Die BOXEN1 „Overachiever“ dieses Jahrzehnts (2010 – 2019)

Welche Boxer dieser Dekade haben eine einst tiefe Erwartungshaltung bei weitem übertroffen? BOXEN1 präsentiert eine Top10 der „Overachiever“ dieses Jahrzehnts (2010 – 2019).

Von Stehaufmännchen, unbesungenen Talenten und harten Arbeitern: „Overachiever“, – eine unterschätzte Garde

Während BOXEN1 vor ein paar Monaten ehemalige Hoffnungsträger thematisierte, die schlussendlich bitter enttäuscht hatten, nimmt sich dieser Artikel zum Ziel Boxer dieser Dekade (2010-2019) zu porträtieren, welche die Boxwelt positiv überraschten.

Sogenannte „Overachiever“ werden in ihrer Karriere immer wieder unterschätzt. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Einige werden aufgrund ihres geringen Talents oder einer rohen Boxtechnik unterbewertet. Anderen fehlt jeweils ein mächtiger Promoter, der ihnen den Rücken stärkt. Wiederrum andere Faustfechter haben einen durchwachsenen Kampfrekord, der ihre derzeitige boxerische Qualität überschattet. Oder in manchen Fällen wird der Boxer aufgrund seines fortgeschrittenen Alters unterschätzt.

Folgend präsentiert BOXEN1 eine Rangliste der Boxer dieses Jahrzehnts, die eine tiefe Erwartungshaltung immer wieder übertroffen haben.

Ein wichtiger Hinweis zu der Rangliste: Aufgrund der heutigen Titelinflation oder einem guten Lobbying bei den Verbänden, haben es diverse Boxer zu Titelehren geschafft, die nie mit der Weltspitze mithalten konnten (beispielsweise Manuel Charr, Charles Martin oder Julio Cesar Chavez Jr.). Ein Titelgewinn ist somit kein Garant um hier im Kreise der Overachiever aufgenommen zu werden. Kriterium ist einzig und alleine die Leistung im Ring.

Für die Rangliste spielt es keine Rolle, ob die starken Leistungen der gelisteten Boxer Siege, Unentschieden oder Niederlagen waren. Als wiederkehrendes Bild haben die Overachiever oft einen schweren Stand bei den Punktrichtern. Das soll ihre sportlichen Errungenschaften jedoch keineswegs schmälern. Das Verdikt auf dem Papier wird hier ignoriert.

1. Carl Froch (Supermittelgewicht)

Carl FrochCarl Froch kann auf eine grandiose Karriere zurückblicken, die ihm wahrscheinlich kaum einer zugetraut hatte. Nach einer erfolgreichen Amateurkarriere wechselte der Boxer aus Nottingham 2002 zu den Profis. Froch’s Talent für die „sweet science“ war erkennbar, denn er zeigte einen guten Instinkt und ordentliche Schlagkraft. Sein hölzerner Boxstil und die technischen Limitierungen ließen die Boxfans aber mächtig zweifeln, ob er je die Weltspitze erreichen könne. Als Froch im Jahre 2015 zurücktrat, waren alle Kritiker verstummt.

Sein großer Lauf begann als er im Jahre 2008 den unbesiegten Jean Pascal in einem actionreichen Titelkampf über die Punkte bezwang. 2009 folgte ein KO-12 Sieg gegen den ehemaligen Mittelgewichtstitelträger Jermain Taylor (KO-12) und ein (umstrittener) Punktsieg über den talentierten, ungeschlagenen Andre Dirrell. Gleich darauf musste sich die „Cobra“ dem starken Ex-Titelträger Mikkel Kessler (2010) nach 12 engen Runden geschlagen geben, konnte aber die Boxfans dennoch mit einer guten Leistung überzeugen. In dem auf dem Papier ausgeglichenen Aufeinandertreffen mit dem Deutschen Arthur Abraham (2010), ließ Froch im Ring keine Fragen offen. Er zeigte eine Meisterleistung und deklassierte Abraham über 12 Runden. Nach einem hart umkämpften Punktsieg gegen das Schlachtross Glen Johnson, musste sich Froch im Finale des „Super Six“ Turniers Andre Ward geschlagen geben (beide 2011).

Wer Froch aufgrund seiner zweiten Niederlage abschrieb, wurde eines besseren belehrt. Tatsächlich sollte es das letzte Mal bleiben, dass seine Hände bei Kampfesende vom Ringrichter nicht empor gehoben werden. 2012 forderte er den ungeschlagenen und favorisierten Titelträger Lucian Bute heraus. In Froch’s bestem Kampf war Bute chancenlos. Dem Ringrichter blieb nichts anderes übrig, als einen schwer geprügelten Bute in der 5. Runde aus dem Gefecht zu nehmen.

Im groß aufgezogenen Rückkampf mit Mikkel Kessler (2013) konnte Froch sich für seine Niederlage durch einen Punktsieg revanchieren. Zum krönenden Abschluss seiner Karriere boxte Froch zweimal im „Inselduell” gegen den bis dato ungeschlagenen, zukünftigen Titelträger George Groves. Während der erste Kampf (2013) noch mit einem äußerst kontroversen Abbruch zu Gunsten Froch‘s endete, ließ er seine Kritiker zum letzten Mal verstummen, als er in 2014 „George Groves vor 80 000 Zuschauern im Wembley Stadium ausknockte“ (eine Phrase, die Froch ständig wiederholte und so selbst zum Running Gag machte).

Als Froch zurücktrat, hatte er niemanden mehr etwas zu beweisen. Kaum ein anderer Boxer hat sich in dieser Dekade so vielen Topgegnern im Ring gestellt und seinen technischen Limitierungen zum Trotz immer wieder durchgesetzt.

Chapeau, „Sheriff from Nottingham“!

2. Orlando Salido (Federgewicht – Superfedergewicht)

Vargas gegen SalidoOrlando Salido ist der lebende Beweis, dass die Anzahl der Niederlagen im Kampfrekord nicht zwingend etwas über die Qualität des Boxers aussagt. Als zu Beginn des Jahrzehnts der mexikanische Roadwarrior Salido von einem noch frischen Yuriorkis Gamboa (2010) ausgepunktet wurde, hatte er bereits Dutzende von Kämpfen und zehn Niederlagen auf dem Buckel. Im selben Jahr nahm Salido Revanche an Christobal Cruz, der ihn 2008 knapp besiegt hatte.

Als Salido im Jahre 2011 gegen den aufstrebenden Star Juan Manuel Lopez in den Ring stieg, war er der klare Außenseiter. Lopez galt als der kommende Mann der Szene und sollte in naher Zukunft in einem großen Showdown Yuriorkis Gamboa begegnen. Des Promotors Bob Arum‘s berühmte Aussage „Gamboa-Lopez muss noch mariniert werden“ wurde in den Boxforen zum Running Gag als Lopez von Salido in der 8. Runde gestoppt wurde. Der Rückkampf war noch einseitiger und Lopez wurde vom vorwärtsmarschierenden, ständig schlagenden Brawler Salido regelrecht durch den Fleischwolf gedreht und in der 10. Runde ausgeknockt.

Im Jahre 2013 trat Salido gegen das große Talent Mikey Garcia an. Salido wurde in den ersten Runden gleich vier Mal angezählt. Als Salido in der 7. und 8. Runde im Aufwind war, führte ein unabsichtlicher Kopfstoß zum Kampfabbruch. Ein enttäuschter Salido musste sich beim Auszählen der Punktzetteln geschlagen geben.

Salido holte sich den Titel zurück, als er Orlando Cruz (2013) durch KO-7 bezwang. Es folgte ein Kampf gegen das Amateurboxwunder Vasyl Lomachenko (2014), der erst seinen zweiten Profikampf bestritt. Salido kam zu schwer auf die Waage, doch Lomachenko nahm das Duell trotzdem an. Der Veteran Salido gab Lomachenko einen Crashkurs im harten Berufsboxen, als er ihn mit vielen Tiefschlägen aus dem Konzept brachte. In der 12. Runde wurde Salido zwar beinahe ausgeknockt, rettete sich aber über die Zeit. Trotz der schmutzigen Art und Weise wie Salido zum Triumph kam, wird ihm niemand den Sieg über den zukünftigen „pound for pound“ Superstar nehmen können.

Im gleichen Jahr lieferte er sich eine legendäre Schlacht gegen den Thailänder Terdsak Kokietgym. Nach einer Mehrzahl von Niederschlägen auf beiden Seiten gewann der Mexikaner in der 11. Runde durch KO. Im Jahre 2015 lieferte sich das Schlachtross Salido zwei Titelkämpfe auf Biegen und Brechen mit Roman Martinez. Das Verdikt „Niederlage“ und „Unentschieden“ wurde von den meisten Ringbeobachtern gegenüber Salido als ungerecht empfunden. Salido‘s letztes Hurra kam im „fight of the year 2016“, als er gegen den unbesiegten Francisco Vargas in den Krieg zog. Der Kampf endete mit einem gerechten Unentschieden. Die Sieger blieben die Boxfans.

2017 versuchte Salido nochmals die Zeit zurück zu drehen, aber er wurde vom Top10 Mann Mickey Roman in der 10. Runde gestoppt. Salido gab seinen Rücktritt vom Boxsport bekannt.

Salido war ein „mexikanischer Krieger“ wie er im Bilderbuch der Boxstereotypen steht. Von Niederlagen und Niederschlägen ließ er sich nie bremsen, sondern marschierte weiter nach vorne, mit der Intention jedem die Hölle auf Erden zu geben, der sich ihm in den Weg stellt.

3. Tony Bellew (Halbschwergewicht – Schwergewicht)

Der Liverpooler Tony Bellew boxte als Amateur an zahlreichen nationalen und internationalen Turnieren. Als der Halbschwergewichtler im Jahre 2007 zu den Profis wechselte, wurde er sorgfältig aufgebaut und besiegte schon bald die nationalen Konkurrenten Bob Ajisafe (2010) und Ovill McKenzie (2010, 2011), was ihm ein Titelkampf gegen Nathan Cleverly (2011) erbrachte. Er zog in einem engen Gefecht durch eine Mehrheitsentscheidung den Kürzeren. Nach einem Unentschieden gegen den unangenehmen Gatekeeper Isaac Chilemba (2013), besiegte der charismatische Bellew ihn im selben Jahr im Rückkampf. In einem erneuten Titelkampf gegen den mächtigen Puncher Adonis Stevenson (2013) blieb der technisch limitierte Bellew chancenlos und wurde in der 6. Runde ausgeknockt.

Viele Boxfans schrieben damals den „Bomber“ aus Liverpool ab. Der Gewichtsklassenaufstieg ins Cruisergewicht führte zu weiterem Stirnrunzeln. Doch Bellew bestrafte seine Kritiker Lügen. Er revanchierte sich an Nathan Cleverly (2014, Punktsieg) und besiegte Mateusz Masternak (2015, Punktsieg). Bellew erhielt die Chance um einen Cruisergewichtstitel gegen den von den Boxinsidern hochgelobten Ilunga Makabu (2016) zu boxen. Im Goodison Park Stadium in Liverpool zeigte Bellew seine sportlich beste Leistung. Der Außenseiter Bellew wurde gleich in der 1. Runde kalt erwischt und auf den Hosenboden befördert. Doch Bellew kam zurück und knockte Makabu in der 3. Runde schwer aus. Es war der bisherige Höhepunkt in Bellew‘s Karriere. Jedoch nicht für lange.

Im Jahre 2017 wurde das große nationale Duell mit dem ehemaligen Schwergewichtstitelträger David Haye unterzeichnet. Die beiden populären Boxer lieferten sich heftige verbale Schlagabtäusche, die für einen großen Hype auf der Insel sorgten. Dem haushohen Außenseiter Bellew gelang das Unfassbare, als er einen am Knöchel verletzten Haye in der 11. Runde stoppte. Der Rückkampf (2018) verlief sogar noch einseitiger. Haye nahm schwere Prügel und wurde in der 5. Runde gestoppt. Bellew erklomm den Gipfel seiner Karriere.

Noch einmal das Unmögliche möglich zu machen, versuchte er im Jahre 2018, als er den unumstrittenen Cruisergewichtskönig Oleksandr Usyk (2018) herausforderte. Dieses Mal scheiterte er. Nach einem guten Beginn wurde Bellew in der 8. Runde eiskalt ausgeknockt. Bellew trat anschließend vom Sport zurück. Seine Karriere wurde durch seine letzte Niederlage nicht getrübt, denn Bellew hat trotz seiner technischen Mängel, mit einem eisernen Wille und einer mentalen Belastbarkeit viel mehr erreicht, als es ihm jemals zugetraut wurde.

4. Badou Jack (Supermittelgewicht – Halbschwergewicht)

Der schwedisch-gambische Doppelbürger Badou Jack begann erst im späten Alter von 18 Jahren mit dem Boxsport. Jack entwickelte sich schnell zu einem guten Amateurboxer, dem allerdings eine internationale Krönung nie gelang. Dementsprechend gab es in der Boxszene keine große Aufregung als Jack im Jahre 2009 zu den Profis wechselte.

Seine Aufbaukämpfe waren durchzogen und glanzlos. Im Duell mit Journeyman Alexander Brand (2012) gelang ihm lediglich ein „split decision“ Sieg. Auch gegen den Gatekeeper Marcos A. Periban (2013) wusste er nicht zu überzeugen. Der Kampf wurde Unentschieden gewertet. Der große Knall kam im Jahre 2013 als Jack als haushoher Favorit von Derek Edwards in der 1. Runde ausgeknockt wurde. Es war der Tiefpunkt in Jack‘s Karriere. Nur wenige hätten es zu diesem Zeitpunkt noch für realistisch gehalten, dass er je einen Titel gewinnen kann, – geschweige denn eine große Karriere hinzulegen, wie sie folgen würde.

Der Anfang seines großen Laufs begann im Jahre 2015 als er den unbesiegten Titelträger Anthony Dirrell überraschend über die Punkte bezwang. Wiederrum als Außenseiter schickte er im selben Jahr George Groves in der 1. Runde zu Boden und gewann verdient nach Punkten. 2016 folgte ein Unentschieden gegen Lucian Bute. Das Urteil war mehr als schmeichelhaft für Bute (aufgrund einer positiven Dopingprobe Bute‘s wurde das Resultat nachträglich zu einem Disqualifikationssieg für Jack gewandelt). Wieder als Außenseiter folgte im Jahre 2017 eine Schlacht im Titelvereinigungskampf mit James DeGale. Beide Boxer mussten je einen Bodenbesuch hinnehmen, doch es war vor allem DeGale, der sich in der zweiten Kampfeshälfte schwere Prügel einfing. Das Verdikt „Unentschieden“ schien wiederrum zu Ungunsten Jack‘s ausgefallen sein. Doch Jack war nun auf der großen Bühne angekommen. Mit seinem Pressurefighter-Stil aus einer sauberen Grundschule heraus, zog er den Topgegnern den Zahn (im Falle DeGale’s wortwörtlich).

Nach einem TKO-5 Sieg über Nathan Cleverly kam es im Jahre 2018 zum großen Showdown gegen den starken Halbschwergewichtstitelträger Adonis Stevenson. Spätstarter Jack gab zu viele der ersten Runden ab, bevor er Stevenson in der zweiten Kampfeshälfte mehrere Male nahe am Knockout hatte. Mit einem harten Körpertreffer in der 10. Runde konnte Stevenson das Gefecht nochmals ausgeglichen gestalten. Ein viertes Mal musste sich Jack mit einem Unentschieden begnügen.

Im Januar dieses Jahres gelang Marcus Browne ein Überraschungssieg über Jack. Am 28. Dezember wird der Schwede auf Jean Pascal treffen, welcher im August zum großen Erstaunen der Boxwelt Jack‘s Bezwinger Browne schlagen konnte. Jack‘s letztes Kapitel ist also noch nicht geschrieben.

Wenige Boxer dieses Jahrzehnts haben sich in so kurzer Zeit so vielen Topgegnern wie Jack gestellt. Und auch kaum einer hat sich nach einer desaströsen Niederlage so stark zurückgekämpft, wie er es tat.

5. Firat Arslan (Cruisergewicht)

Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Firat Arslan ist ein Boxer bei dem das Prädikat „ehrlicher Arbeiter“ wie die Faust auf das Auge passt. An der Latte der boxerischen Weltklasse gemessen, ist Arslan’s Boxtalent höchst überschaubar. Doch der Deutsche mit türkischen Wurzeln konnte technische Mankos stets durch seine Fitness und einem eisernen Willen kaschieren. So marschierte er mit geschlossenen Doppeldeckung talentiertere, schnellere Gegner nieder und zog sie in trübe Gewässer.

Ein Overachiever war Arslan nicht erst seit diesem Jahrzehnt. Bereits 2006 war Arslan der klare Außenseiter als er den hochtalentierten, späteren Titelträger Grigory Drozd aus seiner Komfortzone trieb und durch TKO-5 besiegte. Obwohl danach erfolgreiche Titelkämpfe über Vigil Hill (2007) und Darnell Wilson (2008) folgten, blieb dies wohl sein sportlich wertvollster Sieg auf dem Papier.

Nach einer desaströsen TKO-10 Niederlage gegen den bärenstarken Guillermo Jones (2008), begann das heutige Jahrzehnt auch mit einer Niederlage. Arslan kollabierte aufgrund der Hitze in der Halle gegen Steve Herelius (2010, TKO-11).

Wahrscheinlich haben die meisten Boxfans den „alten Mann“ zu diesem Zeitpunkt abgeschrieben. Doch Arslan kehrte mit Siegen zurück und überraschte viele, als er dem Talent Alexander Alekseev (2012) ein Unentschieden abringen konnte, welches für Alekseev laut der Meinung vieler Ringbeobachter höchst schmeichelhaft war. Gegen den Titelträger Marco Huck war Arslan wieder klarer Außenseiter. Nochmals überraschte er die Boxfans. Huck war beim beständigen Druck Arslan‘s nahezu ratlos. Das Verdikt „einstimmiger Punktsieger Marco Huck“ empörte die Boxfans. Im Rückkampf (2013) konnte der deutlich jüngere Huck überzeugen und gewann durch TKO-6. Wer damals Arslan abschrieb, wurde eines besseren belehrt. Gegen den kubanischen Titelverteidiger Yoan Pablo Hernandez (2014) konnte Arslan nochmals eine wahre Veteranenperformanz liefern und Hernandez gewann lediglich durch eine umstrittene „split decision“. Arslan blieb den Rest des Jahrzehnts weiterhin aktiv und erfolgreich, wenn er auch mit der Weltspitze nie mehr im Ring stand.

Auf dem Papier blieben ihm große Siege in diesem Jahrzehnt leider verwehrt. Erstaunt und begeistert hat er seine Boxfans aber definitiv. Voraussichtlich wird Arslan am 8. Februar 2020 gegen den Top10 Boxer Kevin Lerena einen Titelkampf absolvieren. Wird es ein (weiteres) letztes Hurra des Deutschen? Eins ist sicher: Arslan wird trotz seiner 49 Jahren hochmotiviert und mit einen gestähltem Körper in den Ring steigen.

6. Sergio Martinez (Mittelgewicht)

Der ehemalige Fußballspieler und Radfahrer Sergio Martinez begann erst im späten Alter von 21 Jahren mit dem Boxsport. Im Jahre 1997 wechselte der Argentinier nach einer kurzen, aber erfolgreichen Amateurkarriere (Kampfrekord: 40-1) zum Berufsboxen. Ohne bei einem großen Promoter unter Vertrag zu stehen, boxte Martinez in seiner Heimat diverse Clubfighter. Im Jahre 2000 scheiterte sein US-Debüt gegen den späteren Titelträger Antonio Margarito. „Maravilla“ wurde in der 7. Runde ausgeknockt.

Nach vielen Jahren in denen Martinez unter dem Radar flog und in Spanien und Argentinien unbekannte Gegnerschaft besiegte, wurde er vom renommierten Manager und Berater Sampson Lewkowicz entdeckt, dem es gelang, Martinez an den US-Promoter Lou DiBella zu vermitteln (Golden Boy und Top Rank Promotions lehnten Martinez ab). Nun sollte es aufwärts gehen.

Bei seinem HBO-Debut gegen Alex Bunema (2009, TKO-9) gewann er vorzeitig. Doch der argentinische Konterboxer musste daraufhin höchst umstrittene Urteile in Kämpfen gegen die starken Boxern Kermin Cintron (2009, Unentschieden) und Paul Williams (2008, MD-Niederlage) hinnehmen.

Martinez ließ sich aber durch die ihm unwohlgesonnenen Punktrichter nicht bremsen. Zu Beginn dieser Dekade besiegte der bereits 34 Jahre alte Argentinier den Mittelgewichtschampion Kelly Pavlik überraschend über die Punkte. Pavlik hatte kein Rezept gegen die schnellen Hände und die flinke Beinarbeit des Stilisten. Im selben Jahr nahm er Revanche an Paul Williams und knockte diesen in der 2. Runde schwer aus. Die Krönung „fighter of the year 2010“ war mehr als verdient. Nach diesem Durchbruch folgten vorzeitige Titelverteidigungen gegen Serhiy Dzinziruk (2011, TKO-8), Darren Barker (2011, KO-11) und Matthew Macklin (2012, TKO-11).

Im September 2012 war Martinez‘ glanzvollste Stunde als er den bisher unbesiegten, körperlich enorm überlegenen, mexikanischen Superstar Julio Cesar Chavez Jr. in einem Titelvereinigungskampf besiegte. Nachdem Chavez Jr. 11 Runden die schnellen Kombinationen von „Maravilla“ fraß, war die 12. Runde pures Drama. Vor einer frenetischen Menge mexikanischer Fans wurde Martinez beinahe ausgeknockt (viele Boxreporter nennen dies eine der lautesten Zuschauermengen, die sie je erlebt haben). Martinez überstand die Runde und wurde zum verdienten Punktsieger gekürt.

So groß wie der Sieg für Martinez war, so sehr hat die 12. Runde Spuren hinterlassen. Martinez’s Knie war lädiert. Bei seiner „homecoming party“ in Argentinien war er gegen Martin Murray (2013) nur noch ein Schatten seiner selbst und gewann lediglich hauchdünn nach Punkten. Die Karriere von „Maravilla“ endete, als er im Jahre 2014 gegen den zukünftigen „hall of famer“ Miguel Cotto in der 9. Runde gestoppt wurde.

Der Glanz von Martinez‘ Karriere wurde durch den bitteren Abgang nicht getrübt. Obwohl ihn lange niemand auf dem Schirm gehabt hatte, verzauberte „sexy Sergio“ in der Mitte seiner 30er Jahren mit der lässig hängenden Deckung, der schnellen Beinarbeit und den flinken, giftigen Fäusten die Boxwelt.

7. Tony Thompson (Schwergewicht)

Während in anderen Sportarten ein 27-jähriger Athlet seine besten Tage bereits hinter sich hat, lernte Thompson zum ersten Mal, wie man einen Jab oder Aufwärtshaken schlägt. Doch bereits ein Jahr später wechselte der Späteinsteiger Thompson zu den Profis. Nach vier Startsiegen erlitt er im Jahre 2000 eine Punktniederlage. Es blieb seine letzte Schlappe, bevor er 2008 dem Schwergewichtschampion Wladimir Klitschko einer der schwierigsten Kämpfe dessen langjähriger Regentschaft lieferte. Auf dem Wege zu Klitschko besiegte er Timur Ibragimov und verwehrte dem Deutschen Luan Krasniqi durch TKO-5 einen erneuten Titelkampf. Trotz der äußerst respektablen KO-11 Niederlage gegen Wladimir Klitschko blieb Thompson den Durchbruch auf der amerikanischen Bühne verwehrt.

Vier Jahre später kriegte der mittlerweile 40-jährige Thompson erneut die Chance Wladimir Klitschko zu boxen, musste aber diesmal früher die Segel streichen (TKO-6). Wer den „alten Mann“ zu diesem Zeitpunkt abschrieb, sollte noch einige Male eines besseren belehrt werden. Im Jahre 2013 trat er gegen die damalige Schwergewichtshoffnung David Price an. Der Veteran Thompson schockte die Boxwelt, als er das besungene Talent Price vor dessen Heimpublikum in der 2. Runde ausknockte. Auch im direkten Rückkampf zog Price den Kürzeren und wurde in der 5. Runde gestoppt. Ein emotional losgelöster Thompson gewann anschließend weitere Berühmtheit, als er eines der legendärsten Post-Fight Interviews aller Zeiten gab.

Tony Thompson stellte sich danach dem aufstrebenden Kubrat Pulev, musste sich aber über die Punkte geschlagen geben. Jedoch war auch das noch nicht das Ende seiner Karriere. Darauffolgend ging Thompson in den nächsten größeren Kampf gegen das „ewige Talent“ Odlanier Solis (2014), welcher sich einen weiteren Titelkampf erhoffte. Ein deutlich übergewichtiger Thompson ließ (einem ebenfalls dicken) Solis keine Chance und besiegte diesen klar über die Punkte. Nach einer Punktniederlage im Kampf mit dem starken Top10 Mann Carlos Takam (2014), kam 2015 kam das letzte Hurra des mittlerweile 43-Jährigen. Im Rematch nahm der Kubaner Solis schwere Prügel und blieb beim Gong zur 9. Runde sitzen. Mit Niederlagen gegen Malik Scott (2015, Punkte) und Luis Ortiz (2016, KO-6) ging Thompson in den Ruhestand.

In der US-Amerikanischen Boxszene hatte Thompson leider ein wahres „Mauerblümchen Dasein“. Für Freude, Begeisterung und Überraschung hat aber der sympathische Overachiever bei den Boxafficiandos stets gesorgt.

8. Ganigan Lopez (Minimumgewicht – Leichtfliegengewicht)

Ohne eine nennenswerte Amateurkarriere hinter sich zu haben, gab der Mexikaner Ganigan Lopez in 2003 sein Profidebut. In seinem Heimatland boxte der No-Name jahrelang fast ausschließlich Clubfights und gewann die meisten dieser. Mit 33 Jahren konnte Lopez den starken Titelträger Pedro Gueverra (2015) herausfordern, welcher zuvor den japanischen Star Akira Yaegashi ausgeknockt hatte. Lopez verkaufte sich in der Punktniederlage teuer. Prompt erhielt er danach die Chance gegen den Japaner Yu Kimura (2016) zu boxen, welcher gerade erst den eben erwähnten Gueverra entthronte. Lopez schockte die japanische Boxszene, als er Kimura in dessen Heimatland durch Mehrheitsentscheidung besiegte. Es war sein größter Triumph.

Es folgte eine Titelverteidigung gegen den schlagkräftigen Philippiner Jonathan Taconing (2016). In Mexiko City besiegte Lopez Taconing nach Punkten. Seinen Titel verlor Lopez anschließend im Kampf mit dem aufstrebenden Dynamo Kenshiro Teraji (2017), der sich zum wahrscheinlich besten Leichtfliegengewichtler der Dekade entwickeln würde. Während im ersten Duell Lopez Kenshiro einen engen, brutalen Kampf lieferte und nur durch umstrittene Mehrheitsentscheidung verlor, wurde der „alte Mann“ im Rematch in der 2. Runde (2018) ausgeknockt. Lopez‘ Leistungsvermögen nahm fortan merklich ab und seine Karriere verlief sich ihm Sande. Doch sein kurzer, aber äußerst respektabler Lauf wird dem Overachiever Lopez niemand nehmen können.

9. Anthony Crolla (Leichtgewicht)

Dem sympathischen Boxer aus Manchester wurde eine große Karriere wie die seine von kaum jemanden zugetraut. Crolla war zwar ein guter nationaler Amateurboxer, doch internationale Lorbeeren erklomm er nie. Seine frühen Leistungen bei den Profis waren ordentlich, nichtsdestoweniger, das Potenzial die Weltspitze zu erreichen wurde ihm abgesprochen. Diese Einschätzung bestätigten auch Niederlagen gegen britische Konkurrenten wie Gary Sykes (2009, 2012) oder Derry Matthews (2012, TKO-6). Seine Karriere nahm Aufschwung als er im Rückkampf mit Matthews (2013) diesem ein Unentschieden abringen konnte. Es folgten gute Siege über Gavin Rees (2013) und John Murray (2014). Doch Geschehnisse außerhalb des Ringes bremsten seine Karriere. Im Dezember 2014 drangen Einbrecher in sein Haus ein. Als Crolla die Eindringlinge vertreiben wollte, wurde er mit einer Betonplatte brutal am Kopf verletzt.

Wie durch ein Wunder konnte Crolla seine Karriere fortsetzen und er kriegte die große Chance um einen Titel gegen den Top10 Boxer Darley Perez zu boxen (2014). Während der Hinkampf Unentschieden endete, knockte er im Rückkampf Perez durch einen Körpertreffer in der 5. Runde aus. Als nächstes musste Crolla seinen Titel gegen den gefährlichen, ungeschlagenen Puncher Ismael Barroso verteidigen, der zuletzt überraschend Kevin Mitchell gestoppt hatte. Der limitierte Crolla ließ Barroso‘s Schläge an der Doppeldeckung verpuffen, marschierte nach vorne und knockte einen völlig verausgabten Barroso in der 7. Runde aus. Es war Crolla‘s glorreichste Stunde.

Es folgten zwei große Titelvereinigungskämpfe mit dem Stilisten und Weltklasse-Boxer Jorge Linares. Crolla blieb chancenlos und musste sich beide Male über die Punkte geschlagen geben. Er boxte sich mit Punktsiegen über den Inselrivalen Ricky Burns (2016), Edson Ramirez (2018) und Daud Yordan (2018) zurück. Als Pflichtherausforderer konnte er dieses Jahr den „pound for pound“ Superstar Vasily Lomachenko herausfordern. Der Klassenunterschied wurde aber deutlich offenbart und er wurde vor Heimpublikum schwer ausgeknockt. Nach einem umstrittenen Sieg in seinem Abschiedskampf gegen Frank Urquiaga hängte Crolla die Handschuhe letzten Monat an den Nagel. Es war eine weise Entscheidung am Ende einer Karriere, die einer „Cinderella Story“ gleicht.

10. Tevin Farmer (Superfedergewicht)

Als Tevin Farmer im Jahre 2012 gegen den späteren Titelträger Jose Pedraza verlor, sah sein Kampfrekord wie der eines Journeyman’s aus:  7 Siege, 4 Niederlagen und 1 Unentschieden. Doch es blieb bis jetzt seine letzte Niederlage. Auf dem Weg zum Karriereziel eines Titelgewinnes besiegte der Boxer aus Philadelphia solide Gegner wie Ivan Redkach oder Gamaliel Diaz (beide 2016). Farmer sorgte bei den Boxpuristen mit seinen „oldschool“ Boxstil und „slicken“ Defensivtechniken für Aufmerksamkeit.

Als Farmer im Jahre 2017 einen Titelkampf gegen den unbesiegten Japaner Kenichi Ogawa kriegte, verlor er zunächst äußerst umstritten nach Punkten. Der Sieg wurde Ogawa aber aufgrund einer positiven Dopingprobe nachträglich aberkannt. Farmer kriegte gegen Billy Dib (2018) einen weiteren Titelkampf. Der Australier Dib wurde über 12 Runden deklassiert. Farmer war am Ziel seiner Träume angekommen und hat die Boxexperten ins Staunen versetzt.

Seither verteidigte er seinen Titel mehrere Male. Kämpfe mit den Besten rund um seine Gewichtsklasse (Gervonta Davis, Miguel Berchelt, Vasyl Lomachenko etc.) kamen leider bisher noch nicht zu Stande. Die neue Dekade beginnt für Farmer mit einem wahren Test. Am 30. Januar 2020 wird er sich dem starken Joseph Diaz stellen. Man darf also auf die weitere Karriere des „Künstlers“ aus Philly gespannt sein.

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