Nordhäuser Bundesliga-Boxer erobern Tabellenspitze – Wie gegen Prag bringt erst der letzte Kampf die Entscheidung zugunsten des NSV
Autor: Johann Reinhardt / Fotos: Christoph Keil
Der Bundesliga-Spitzenkampf zwischen dem Nordhäuser SV (2.) und Motor Babelsberg (1.) avancierte zum erwartet heißen Tanz auf der Rasierklinge. Lange sah es nach einem Auswärtserfolg für die Gäste aus Babelsberg aus, die nach dem vierten Kampf im Weltergewicht bei noch drei ausstehenden Duellen nur einen Punkt vom Mannschaftssieg entfernt waren. Das NSV-Septett fightete aber aufopferungsvoll bis zum Schluss und machte mit den Zuschauern im Rücken das unmögliche möglich: Getreu dem Motto „Aller guten Dinge sind drei“ sorgte Superschwergewichtler Vladimir Ivanov wie schon in den Aufeinandertreffen mit Prag im letzten Kampf des Abends für die Entscheidung zugunsten der Hausherren.
„Der Sieg war ein Sieg für die Moral. Jeder im Team hat von der ersten bis zur letzten Runde alles gegeben, das war eine geschlossene Mannschaftsleistung“, lobt Cheftrainer Andreas Dietrich-Scherfling. Durch den 11:10 Erfolg über die bis dato punktgleichen Babelsberger schoben sich die Nordhäuser auch in der Tabelle an ihnen vorbei und gehen als Spitzenreiter auf ihrer Mission Titelverteidigung in das neue Jahr 2016.
Personell mussten die NSV-Verantwortlichen mehr Positionen umstellen als ihnen lieb war. Im Bantamgewicht bis 57 Kilogramm fielen sowohl Dias Kuzembaew und Erik Sokolov aus, sodass mit Alan Digidov ein Thüringer das Vertrauen des Trainerteams erhielt. Gegen den Fünften der diesjährigen Europaspiele, dem Berliner Omar El-Hag, hielt der 23-jährige Weimarer trotz noch vorhandenen Trainingsrückstandes lange gut dagegen. „Er bot dem Favoriten aus Babelsberg über weite Strecken Paroli und versteckte sich nicht“, lobt Dietrich-Scherfling. Trotzdem behielt der physisch überlegene El-Hag die Oberhand und brachte die Gäste aus Brandenburg erstmals in Front.
Die zweite Änderung gab es gezwungenermaßen im Leichtgewicht, wo Tobias Tatati aufgrund der K.O.-Schutzsperre aus dem Kampf gegen Prag passen musste. Für NSV-Manager Michael Döring zahlten sich seine Kontakte nach Polen aus, denn mit dem dortigen Vizemeister Radomir Obrusniak verpflichtete er einen mindestens gleichwertigen Ersatz. Obrusniak bekam es mit keinem geringeren als Motor-Kapitän Atdhe Gashi zutun, doch der quirlige 21-Jährige hielt Gashi, dem seine verletzungsbedingte Wettkampfpause anzumerken war, in Schach und sorgte für den zwischenzeitlichen 8:8 Ausgleich.
Aber wer nun dachte, der Rest des Abends würde ein Selbstläufer werden, der hatte sich getäuscht. „Wir wussten, dass jeder Kampf sowohl in die ein als auch andere Richtung kippen kann. Auf diesem Niveau entscheidet die Tagesform. Das sind absolute Weltklasse-Boxer“, blickt Döring zurück. So musste sich erst NSV-Kapitän Kastriot Sopa Eugen Dahinten im Duell der Deutschen Meister der Jahre 2014 und 2015 geschlagen geben und anschließend auch Balázs Bacskai nach einem knappen 2:1-Urteil Abass Baraou beugen. Da Dahinten nach einem Kopfstoß in der zweiten Runde bereits einen Punktabzug erhielt, wurde vor allem das Urteil gegen Publikumsliebling Sopa mit Pfiffen quittiert. „Zumindest ein Unentschieden wäre gerecht gewesen“, ärgert sich der 23-Jährige im Nachhinein.
Nun waren die Nordhäuser unter Zugzwang, denn bei noch drei ausstehenden Kämpfen waren die Gäste beim Stand von 10:8 nur einen Sieg vom Mannschaftserfolg, gleichbedeutend mit einem großen Dämpfer im Kampf um die Titelverteidigung, entfernt. „Nachdem sich auch Balázs geschlagen geben musste, habe ich schon etwas gezweifelt, wir durften uns keinen Ausrutscher mehr erlauben“, gibt Dietrich-Scherfling zu. Denn im Mittelgewicht wartete mit Josef Attanjaoui für NSV-Schützling Denis Radovan alles andere als eine einfache Aufgabe. Beide Boxer gehören seit Jahren zur nationalen Spitze, trafen bereits zwei mal aufeinander – die bisherige Bilanz von 1:1 ließ ein Duell auf Augenhöhe erwarten. Doch Radovan, der die Olympischen Spiele in Rio noch fest im Blick hat, spielte von Beginn an seine technische Überlegenheit aus und setzte gegen den teils unsauber kämpfenden Babelsberger die klareren Treffer. Nachdem er im Vorjahr noch aufgrund von Verletzungen und internationalen Abberufungen passen musste, entwickelt sich Radovan nun mehr und mehr zu einem nicht mehr wegzudenkenden Leistungsträger.
Nachdem der in Schwerin trainierende Kölner den Anschluss herstellte, war das Publikum als sooft betitelte „dritte Hand im Ring“ wieder voll da. Getragen von den über 1200 Zuschauern gelang es mit Ibragim Bazuev auch dem dritten Debütanten den Sieg einzufahren und vor dem letzten Fight im Superschwergewicht alles offen zu halten. „Ich freue mich über die Chance für Nordhausen zu boxen und der Mannschaft heute damit weiter geholfen zu haben“, so ein glücklicher Bazuev, der im Halbschwergewicht verletzungsbedingt Leon Bunn ersetzte.
Es lag also erneut an Vladimir Ivanov, die Nordhäuser Aufholjagd mit Erfolg zu krönen. Seit seiner Verpflichtung in der Vorsaison ist der Russe ein sicherer Punktegarant der Nordhäuser Equipe. Daran konnte auch der kurzfristig von Motor-Trainer Ralph Mantau verpflichtete Bulgare Petar Belberov nichts ändern. Nachdem sich Ivanov in der ersten Runde noch von überfallartigen Angriffen seines Kontrahenten überraschen ließ, fand er in der Folgezeit getragen von „Vladimir, Vladimir“-Sprechchören immer besser in den Kampf und ließ bei einem einstimmigen Urteil der Punktrichter keine Zweifel aufkommen.
Zum dritten Mal in Folge fiel die Entscheidung über Sieg oder Niederlage erst im Superschwergewicht, abermals mit dem besseren Ende für die Nordhäuser. „Natürlich hätten wir uns manchmal etwas klarere Siege gewünscht, aber solche Geschichten schreibt eben nur der Sport“, ist NSV-Manager Döring anschließend hin- und hergerissen. Nach dem dritten Erfolg in Serie ist die Nordhäuser Boxstaffel in der laufenden Bundesliga-Saison weiter ungeschlagen und geht zur Halbzeit als Tabellenführer in die Weihnachtspause. Nächster Gegner ist auswärts am 30. Januar der BSK Hannover-Seelze.