiß, um erst recht seinen Kritikern und sich selbst zu beweisen, dass er die eigentliche unschlagbare Nummer 1 ist?
Vor dem Kampf gab es erste Hinweise auf beide Athleten bei der Waage. Beide brachten ein Karrierehöchstgewicht mit. Bei Usyk fiel die Steigerung mit 102,5 kg marginal aus, doch Fury legte im Vergleich zum Mai 8,7 kg zu, was mit 127,5 kg durchaus bemerkenswert erschien. Doch welchen Einfluss würde dies auf den Kampf haben?
Enger Auftakt mit Vorteilen bei Usyk
Das Vorprogramm fiel für ein Riad-PPV außergewöhnlich schwach aus, weshalb sich die Kampfsportfans umso mehr auf das Main Event freuten. Usyk galt als Titelverteidiger durchaus als Favorit, doch Tyson Fury durfte man keineswegs unterschätzen. Die ersten Runden im Kampf verliefen auch recht ausgeglichen. Beide belauerten sich, Usyk punktete mit Aktionen zum Körper, was ihm gut gelang. Insgesamt handelte es sich um Abtastphasen mit vereinzelten Höhepunkten, die jedoch kaum in Erinnerung blieben. Dennoch konnte man Usyk in den ersten beiden Runden leicht vorne sehen.
Fury etablierte sich dann von Runde zu Runde besser. Zwar schien er nicht in bester physischer Verfassung zu sein, zeigte dies jedoch im Boxring nicht. Der Jab kam durchaus stark, und er arbeitete viel mit Finten. Damit konnte er den Kampf enger gestalten und punktuell überzeugen, wodurch die Begegnung in der ersten Kampfhälfte tatsächlich recht ausgeglichen wirkte.
Fury wird stärker – hält er das Tempo auch durch?
Wer erwartet hatte, dass Fury den Kampf besonders physisch gestalten würde, der irrte. Der Brite bewegte sich viel im Rückwärtsgang und ließ Usyk marschieren. Dennoch waren die Runden sehr abwechslungsreich. Beispielsweise kam Fury in der fünften Runde mit Uppercuts gut durch und schindete Eindruck, nur um wenig später vom aktiven Usyk in Runde 6 mit zahlreichen Körpertreffern outworked zu werden. Es war häufig ein Hin und Her, was sich die Boxsportfreunde vor dem Kampf sicherlich erhofft hatten.
Man konnte in den mittleren Runden schon festhalten, dass Fury keineswegs durch das erhöhte Gewicht in einem desolaten Zustand wirkte. Zugleich zeigten seine Treffer jedoch auch keine überragende Schlagwirkung, was möglicherweise seine Hoffnung gewesen war. Usyk nahm gute Treffer, spürte sicherlich den ein oder anderen kurz, blieb jedoch stets unbeeindruckt und arbeitete daraufhin selbst aktiv weiter. Somit ging ein enger Kampf in die finale Schlussphase, was an die erste Begegnung im Mai erinnerte, die ähnlich verlief. Dort konnte Usyk noch einmal groß aufdrehen und sich den Sieg sichern.
Fury versucht, den Kampf physischer zu gestalten – Usyk bleibt frischer und erfolgreicher
Der zuvor ausgeglichene Kampf kippte so gegen Runde 8 oder 9 zunehmend zugunsten von Usyk. Zwar hatte Fury weiterhin seine Momente, lieferte auch gute Jabs und Uppercuts, doch Usyk war aktiver. Fury musste häufig im Rückwärtsgang agieren und suchte immer häufiger den Clinch, was auf gewisse konditionelle Mängel hindeutete. Usyk, der ein Meister der Stamina ist, wirkte in den hinteren Runden bestimmender.
Dies erkannte auch Furys Ecke, die beispielsweise einen KO in der letzten Runde forderte, doch dazu reichte es nicht mehr. Usyk konnte auch in der Endphase der finalen Runde gute Akzente setzen, wodurch er sich diese ebenfalls sicherte.
Rein objektiv betrachtet ging also ein Titelkampf über 12 lange Runden, der lange ausgeglichen schien, aber in den hinteren Runden zunehmend zugunsten von Usyk verlief. Damit verteidigte der Ukrainer erfolgreich seine Titel … oder etwa nicht? Schließlich befand man sich im Profiboxen, wo Fehlurteile keine Seltenheit sind.
Usyk erhält den verdienten einstimmigen Punktsieg
Etwas Ungewissheit gab es vor dem Punkturteil dann doch. Könnte Tyson Fury auf den Scorecards möglicherweise begünstigt werden? Hat er zumindest genug für ein Unentschieden getan? Diese Fragen waren nicht unberechtigt, doch mit der finalen Phase des Kampfes wäre ein Unentschieden oder gar ein Sieg für Fury absolut unvertretbar gewesen.
Zum Glück sahen das auch die Punktrichter, die Usyk mit einem einstimmigen Urteil von 3x 116-112 vorne sahen. Das Urteil ist durchaus nachvollziehbar und spiegelt den Kampfverlauf wider. Fury hat keineswegs schlecht gekämpft, auch nicht zwingend schlechter als im ersten Duell. Er hatte seine Momente, doch reichten diese nicht, um sechs oder mehr Runden für sich zu entscheiden. Usyk bleibt somit die klare Nummer 1 im Schwergewicht. Er ist natürlich auch ein Kandidat für die P4P-Nummer-1-Liste neben Naoya Inoue (28-0) und Terence Crawford (41-0).
Dubois mit einer unangenehmen Kampfansage nach dem Triumph
Lange konnte Usyk seinen Triumph in Riad jedoch nicht auskosten, denn er sah sich sehr schnell IBF-Champion Daniel Dubois (22-2) im Ring gegenüber. Beide trafen bereits im August 2023 in Breslau aufeinander, wo Usyk vorzeitig siegte, allerdings nach einem zuvor kontrovers diskutierten Tiefschlag. Dubois stolperte nun in den Ring und forderte Usyk zu einem Rematch heraus, was dem Ukrainer sichtlich nicht schmeckte. Verständlich – Usyk hatte gerade einen weiteren Meilenstein in seiner Karriere gesetzt. Ein lauter Herausforderer unmittelbar danach ist verständlicherweise eher störend. Zudem steht Dubois im Februar selbst noch eine Aufgabe gegen Joseph Parker (35-3) bevor, die er zunächst bewältigen sollte.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Usyk das Maß aller Dinge im Schwergewicht darstellt. Er ist ein historischer Kämpfer, der zahlreiche Erfolge vorzuweisen hat. Vom Amateurbereich bis hin zum oft dubiosen Profisegment konnte sich Usyks Qualität überall durchsetzen. Er hat sich nichts ins gemachte Nest legen lassen, wurde nicht von Promotern hofiert, sondern suchte die Herausforderungen im Ausland, begab sich in die Höhle des Löwen – und blieb siegreich. Usyk ist eine beeindruckende und sympathische Ausnahmeerscheinung im Schwergewicht. Umso erfreulicher ist es, wenn er noch einige Jahre auf höchstem Niveau erhalten bleibt.