
WBF-Weltmeisterschaft: Fai Phannarai (GER) – Niorkis Carreno (VEN)
© Torsten Helmke
„Boxen im Norden“: Fai Phannarai verteidigt WM-Titel nach WBF-Version im Superbantam-Gewicht gegen Niorkis Carreno aus Venezuela. Ein umstrittenes Urteil am 3. Oktober auf St. Pauli. Weltmeisterin Phannarai bringt Re-Match ins Spiel.
Punktsieg mit Pfiffen
Der Unmut ist groß nach dem Urteil. Buhrufe hallen über den Hochring, vermischt mit Pfiffen. Mehrfach, sekundenlang. Der Ringsprecher mahnt zu Ruhe und Respekt. Fai Phannarai blickt teilnahmslos, wirkt betroffen. Kein Triumphzug – trotz Punktsieg. Bei ihrer Verteidigung des WM-Titels im Superbantam-Gewicht bis 55,2 Kilogramm nach Version der World Boxing Federation (WBF). In Hamburg auf St. Pauli am vergangenen Freitag, am Nationalfeiertag 3. Oktober. In der Party-Location „Große Freiheit 36“ (GF 36) an der Reeperbahn.
Phannarai sammelt sich, braucht ein paar Momente, reagiert dann. Noch im Ring, direkt nach Siegerehrung und Gürtelübergabe. „Ich will ein Re-Match“, fordert die Titelverteidigerin über das Mikro des Ringsprechers. Nur, warum zuvor diese Publikumsreaktion?
Volle Distanz

WBF-Weltmeisterschaft: Fai Phannarai (GER) – Niorkis Carreno (VEN)
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Nun, das Gros der knapp 1.500 Zuschauer sah die Herausforderin vorne. Niorkis Carreno aus Caracas, Venezuela. Und quittierte die Entscheidung der drei Punktrichter, den 2:1-Sieg für Phannarai (93:97, 96:94, 96:94), also das „Split Decision“ als Fehlurteil.
Das Zehn-Runden-Duell zwischen Phannarai und Carreno war der Hauptkampf des Abends. Teil zwei des Jubiläums von „Boxen im Norden“, veranstaltet von Thomas Nissen. Eine Dekade gibt es die Veranstaltungsreihe schon. Seit Jahren mit zwei fixen Terminen; am 1. Mai und am 3. Oktober. Immer auf dem Kiez.
Nissens Credo: Kämpfe auf Augenhöhe, Kämpfe mit offenem Ausgang; kurzum, Kämpfe, die Zuschauer sehen wollen. Deshalb fiel die Wahl auch auf Carreno. Ein Muskelpaket, eine Puncherin, die seit 2018 als Profi im Seilquadrat clincht. Die Bilanz: 20 ihrer 25 Siege beendete die 27jährige vorzeitig durch Knock-out. Sie kämpfte bereits um WM-Gürtel der Verbände WBO, WBC und IBO. In verschiedenen Gewichtsklassen ging Carreno dabei stets über die volle Distanz von zehn Runden. Fraglos, die drei Jahre jüngere Phannarai war gewarnt.
Offener Schlagabtausch

WBF-Weltmeisterschaft: Fai Phannarai (GER) – Niorkis Carreno (VEN)
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Zum Kampfreport: Carrano beginnt sofort offensiv. Agiert teils ungestüm, Schläge gehen zumeist ins Leere. Ein, zwei Hände landen indes im Ziel. Kopftreffer, etwa mit dem Schlussgong der ersten zwei Minuten. Runde zwei, ähnliches Kampfgeschehen. Phannarai ist auf Konter aus, versucht selbst Akzente zu setzen – und wird in den Folgerunden aktiver. Beide Kontrahentinnen punkten im offenen Schlagabtausch, kommen sich im Infight gefährlich nah, mit der Stirn vorneweg. Der Ringrichter unterbricht wiederholt, ermahnt.

WBF-Weltmeisterschaft: Fai Phannarai (GER) – Niorkis Carreno (VEN)
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Was auffällt: Phannarai läuft ab und an in die linke Führhand, in die rechte Schlaghand. Carrano nutzt ihre Reichweitenvorteile, schafft zugleich immer wieder Distanz. Und ist dabei variabel, feuert Links-rechts-Kombinationen ab, auf Kopf und Körper ihrer Gegnerin. Phannarai hält dagegen, trifft mit Einzelaktionen. Allerdings ohne spürbare Wirkung. Dennoch: Ein Fight auf hohem Niveau, ein Fight mit hohem Tempo.
Die zweite Kampfhälfte: Carrano bleibt im Vorwärtsgang, dominiert optisch von der Ringmitte aus. Runde sieben und acht gehen für Phannarai verloren; sie ist zu passiv. In den Rundenpausen redet Phannarais Coach Peter Löwen auf seine Athletin ein – und wird in der Ringecke während der letzten zwei Runden hörbar lauter: „Fai, arbeite, mehr, mehr!“ Oder: „Fai, geh‘ ran, näher, näher!“

WBF-Weltmeisterschaft: Fai Phannarai (GER) – Niorkis Carreno (VEN)
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Schlussspurt. Aktion, Reaktion im steten Wechsel, Phannarai und Carrano mobilisieren ihre Reserven, verausgaben sich. Ohne Zählbares, ohne klare Vorteile für die eine – oder für die andere. Das war’s. Schlussgong. Carrano reißt die rechte Schlaghand in die Höhe, Phannarai hält kurz inne, zieht dann nach. Das Richterurteil ist bekannt, der Publikumsunmut auch.
Fehlendes Timing
Und das Fazit? Phannarai, ehrlich in der Selbstanalyse: „Ich bin überrascht, wie schwach ich über einige Strecken des Fights war“, sagt die glückliche Titelverteidigerin im Gespräch mit Boxen1 auf der After-Show-Party in der GF 36. Das Timing habe gefehlt, die Linie in der Kampfführung. Und nein, sie wolle nichts geschenkt haben, müsse die Buhrufe und Pfiffe von Zuschauern akzeptieren. Daher das Angebot an Carrano, nochmals in das Seilgeviert zu klettern.
Das sieht Trainer Löwen auf Boxen1-Nachfrage ähnlich. „Ja, ein Re-Match macht Sinn, auf jeden Fall.“ Und er räumt ein: Über ein Unentschieden hätte sich niemand beklagen können. „Wichtig ist für Fai, aus der Nummer sauber rauszukommen, bei einem weiteren Aufeinandertreffen mit Carrano überzeugend zu gewinnen.“ Dafür werde er mit ihr intensiv am Kampfstil feilen. „Amerikanischer“ solle Phannarai künftig boxen. Viele, klare Hände; harte, zielsichere Schläge. Das gehe aber nicht von heute auf morgen, betont Löwen, der Phannarai erst seit vergangenem Dezember unter seinen Fittichen in seinem Nürnberger Gym hat.

WBF-Weltmeisterschaft: Fai Phannarai (GER) – Niorkis Carreno (VEN)
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Bloß, wird es zur Neuauflage Phannarai versus Carrano kommen? Ungewiss. Ein gehöriges Wort mitreden wird Promoter und „Boxen im Norden“-Macher Nissen. Der lässt sich nicht in die Karten gucken – nur soviel gegenüber Boxen1: „Fai ist eine kluge Boxerin, und sie hat mit der Ankündigung auf ein Re-Match unzufriedene Zuschauer wieder auf ihre Seite gezogen.“














