Canelo vs. GGG III – Es geht um Alles

Es ist offiziell. Es wird passieren. Der Hormonproduktionsapparat darf ruhig etwas anfangen zu kribbeln. Viele haben den Kampf schon vor Jahren abgeschrieben, und es war eigentlich auch kaum der Rede wert weiter darüber nachzudenken. Doch Canelo vs. GGG könnte zu keiner perfekteren Zeit kommen. Denn dieses Mal, geht es um nicht weniger, als Alles.

Superlative sind in der heutigen Zeit, in der die Vermarktung einer Sache mehr ausmacht als die Sache selbst keine Seltenheit. Gefühlt jeder Zweite der ein paar Kämpfe gewinnt ist „the next big thing“, jeder der mal einen Titel abschnappt ist „the new face of boxing“, und wir müssen unzählige Diskussionen über uns ergehen lassen, wer denn jetzt der Goat ist (Greatest of all times). Sicher, das ist schön und gut für die Welt des Entertainment, so viel wissen wir alle seit dem Kindergarten, aber in dem bevorstehenden Showdown geht es um viel mehr.

Es ist gar nicht so lange her, da haben wir in Kell Brook vs. Amir Khan eine ähnliche Situation vor Augen gehabt. Irgendwie schien es um nichts zu gehen, außer der Austragung eines alten Zwist, zweier Erzfeinde (Boxen1 berichtete – Khan vs. Brook : Kinn oder Auge). Hört sich ein bisschen nach dem an, worum es bei Canelo vs. GGG III auch zu gehen scheint – immerhin wird der Kampf auch direkt als das Begleichen einer offenen Rechnung promotet. Doch bekanntlich soll man die Rechnung nicht ohne den Wirt machen, also: „Herr Ober, zahlen bitte!“.

Wenn der Staub sich legt, und wir sehen wer am Ende stehen bleibt…

Der US-amerikanische Boxexperte und Showhost Max Kellermann ist immer schnell bei großen Worten, doch waren diese bei Canelo vs. GGG I durchaus angebracht. Ein Superfight. Ein Kampf, wie er nur alle Jahrzehnte kommt. Genau das war er auch, und dann das, ein Unentschieden. Die kontroverse Wertung einer Punktekarte, Giftspuckereien auf der Pressekonferenz nach dem Kampf, und bis zum heutigen Tage anhaltende Diskussionen um den eigentlichen Sieger. Tja, da hilft nur eins: Runde 2! Der Sache bedarf Klärung. Sieger im zweiten Durchgang: Canelo Alvarez. Wieder ging die Entscheidung über die Punktezettel. Wieder gab es anschließende, bis heute anhaltende Diskussionen.

Der Canelo vs. GGG Disput zog also seit dem ersten Duell in 2017 seine Bande durch die Boxlandschaft. Beide Champions mit starken Fanlagern, beide Champions mit einer großen Zugkraft bei den Strippenziehern des Boxsports. Doch die Wege sollten sich scheiden.

Canelo auf dem Weg nach Oben

Canelo war die Mittelgewichtler leid. Was gab es für ihn auch dort zu holen, nachdem er Golovkin besiegt hatte? Ohnehin war Golovkin das Schreckgespenst der Division und galt bis dato als unbesiegbar. Der mexikanische Kämpfer suchte neue Herausforderungen um Geschichte zu schreiben. So begann Canelos‘ Raubzug durch die Gewichtsklassen jenseits des Mittelgewichts und es folgten Titel um Titel.

Canelo vs Bivol

Niemand konnte dem rothaarigen Mexikaner die Stirn bieten. Die Champions fielen, die Gewichtsklassen wurden erobert. Canelo regierte das Boxen mit seinen eisernen Haken zum Körper und zahlreichen Knock-Outs. Bis er ein zu großes Stück vom Kuchen abbiss und Ikarus zu nah an die Sonne flog. Der charismatische russische Champion Dimtry Bivol nahm dem mexikanischen Überflieger endlich mal den Wind aus den Flügen (Boxen1 berichtete – Helden fallen). Die Boxwelt atmete auf. Canelo ist also doch nicht unbesiegbar geworden.

GGG im Reich der Schatten

Gennadiy Golovkin hat die bittere Niederlage gegen Canelo wegstecken müssen. Doch ein weiteres Rematch blieb ihm verwehrt. Keine Chance die Schmach zu korrigieren. GGG bleibt sich treu und macht weiterhin was er am besten kann: das Mittelgewicht dominieren. Doch die Gegner sind lange nicht mehr so namhaft wie einst, Derevyanchenko ärgert ihn sogar richtig und dann kommt auch noch die Welt zum quasi stillstand für 2 Jahre. Golovkins größter Nachteil gegenüber Canelo ist ohne Frage die Zeit.

Doch wie die japanischen Kirschblüten, erwacht der kasachische Bär aus dem Winterschlaf der Schattenjahre seiner Karriere und blickt in einen zweiten Frühling. Golovkin vereint seine Weltmeistertitel mit denen des japanischen Champions Ryota Murata im April 2022. Murata hatten viele Experten hoch auf ihren Zetteln stehen, doch wenn Murata eins gelungen ist, dann war das Golovkin zu wecken. Die ersten Runden machte der ambitionierte Japaner Druck, bis der alte Champion anfing aufzutauen und keine Zweifel aufkommen lies, dass er immer noch etwas im Tank hat.

Canelo braucht Golovkin mehr, als Golovkin Canelo.

Canelo steht an einem wichtigen Punkt in seiner Karriere. Er hat nach den Sternen gegriffen und ein Haufen davon vom Himmel geholt. Artig hat die Promotionmaschine das „Face of Boxing“ dort oben auf Kurs gehalten und es sollte immer noch ein Stückchen höher. Jetzt kommt die Retourkutsche. Es ist absolut keine Schande gegen einen starken Halbschwergewichts-Champion wie Bivol zu verlieren, aber sollte Canelo gegen seinen alten Erzfeind im Mittelgewicht verlieren, wäre es auf einmal sehr dunkel am Horizont des mexikanischen Superstars.

Gennady „GGG“ Golovkin und Saul „Canelo“ Alvarez im zweiten Fight

Der Unterschied zwischen Khan vs. Brook ist natürlich zum einen, dass die zwei sich schon zweimal im Ring gegenüber standen, dass beide noch amtierende Champion sind und einer eigentlich noch ein paar gute Jahre vor sich haben sollte. Dennoch spielt die Promotion erst Mal auf „hier geht es um eine alte, offene Rechnung“. Natürlich, alles andere wäre zu gefährlich für Canelo. Die Herausforderung auf das „Runter-gehen“ in den Gewichtsklassen zu messen (á la Roy Jones Jr.), könnte Canelo alles kosten, sollte das Experiment schief gehen.

Jeder von Chris Eubank Jr. bis zu Youtuber Jake Paul und dazwischen würde anfangen zu nerven, da endgültig bewiesen sei, dass Canelo nur so gut ist, wie sein mexikanisches Rindfleisch oder sonstiger Hokuspokus. Die Boxwelt würde an Kindergarten-Neuzugängen gerade so explodieren, dass all der Sand der Sahara nicht für die Sandkästen ausreichen würde. Der liebe Herr, oder irgendjemand, dem höhere Mächte zugeschrieben werden können, bewahre uns. Auf der anderen Seite wäre das für Golovkin und dessen Fans, das Fest des Jahrhunderts.

Egal was Golovkin danach tut, danach kann er vollkommen glücklich in den Sonnenuntergang reiten. Gewinnt Canelo die Geschichte jedoch, hätte er wieder eine gute Ladung Selbstbewusstsein getankt. Ob er die persönlich braucht? Wahrscheinlich nicht, aber Canelo war mit einem jungen Light-Heavyweight Champion maßlos überfordert und wäre es vermutlich wieder in einem Rematch. Wollen wir wissen was Beterbiev mit Canelo machen würde? Lieber nicht. Mit einem Sieg gegen Golovkin könnte Canelo getrost wieder im Super-Mittelgewicht angreifen, vielleicht sogar gegen einen Demetrius Andrade? So ließe sich zumindest die „lass uns alte Schulden begleichen“-Narrative nahtlos weiterführen, doch das lassen wir mal getrost Zukunftsmusik sein.

Fazit: Der Unterschied zwischen Pflicht und Kür

Ein Sieg im dritten Durchgang ist Pflicht für den mexikanischen Superstar. Vielmehr sogar noch, dass er die Angelegenheit nicht den dubiosen Punktezetteln überlässt. Dennoch ist der Tag an dem Golovkin ausgeknockt wird noch nicht erfunden. Canelo kann sicher damit rechnen etwas an Substanz beim Gewichtsverlust zu lassen und all das Momentum spricht für Golovkin. Verliert der Mexikaner, wäre das der größte Zusammenbruch eines Box-Mythos, seit Anthony Joshua gegen Andy Ruiz verloren hat. Doch spricht auch die Bilanz klare Wort: Golovkin ist alt und Canelo hat zu viel zu verlieren, dazu war Letzterer auch einfach viel zu gut in Butter – trotz der Bivol Niederlage.

Canelo Alvarez vs. Gennadiy Golovkin Fight-Poster.

Alvarez ist einen Affenzahn über die letzten Jahre gefahren, während es bei Golovkin bis vor Murata noch etwas mühsam und schleppend lief. Es ist in vielen Belangen etwas ähnlich zu Khan vs. Brook, nur viel besser. Es gibt kein besseres Mittelgewicht aktuell und es gibt kein besseres Super-Mittelgewicht aktuell. Fast schon ein bisschen wie bei Golovkin vs. Canelo 1, wo beide die Topdogs ihrer Klassen waren. Vor 2 oder 3 Jahren hätte dieser Kampf wenig Sinn gemacht, doch mit dem Momentum für Golovkin und gegen Alvarez ist der Zeitpunkt jetzt besser als je zuvor. Canelo hat so viel zu verlieren und Golovkin kann nochmal alles richtig stellen. Beide sollten genug im Tank haben um uns ein richtiges Fest zu liefern. Die ersten 24 Runden haben für unglaublich viel Spannung, Diskussionen, Aufmerksamkeit und Unterhaltung gesorgt, ohne klare Antworten zu liefern. Die nächsten 12 werden die Wichtigsten, die eine Entscheidung bringen müssen. Was als Superfight begann, muss als Superfight enden. Die Promotion kann von alten Rechnungen und persönlichen Differenzen erzählen wie sie will, die Wahrheit scheint jedoch nur eine zu sein: es geht um Alles!

4.8/5 - (74 votes)

1 Kommentar

  1. Hut ab Sebastian, großartig geschrieben👏👏👏, lässt das Herz eines jeden Boxfans erblühen. Alles top auf den Punkt gebracht! Ich hoffe Golovkin hat noch genügend Biss für den Kampf übrig oder besser gesagt… erlangt diesen wieder zurück, würde ihm den Sieg mehr als gönnen 👍.
    Freue mich auf deine nächsten Artikel 😎

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein