„Ich bin der neue Ali von Boberg!“
Ein Bericht von Wolfgang Weggen
Am 24. April feiert er seinen 71. Geburtstag, aber das ist noch lange kein Grund für Jürgen Blin, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Im Gegenteil! Der rüstige Ex-Europameister im Schwergewicht startet noch einmal voll durch. Gerade hat er in seinem Heimatort Boberg (ein kleiner Stadtteil von Hamburg) eine Boxabteilung gegründet. Erster Trainingstag in der Turnhalle der Grundschule Heidhorst…
Sieben Jugendliche waren durch die Mundpropaganda seitens des Bürgervereins Dorfanger Boberg für das neue Projekt angelockt worden. Wahrscheinlich lag das noch mangelnde Interesse auch an der späten Trainingszeit von 20 Uhr. Aber kein Problem für Trainer Blin. „Los geht’s“! Jürgen macht nicht nur alles vor, er zieht auch alle Übungen voll mit durch. Seine ersten: Schnell mal 10 Spurts durch die Halle, danach Gymnastik, gespickt mit Kraftübungen, Seilspringen, Schattenboxen und wieder spurten.
Der erste Kandidat musste schon nach dem 5. Spurt pausieren, auf die Bank, viel trinken. Macht nichts, Jürgen spult sein Programm weiter ab wie ein Uhrwerk. „Du Strolch, du schwitzt ja noch gar nicht“, fährt er den blonden, austrainiert wirkenden Burschen an und lächelt. Die Namen der Jungen hat er noch nicht alle drauf. Macht auch nichts. „Du Strolch“ oder „Karlheinz“ oder „mein Freund“ – Jürgen findet immer den „richtigen“ Namen für seine neuen Schüler…
Auf die drei neuen Sandsäcke können die mittlerweile schwitzenden und keuchenden Jungmänner (sie sind zwischen 16 und 21 Jahre alt) aber nicht eindreschen. Die Karabinerhaken für die Aufhängung fehlen. Blin: „Nicht so schlimm, besorge ich fürs nächste Mal“. Boxhandschuhe können sie auch nicht anziehen, die Schränke sind verschlossen. „Geht heute auch mal ohne“.
Als der Ali-Gegner von 1971 dann ein Paar rote Boxhandschuhe aus seiner Trainingstasche zieht, werden die abschlaffenden Boxer plötzlich wieder munter. „Die habe ich 1972 in Madrid im Kampf gegen Urtain getragen,“ erzählt Jürgen. Die Burschen können damit nichts anfangen. Wer ist das denn? „Da ging es um die Europameisterschaft im Schwergewicht“, klärt Blin auf. Ob er denn gewonnen hat, will einer wissen. „Ja, habe ich, mein Freund“! Das macht Eindruck. Und wie war das damals mit Ali? Jürgen erzählt, erklärt und man sieht es den Burschen an, sie sind fasziniert von ihrem neuen Trainer, der sie jetzt sicher fest am Haken hat.
Nach nur einer Stunde (zwei waren geplant) ist Schluss mit dem ersten Training. Ob die beim nächsten Mal wohl wieder dabei sind, fragt ein Zuschauer. „Na klar, die kommen wieder“, ist Blin sicher. Und wie zur Bestätigung reckt der stämmigste unter den Box-Schülern beide Arme hoch und ruft: „Ich bin der neue Ali von Boberg!“