Der ehemalige WM-Herausforderer meldet sich erfolgreich zurück und träumt nochmals von großen Kämpfen.
Es war mal wieder so weit: Das Profiboxen schrieb eine dieser Geschichten, die nur das Profiboxen schreiben kann. Insbesondere im altehrwürdigen Schwergewicht scheinen sich diese famosen Geschichten endlos weitererzählen zu lassen. Platform Sport veranstaltete am Sonntag einen Kampfabend auf der britischen Halbinsel Gibraltar, der live auf DAZN zu sehen war. Im Hauptkampf stand das bekannte Schwergewicht Dillian Whyte (31-3), der bereits mit Anthony Joshua (28-4) und Tyson Fury (34-1-1) das Seilquadrat teilte. Gegen Joshua hätte es im vergangenen Jahr einen Rückkampf geben sollen, doch Whyte fiel durch die Dopingkontrolle, weshalb seine Teilnahme durch Robert Helenius (32-5) ersetzt wurde – der im Nachgang ebenfalls durch die Kontrolle rasselte. Geschichten, die wohl nur der Profiboxsport oder der Radsport schreiben können.
Pech nur, dass Whyte bereits als Wiederholungstäter galt und nun möglicherweise eine tendenziell ernsthaftere Strafe erhalten könnte als eine sechsmonatige Sperre, wobei ohnehin kein weiterer Kampf innerhalb dieses Zeitraums geplant war. Die BBBoC (British Boxing Board of Control) hat zuletzt bei Conor Benn (23-0) Härte bewiesen, wodurch dieser seit 2,5 Jahren keinen Kampf auf britischem Boden mehr bestritten hat. Bei Whyte fand man nun die Alternative Gibraltar, das zwar britischen Boden repräsentiert, sich jedoch auf der iberischen Halbinsel befindet, die Spanien seit Hunderten von Jahren beansprucht. Der Clou bestand darin, dass man die polnische Box-Kommission bat, diesen Kampfabend in Gibraltar zu sanktionieren. So kämpfte also Dillian Whyte auf Gibraltar im Hauptkampf, der weltweit auf DAZN übertragen und von der Polish Boxing Union sanktioniert wurde. Diese herrliche Konstellation, die nur das Profiboxen so selbstverständlich vorleben kann, garantierte einen echten Thriller. Und dann gab es ja noch den Gegner.
Vom Hinterhof zum internationalen Hauptkampf
Whyte hätte zwar etwas Schattenboxen im Ring zelebrieren und damit sein Comeback feiern können, doch ein weiterer Hauptkämpfer musste wohl oder übel eingeflogen werden. Fieberhaft suchte man also die Boxrec-Top-100-Liste nach einem gefährlichen Gegner mit einer beeindruckenden KO-Quote durch, der dennoch wenig Qualität versprach. Die Analyse brachte einen Namen hervor: Ebenezer Tetteh (23-2), ein berüchtigter KO-Schläger aus glorreichen Hinterhofschlachten in seiner Heimat Ghana. Dieser Mann war so gefürchtet, dass er seinen letzten Kampf sogar ohne gegnerisches Einwirken per KO gewonnen hatte. Bedrohlicher hätte die Auswahl also kaum ausfallen können!
Dillian Whyte’s opponent Ebenezer Tetteh is a real heavyweight danger man. Fair play to Whyte for taking this HUGE RISK!
Just look at his latest KO win! pic.twitter.com/3mIjRXleNR
— Tokkerū (@ATokkers5) December 10, 2024
Begünstigt wurde seine Auswahl durch die Tatsache, dass man Tetteh bereits einmal für einen britischen Boxer ausgesucht hatte. Im September 2019 reiste Tetteh mit viel Selbstvertrauen nach London, wo er von Daniel Dubois (22-2) prompt in der ersten Runde mehrfach niedergeschlagen wurde und vorzeitig verlor. Mit diesem Empfehlungsschreiben begab sich Tetteh also auf die Reise nach Gibraltar, um abermals Boxgeschichte zu schreiben.
Beide Schwergewichte liefern sich eine wilde Schlacht im Ring
Kurz vor 23 Uhr war es dann endlich so weit: Der Thriller im Schwergewicht wurde präsentiert. Zuvor ertönte die Hymne von Gibraltar, die lautstark von einem Sänger inszeniert wurde, während Whyte nervös Schattenboxen zeigte, um sich halbwegs abzulenken – was in eigenartigen Zuckungen mündete. Auch die Zuschauer saßen unruhig vor dem Bildschirm und fragten sich, wie dieser denkwürdige Kampf wohl ausgehen würde.
Die große Unbekannte war natürlich Tetteh, der seine Siege konstant auf niedrigem Niveau einfuhr. Wie viel würde er gegen einen international renommierten Gegner zeigen können? Das war anfänglich nicht so wenig, denn Tetteh suchte stets harte Powerpunches und keilte tapfer mit Whyte. Der Kampf war sehr lebhaft und durchaus sehenswert, wenn man jegliche Erwartungshaltung in Bezug auf technische Finesse außen vor ließ. In den USA würde man von einem „Clubfight“ sprechen. Beide Boxer standen häufig im Infight und ließen harte Schwinger regnen. Whyte zeigte zumindest den Ansatz von Oberkörperbewegung und wich so den meisten Treffern aus. Tetteh ließ sich davon wenig beirren und schlug weiterhin mit voller Inbrunst zu – manchmal traf er sogar, und einige Schläge zeigten Wirkung. Das Spiel von Whyte war also keineswegs ungefährlich, denn er hätte durchaus von einem Schwinger erwischt werden können. Auf Dauer war jedoch klar, dass Tetteh dieses Tempo nicht würde halten können.
Tetteh gibt auf und zelebriert daraufhin noch Schattenboxen
In der vierten Runde kam Tetteh einmal gut durch, und Whyte wirkte leicht angeschlagen. Doch beim Nachsetzen haperte es. Von da an baute Tetteh konditionell immer weiter ab und ließ Whyte dominieren. Der Brite zeigte sich an diesem Abend keinesfalls in Bestform und passte sich überwiegend dem Niveau von Tetteh an, doch ein wenig mehr Präzision und Kondition reichten aus, um die Kontrolle zu behalten. In der sechsten Runde drehte Whyte noch einmal auf und schlug mächtige Hände, die so kontrolliert und voller Hingabe kamen, dass er selbst dabei umfiel. Ein wahrlich denkwürdiger Abend, den man in Gibraltar zu sehen bekam.
Show me the beauty and finesse in boxing
#WhyteTetteh pic.twitter.com/A2kK4u5QAC
— Permante (@PermantexG) December 15, 2024
Nach sechs Runden stellte Tetteh nur noch einen statischen Sandsack dar, während Punchstats eingeblendet wurden, die behaupteten, Whyte habe bereits 275 Treffer gelandet. War diese Zahl glaubwürdig? Unabhängig von der exakten Anzahl stand außer Frage, dass Tetteh eine Unmenge an Treffern kassierte, wodurch der Eindruck entstand, dass er lieber aus dem Kampf genommen werden sollte. Seine Offensivbemühungen waren praktisch nicht mehr existent und wirkten so kraftlos, dass ein Erfolg unrealistisch erschien. Nach einer dominanten siebten Runde von Whyte war es dann endlich so weit: Tetteh blieb auf seinem Stuhl sitzen und gab den Kampf auf. Whyte jubelte und feierte seinen denkwürdigen 31. Profisieg.
Wer jedoch glaubte, dass dieser Thriller damit sein Ende gefunden hätte, der irrte. Tetteh mobilisierte nach seiner Aufgabe noch einmal sämtliche Kräfte und begann im Ring mit Schattenboxen. Solche Szenen sieht man vielleicht nach einem Abbruch durch einen Cut oder durch den Ringrichter – aber nicht nach einer eigenen Aufgabe. Mit dieser legendären Szene wurde der ohnehin ungewöhnliche Abend auf Gibraltar noch einmal gekrönt.
Dillion Whyte Opponent Tetteh still shadow boxing after he quit before the 8th rd is comedy the fight over dawg😂😂 pic.twitter.com/S6qNMppQmS
— unbiasedbox (@unbiasedbox) December 15, 2024
Mike Perez gewinnt durch KO in der ersten Runde
Auf der Undercard stand das kubanische Cruisergewicht Mike Perez (30-3-1), der auch in Deutschland bekannt ist. Perez war einige Jahre ein Schützling von Legacy Sports Management aus Düsseldorf, hat jedoch frisch bei Platform Sport unterschrieben. Dort hofft er, auf seine alten Tage noch einmal große internationale Kämpfe zu bekommen. In Deutschland blieben die ganz großen Kämpfe trotz aussichtsreicher Platzierungen in den Weltverbänden leider aus.
Perez hätte eigentlich auf einer Veranstaltung in Essen kämpfen sollen, entschied sich jedoch später für den Kampfabend auf Gibraltar. Dort bezwang er Israel Duffus (20-13) in der ersten Runde. Duffus hatte zuvor ähnliche Erfahrungen gegen Oronzo Birardi (8-1) gemacht und fand auch gegen Perez schnell sein Ende.
MIKE PEREZ GETS IT DONE INSIDE 30 SECONDS 🤯#WhyteTetteh | Live on DAZN pic.twitter.com/gSNoI7RdYu
— DAZN Boxing (@DAZNBoxing) December 15, 2024