Kommentar: Wie man das Boxen in Deutschland nicht rettet

Zugegeben, als ich das erste Mal darüber laß, dass Universum Boxing um Promoter Ismail Özen-Otto Youtuber-Kämpfe veranstalten will, musste ich schmunzeln. Klar ist, dass die Idee keine neue ist und die Vorbilder aus den USA zeigen, dass sowas durchaus funktionieren kann, denkt man da nur mal an Logan & Jake Paul, KSI und Konsorten. Warum also nicht auch in Deutschland?

Sind Influencer-Fights der Heilige Gral zur Rettung des Boxsports?

Aus geschäftlicher Sicht war das Ding für mich klar: Youtuber, TikToker, Instagramer, von mir aus auch Onlyfans-Content-Creator und andere Persönlichkeiten, die ihr Geld heutzutage nicht mit „klassischer Arbeit“ verdienen, sondern mit der Vermarktung ihrer Person, haben hohe Anhängerschaften, teilweise auch „Rockstar-Status“. Die Reichweiten dieser Influencer sind immens, übersteigen oft sogar die Millionenhöhe. Nutzt man als Promoter deren Reichweite geschickt, könnte man damit nicht nur Geld verdienen, weil deren Follower die Kämpfe ihrer „Idole“ sehen wollen und so PPV-Tickets oder durch Werbung monetarisierte Youtube-Streams ansehen.

Der Boxsport würde vor allem die jüngere Zielgruppe somit auch besser durchdringen und erreichen und im besten Fall zu echten Boxfans machen, denn die Showfights (wie zuletzt Sinan-G vs. Mo Abdallah) finden meist erst als letztes statt. Zuvor lassen die „echten“ Boxerinnen und Boxer die Fäuste fliegen, eventuell schalten hier schon die Follower zusätzlich zu den „echten Boxfans“ ein. Warum also sollte dies nicht auch dem Boxen in Deutschland dienlich sein? Mit den Einnahmen aus der Vermarktung der Influencer-Kämpfe kann man gute Ansetzungen zwischen Berufsboxern finanzieren, außerdem lockt man eine Vielzahl Zuschauer in die Hallen. Heutzutage ist es in Deutschland leider oft so, dass bei den Veranstaltungen selbst nicht mal so viele Menschen zu den Kämpfen kommen, wie bei den Ansetzungen aus Übersee zum offiziellen Wiegen zugegen sind…

Als dann die ersten solcher Kämpfe hierzulande über die Bühne gingen (wobei: Promiboxen gab es auch im Privatfernsehen schon), ging auch der Plan des Promoters Özen-Otto auf. Universum Boxing erzielte Aufrufe über den eigenen Youtube-Kanal in Millionenhöhe, mehrere hunderttausend Zuschauer schauten gleichzeitig einen Onlinestream an, der nur durch die Influencer selbst bzw. Social Media und ein wenig Yellow Press beworben wurde. Das sind Zahlen wovon andere Promoter nur träumen können! Die Fans/Follower wurden unterhalten – mit Sport hatte das aber natürlich nichts zu tun. Dennoch fanden eben auch richtige Boxkämpfe mit Beteiligung zahlreicher talentierter Athleten statt, die einem breiten Publikum vorgestellt wurden. Für die Boxer ist dies sicher auch ein gutes Gefühl, dass die lange Vorbereitung, welche durch Leistung im Ring endet, von einer Vielzahl Menschen bewundert wird.

Doch mit jeder weiteren Veranstaltung wurde die anfänglich gute Idee (ja, ich stehe dem durchaus positiv gegenüber) torpediert und zwar nicht etwa durch die Boxszene, die sich natürlich gegen Influencer-Kämpfe wehrt. Vielmehr wurden die aufgebauschten und teilweise gestellt wirkenden Pressetermine, Face to Faces, Aufeinandertreffen, Interviews etc. so inszeniert, dass es schon regelrecht peinlich war. Fliegende Tische und Schellen kennt man als Boxfan zwar (man denke da nur mal an Chisora), jedoch wirkt es dann schon fast lächerlich, wenn die Protagonisten, die sich sonst dabei filmen, wie sie Obdachlosen helfen oder sich einer Hautbehandlung unterziehen, plötzlich auf „Bad Boy“ machen. Dem Zwecke der Vermarktung solcher Kampeleien ist dies natürlich aber dienlich, auch wenn die Stimmen der „Fake-Rufer“ immer lauter wurden, siehe Kommentarspalte.

Warum Kämpfe wie Sinan-G vs. Mo Abdallah dem deutschen Boxen eher schadet als nützt

Das aktuelle Tüpfelchen auf dem i setzte man solchen Events dann -aus jetziger Sicht- am vergangenen Wochenende in der Rudolf Weber-Arena in Oberhausen auf. Gemeint ist jetzt nicht etwa die Peinlich-Prügelei der Content-Creator Jounes Amiri und Jaluce und der Farce die folgte, nachdem die Team-Mitglieder der Boxer selber noch eine Schlägerei im Ring begannen. Gemeint ist vielmehr das Drumherum um den Kampf von Sinan-G und Mo Abdallah, die ihren „Disput“ im Ring klären wollten. Welcher war das noch gleich? Er ging wohl an mir gänzlich vorbei…

Schon bevor der Influencer-Hauptkampf zwischen dem Rapper und dem Ex-Kickboxweltmeister beginnen sollte, mussten die Veranstalter zunächst erstmal über die Mikros die anwesenden Fans darum bitten, den Inner Circle zu verlassen, der eigentlich durch Securities gesichert sein sollte. Dort sind die VIPs zu finden oder eben die, die gern in den ersten Reihen sitzen und dementsprechend auch die eine oder andere Mark mehr bezahlt haben. Doch dies gelang nicht so recht, was den Gong zur ersten Runde erheblich verzögert hat. Als er dann ertönte, war das Gefecht so, wie man es erwarten konnte. Der Kampfsportprofi vermöbelte den Rapper nach allen Regeln der Kunst – TKO in Runde 2.

Respekt an die Ringaufbauer: Der Boxring war nach Sinan-G vs. Mo Abdallah gefüllt mit Fans

Nach etlichen Beleidigungen in den vergangenen Wochen, fielen sich die Protagonisten im Anschluss um den Hals, sprachen großen Respekt aus und… …waren plötzlich von Menschenmassen umringt und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Boxring war prall gefüllt mit „Fans“, für die es einfach völlig normal ist bzw. war, dass man nach Ende eines Kampfes mit einem solchen Selbstverständnis den Ring betritt, als wäre es der eigene, als wäre man einer der Betreuer. Apropos Betreuer: auch hier waren Unmengen an „Betreuer“ in der Ringecke zugegen. Die Securities müssen maßlos überfordert gewesen sein und waren nicht einmal mehr in der Lage, die Kabinen der Sportler abzusichern – es herrschte quasi „Tag der offenen Tür“, wie uns Augenzeugen berichteten. Letztere erzählten auch von zahlreichen Schlägereien in den Zuschauertribünen, „Gras-Geruch“ sowie eingeschüchterte Boxfans, die die Halle verließen. Klar waren auch Kinder vor Ort – Hashtag #Vorbilder.

Natürlich wurde auch ein Großteil von dem, was dort passierte live auf Youtube gestreamt. Einen großen Streaming- oder TV-Partner bekommt so mit großer Sicherheit nicht. Man muss hierfür kein Profi der Medienbranche sein. Vielleicht ist das aber auch nicht das Ziel. Unwahrscheinlich ist auch, dass sich namhafte Sponsoren (ohne persönliche Verflechtungen) dazu hinreißen lassen, Promotern solcher Events Werbegelder zu überweisen. Letztere werden aber gebraucht, um den Spaß mit finanzieren zu können.

Versteht mich nicht falsch: das soll kein „Diss“ gegen den Promoter sein, denn die echten Boxkämpfen waren gute Ansetzungen, aber will man so wirklich das deutsche Boxen retten? Ist es der Anspruch, dass man zwar die Hallen füllt und eine Vielzahl Stream-Aufrufe generiert, aber den Sport durch das Verhalten der Zuschauer vor Ort sowie der Wannebe-Kämpfer im Ring nur noch weiter aufs Abstellgleis befördert? Ich glaube und hoffe es nicht!

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