
Der große Undisputed-Kampf spaltet die Boxwelt – Mangelte es Scull am Siegeswillen oder ging sein taktischer Gameplan auf?
Am Samstag fand in Riad, Saudi-Arabien, ein großes PPV-Event statt. Am Cinco-de-Mayo-Wochenende kehrte Boxsuperstar Saul „Canelo“ Alvarez zurück und trat erstmals außerhalb Nordamerikas im Wüstenstaat an. Es war der Beginn einer kostspieligen Partnerschaft zwischen Riad und dem Mexikaner, die sich über mehrere Kämpfe und viele Millionen Dollar erstreckt.
Der erste Teil dieser Kooperation wurde am Samstag eingeläutet. Canelo wollte sich im Supermittelgewicht den IBF-Titel zurückholen, den er im Jahr zuvor freigegeben hatte. Bereits im Juli 2022 wurde der AGON-Sports-Schützling William Scull (23-1) zum IBF-Pflichtherausforderer ernannt, musste jedoch jahrelang auf seine Titelchance warten. Da Canelo wenig Interesse an einer Pflichtverteidigung gegen den gefährlichen, ungeschlagenen Kubaner zeigte, gab er den Titel kampflos auf. Scull sicherte sich den vakanten Gürtel schließlich im Oktober des vergangenen Jahres in Falkensee gegen Vladimir Shishkin (16-1).
Da für September ein Superfight zwischen Canelo und Terence Crawford (41-0) im Raum stand, wurde der IBF-Titel plötzlich wieder interessant. Ein Kampf um alle vier großen WM-Titel ließe sich weitaus besser vermarkten. So kam Scull – über Umwege – doch noch zu seiner größten Karrierechance. Doch seine Performance spaltete die Meinung der Boxfans.
William Scull neutralisierte Canelo vollständig
Zunächst ist zu bedenken, dass Scull als klarer Underdog in den Kampf ging. Die breite Öffentlichkeit räumte ihm kaum Chancen ein, ebenso wenig wie die Buchmacher, die Canelo mit Quoten von 1,02 oder 1,03 als haushohen Favoriten einstuften. Damit galt Scull als der aussichtsloseste Canelo-Gegner seit Avni Yildirim (26-5). Doch hinter dieser scheinbar chancenlosen Fassade zeigte sich, dass Scull stilistisch ein extrem unangenehmer Gegner ist. Der Kubaner ist pfeilschnell, taktisch diszipliniert und schwer zu treffen – Fähigkeiten, mit denen er selbst einem P4P-Superstar wie Canelo Probleme bereiten könnte.
Und genau das tat er. Mit einer konsequent defensiven Herangehensweise brachte Scull den Favoriten an den Rand der Verzweiflung. Immer wieder wich er zurück, tanzte durch den Ring, bot kein statisches Ziel und ließ sich kaum treffen. Canelo stapfte ihm meist schwerfällig hinterher, fand keinen Rhythmus und blieb weitgehend wirkungslos. Angesichts der Ausgangslage als Underdog ging Sculls Gameplan offensichtlich auf. Er lieferte sich mit dem Superstar einen zähen, aber sehr ausgeglichenen Undisputed-Kampf.
Auch die Schlagstatistiken unterstreichen dies: Laut CompuBox lag die reine Trefferanzahl mit 56 zu 55 nahezu gleichauf. Bei den ausgeteilten Schlägen jedoch wies Scull mit 293 gegenüber 152 ein deutliches Plus auf.
Canelo liefert historisch schwache Performance ab
Rein auf die Zahlen bezogen, lieferte William Scull einen guten Kampf ab und hatte den Boxsuperstar am Rande einer Niederlage. Dennoch muss man festhalten, dass viele seiner Aktionen eher Alibi-Jabs waren, die kaum Aussicht auf Wirkungstreffer boten. Generell war Scull im Kampf überwiegend defensiv eingestellt und fokussierte sich vor allem darauf, Canelo zu neutralisieren. Dadurch verliefen nahezu alle Runden sehr ausgeglichen – viele wären mit einem 10:10 zu bewerten gewesen. Doch da Canelo meist die Ringmitte behauptete, wurden ihm diese Runden letztlich zugesprochen, obwohl auch er kaum etwas Zählbares zeigte.
Seine insgesamt 152 abgegebenen Schläge sind laut CompuBox, die seit über 40 Jahren statistische Erhebungen durchführt, ein historischer Negativwert in einem 12-Runden-Kampf. Nur ein einziger Boxer unterbot diesen Wert je – ein Beleg für die desolate Vorstellung des Mexikaners.
FEWEST PUNCHES THROWN IN A 12-ROUND FIGHT- ONE FIGHTER
130- Devis Boschiero (vs. Barrios)
152 – Canelo Alvarez (vs. Scull)
154- Malik Scott (vs. Luis Ortiz)
170- David Haye (vs. Nicolai Valuev)— CompuBox (@CompuBox) May 4, 2025
Scull selbst sah sich nach dem Kampf als Sieger:
„Ich habe mich an unseren Plan gehalten, ihn umgesetzt und hatte die Kontrolle im Kampf. Ich boxe den kubanischen Stil, kontere und agiere im Rückwärtsgang. Für mein Empfinden habe ich genug getan, um den Kampf zu gewinnen.“
Etwas mehr Risiko hätte Scull womöglich den Sieg beschert
Trotz allem hätten sich viele Boxfans vom vermeintlichen Herausforderer – der als amtierender IBF-Weltmeister eigentlich keiner war – mehr Aktivität gewünscht. Da Scull in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch als klare b-side neben dem Superstar Canelo galt, ruhten höhere Erwartungen auf ihm.
Ein wenig mehr Risikobereitschaft hätte womöglich gereicht. Das bedeutet nicht, dass er seinen defensiv-taktischen Stil hätte aufgeben sollen, doch gelegentliche offensive Akzente – etwa ein energischer Schluss-Spurt in den letzten 10 Sekunden einer Runde – hätten bei den Punktrichtern womöglich Eindruck hinterlassen. Solche optischen Momente können in engen Gefechten entscheidend sein, auch wenn sie nicht zwingend effektiv sind. In dieser Hinsicht ließ Scull zu viele Möglichkeiten ungenutzt, und ein insgesamt ereignisarmer Kampf ging ohne echte Höhepunkte über die volle Distanz.
Hat William Scull mit dieser Performance enttäuscht?
Viele Boxfans zeigten sich nach dem Kampf enttäuscht. Während auch Canelo für seine schwache Vorstellung reichlich Kritik einstecken musste, galt der Vorwurf an Scull vor allem, dass er nicht wirklich gewinnen wollte, sondern nur „vermeiden“ wollte. Doch berücksichtigt man, dass er als klarer Außenseiter in den Kampf ging und den Superstar mit seiner Taktik teils zur Verzweiflung trieb, dann war Sculls Plan durchaus erfolgreich.
Wäre Canelo in jeder Runde deutlich dominanter gewesen, hätte signifikant mehr Treffer gelandet, und Scull hätte weiterhin passiv agiert, dann hätte man von einem enttäuschenden Auftritt sprechen können. Doch in diesem Fall bot Scull einen Kampf auf Augenhöhe – unspektakulär, aber taktisch anspruchsvoll und effektiv.
Scull hat sicher nicht den perfekten Kampf seines Lebens gezeigt, sonst hätte er ihn womöglich gewonnen. Aber er bewies, dass er auf Weltklasseniveau mit einem der besten Boxer der Welt mithalten und diesen sogar neutralisieren kann. Damit gewinnt man keine Fanherzen, und Scull wird wohl nie ein Publikumsliebling sein – aber er ist ein ernstzunehmender internationaler-Boxer mit einem klaren Stil, Stärken und Schwächen, und definitiv mit Daseinsberechtigung auf höchstem Niveau.
Der Kampf gegen Canelo hat das bestätigt – auch wenn Scull letztlich nicht siegte, war sein Auftritt in gewissem Maße dennoch ein Erfolg.
scull hat sich blamiert! hat der den kampf etwa mit einem amateurkampf verwechselt, als es noch die blödsinnige punktemaschine gab? klar kann man den kampf im rückwärtsgang gewinnen……….aber nur wenn man deutlich mehr trifft. wenn man den gegner ausboxt. bei auch nur halbwegs ausgeglichener trefferquote muss man immer den aggressor höher bewerten als den der rüchwärts geht. vorallem wenn man gegen einen champion antritt. und das ganze hoch zehn wenn man gegen den superstar des gesamten sports antritt!!!!!!! was hat sich das team um scull gedacht?? haben die riyadh vielleicht mit dem sportpark von agon verwechselt?? denn in solchen bezirkssporthallen kann scull wieder antreten. in amerika will ihn jetzt keiner mehr sehen!!!
Ich finde, es gibt zwei Dinge, die unabhängig voneninander betrachtet werden sollten.
1. Das Kampfergebnis
Alle Punktrichter haben Canelo vorne gesehen. Auch die Statistiken (Treffer, „power punches“) sprechen für Canelo. Da gibt es wenig zu rütteln, die Sache ist eindeutig.
2. Die persönliche Gesamtbetrachtung des Kampfes / eines Kämpfers
Das ist selbstverständlich eine subjektive Angelegenheit. Hier ist jede Sichtweise legitim. Nur sollte sie nicht mit Punkt 1 verknüpft werden. Das wäre meines Erachtens ein Fehler. Warum? Weil sich das Kampfergebnis aus den Regeln ableitet. Daran halten sich die Punkterichter und daran sollte sich jeder halten, der diesbezüglich Stellung nimmt. Also Runde für Runde werten und am Ende die Punkte addieren.
Was mich betrifft, so möchte ich nur eine einzige Frage stellen und sie – ganz subejktiv, selbstverständlich – beantworten:
Würde ich das Verhalten von Scull in diesem WM-Kampf als dreist oder unverschämt bezeichnen? Ja.
Das war eine künstlich generierte unwürdige Titelvereinigung; denn wenn Saul Alvarez seine Pflichtverteidigung gemacht hätte, wäre das nie eine gewesen. Er hätte dies einfach statt den Witzkampf gegen Berlanga machen sollen, welcher vollkommen sinnlos war. Es ist auch fraglich ob er nun eine Pflichtverteidigung gegen Wladimir Schichkin macht, oder sich wie Hatton (gegen Ben Rabah und N’dou) und Calzaghe (gegen Stieglitz, Inkin u. a.) sich davor wieder drückt, da diese zu wenig lukrativ sind.
Es gab etwa 8 Boxer gegen die ein Kampf interessanter gewesen wäre als mit Scull jetzt (wie Benavidez, Bivol nochmal, Bertebijew, Rückkampf gegen Lara mit 74Kg-Catchweight, Landsmann Sanchez, Iglesias u. a.) und erst Recht als die Zirkusnummer gegen Weltergewichtler Crawford, die jetzt folgen soll.