
Quelle Instagram: besir.d.ay
Der Hannoveraner steht vor seinem größten Kampf in Australien und verriet, welche spezielle Rolle sein Trainer einnehmen könnte.
Am Mittwoch findet ein großes 70-$-PPV-Event in Sydney, Australien, statt. Internationale Stars werden kämpfen, darunter der Ex-Weltmeister Keith Thurman (30-1), der aus den USA angereist ist. Mitten drin findet sich auch der Hannoveraner Besir Ay wieder, der vor dem größten Kampf seiner Karriere steht.
Zuvor sprach er im exklusiven Boxen1-Interview über die Gelegenheit in Australien, seinen boxerischen Werdegang sowie den möglichen X-Faktor im Kampf – seinen international renommierten Trainer.
Das Boxen1-Interview mit Besir Ay
Boxen1: Hallo, Besir. In wenigen Tagen steht der große Kampf in Australien an. Wie fühlst du dich?
Besir Ay: Ich fühle mich gut, das harte Training ist endlich vorbei. Jetzt gucken wir nur noch auf das Gewicht. Nach dem Training waren es noch 900 Gramm, das ist also gar kein Problem. Ich glaube, so leicht hatte ich es noch nie, mein Gewicht zu bringen. Deswegen ist bis jetzt alles gut.
Du hast deine Vorbereitung in Thailand absolviert, was im Kampfsport aktuell ja sehr im Trend liegt. Wie zufrieden bist du mit deiner Vorbereitung?
Ich habe in Hannover angefangen, ungefähr einen Monat, und habe auch mit Artur Mann trainiert. Dann bin ich hier nach Thailand geflogen, nach Phuket. Gott sei Dank habe ich dort den Johnny (John Hutchinson – Anm. d. Red.) getroffen, den Boxtrainer vom Tiger Muay Gym. Danach war das Problem, dass mein Trainer kein Visum bekommen hat und Artur leider zur Pressekonferenz mit Kovalev nach Russland musste. Deswegen war es ein sehr guter Zufall, dass Jonny Zeit hatte. Besser hätte es für mich nicht laufen können.
In Thailand treffen viele verschiedene Kampfsportler aufeinander in den Gyms. Was konntest du von dort mitnehmen?
Du hast dort alle möglichen Nationalitäten, dann auch im Sparring alle möglichen Kampfstile. Du hast dort irgendwelche Leute, die kommen auf dich zugerannt wie Mike Tyson, dann gibt es manche Techniker, die leicht, aber extrem schnell sind. Für mich war das komplett neu, du weißt einfach nicht, wie derjenige boxt, der vor dir steht. Das war alles sehr neu für mich, aber auch eine gute Erfahrung, um das zu simulieren, was du im Kampf vor dir hast. Ich war im Tiger Gym trainieren und nebenan gibt es noch das Apollo Gym, die haben sich dort mehr auf das Boxen spezialisiert. Wir sind dann manchmal rübergegangen und haben mit Aserbaidschanern und Usbeken Sparring gemacht. Die haben mich sehr, sehr gefordert. *lacht Am letzten Tag hatte ich drei Sparringpartner über zehn Runden.
An Wettkampfhärte wird es dir also am Mittwoch nicht mangeln?
Die Luft in Thailand ist komplett anders. In der ersten Woche kam ich dort überhaupt nicht klar. Ich habe dort den ersten Tag trainiert und mir nur gedacht: Wie soll ich dort noch heute Abend trainieren und so die komplette Woche überstehen? Das war eine ganz andere Liga.
Ich habe sofort zugesagt
Am Mittwoch wirst du in Sydney kämpfen. Wie kam es eigentlich zu diesem Angebot? Das ist für einen deutschen Boxer sicherlich nicht alltäglich.
Ich habe irgendwelche Anrufe auf Instagram von Matchmakern aus Australien bekommen. Ich habe das erst nicht gesehen, und zeitgleich hat mich Artur Mann angerufen und meinte, sein Promoter Ben fragt, ob ich dort boxen will. Wann? Das war erst für April geplant, dann haben sie es auf März geändert. Ich habe sofort zugesagt.
Wenn du dich selbst beschreiben müsstest – was zeichnet Besir Ay als Boxer im Ring aus?
Also, ich bin technisch stark, habe ein gutes Auge, eine gute Beinarbeit. Ich bin jetzt nicht unbedingt der Puncher, aber ich habe gute Reflexe. Ich bin ein Konterboxer.
In den letzten Jahren warst du Deutscher Meister und standest immer wieder mit ambitionierten Gegnern im Ring, während andere vielleicht auf Nummer sicher gegangen wären. Ist das dein sportlicher Anspruch?
Ja, das Problem ist, wenn ich jetzt gegen schwächere Gegner kämpfen würde… Das letzte Mal habe ich gegen Hasani geboxt, dann hatte ich Dustin Ammann. Wenn ich nun irgendwelche Bananen hole, würden die Leute sagen, ich boxe wieder gegen Journeymen. Mir wäre das auf jeden Fall sehr peinlich. Deswegen war ich auch sofort dabei, als es gegen Armend ging. Es war auch ein sehr guter Kampf. Alle, die da waren, haben gesagt, dass das zehn Runden lang so ein hohes Tempo war – das war geisteskrank. Ich bin nach der ersten Runde in die Ecke gegangen und dachte mir: „Es sind noch neun Runden vor mir.“ Und alle weiteren neun Runden waren wirklich auf einem sehr hohen Tempo. Kein Zuschauer konnte meckern oder sich beschweren. Bei manchen Veranstaltungen hat man zehn Kämpfe, und die enden alle in der ersten Runde. Ich bin jemand, der so etwas vermeiden möchte und lieber einen guten Kampf bietet, anstatt gegen eine Banane zu boxen und in der ersten Runde zu gewinnen.
In Deutschland ist es nicht unüblich, viele Siege zu haben und dennoch einen völlig leeren Rekord.
Ich sollte auch mal gegen Denis Radovan boxen, das war wohl 2020, und dann kam Corona. Später sollte ich auch gegen Toni Kraft boxen, aber da haben wir einen Monat auf den Kampfvertrag gewartet – und dann kam nichts mehr. Da habe ich gesagt: „Die wollen wohl nicht mehr“, und habe auch mit dem Training aufgehört. Es macht einfach keinen Sinn, jeden Tag zu trainieren und zu hören: „Morgen kommt der Vertrag.“ Du wartest einen Monat auf einen Kampfvertrag – und es kommt nichts. Ich hatte leider nie die Chance, gegen einen Großen zu boxen. Entweder sie gehen mir aus dem Weg oder holen sich jemand anderen.
Du bist schon 35 Jahre alt. Fühlst du einen gewissen Druck, am Mittwoch unbedingt abliefern zu müssen, um eine internationale Karriere zu starten?
Nein, alles, was jetzt kommt, ist ein Bonus. Ich dachte während Corona, dass es das war. Zwar habe ich etwas trainiert, aber auch danach dachte ich, es wäre vorbei. Nun habe ich nach Corona schon vier oder fünf Kämpfe gemacht – ich spüre da also überhaupt keinen Druck. Gott sei Dank habe ich auch starke Sponsoren, die mir die ganzen Veranstaltungen ermöglicht haben. Ohne die wäre ich schon lange raus.
Ich glaube echt, dass er etwas Muffensausen vor dem Kampf hat
Dein Gegner in Sydney ist Michael Zerafa, dem du überraschenderweise bereits vor einigen Tagen begegnet bist. Wie schätzt du ihn ein?
Ich glaube echt, dass er etwas Muffensausen vor dem Kampf hat. Es war gestern ein öffentliches Training, und ich bin in den Ring gegangen und habe Pratzen gemacht. Mein Trainer Johnny meinte dann: „Lass uns nicht zu viel zeigen.“ Ich meinte: „Lass uns noch zwei Minuten machen.“ Er war mit seiner Familie, mit seiner Frau dort, und hat vom Ring aus zugesehen. Da habe ich noch einmal extra Gas gegeben und diese Geräusche beim Schlagen gemacht. *lacht Er ist danach in den Ring gegangen, hat zwei Minuten etwas Schattenboxen gemacht und ist wieder raus.
Schätzt du ihn denn so nervös ein? Auf mich macht er von außen immer einen lässigen Eindruck.
Ehrlich? Ich glaube schon. Er hat etwas Muffensausen vor dem Kampf. Schau mal, welchen Druck er hat: Ich bin auf Platz 100, er ist auf Platz 15. In seinem vorletzten Kampf ist er gegen Lara KO gegangen, und im letzten Kampf hat er dann gegen diesen Browne geboxt, der 40 ist. Das ging irgendwie vorzeitig zu Ende, weil sich Browne die Schulter verletzt hat. In dem Kampf fand ich auch nicht, dass er übertrieben gut aussah. Er hat sich eine gute Rechte gefangen und dann die ganze Zeit versucht zu klammern. Er hat schon einen sehr hohen Druck. Es ist sein zweiter Kampf bei No Limit – das geht ein bisschen auf den Kopf.
Du sprichst Lara an, das war sein bislang größter Kampf, in dem er früh gestoppt wurde. Welche Auswirkung hat der KO in deinen Augen?
Ich kenne das von anderen Boxern: Wenn sie einmal KO gegangen sind, dann bekommen sie Hemmungen. Sie haben diese Niederlage immer im Hinterkopf. Ich glaube, das ist bei ihm auch so. Auch wenn er nach außen immer den Coolen gibt, psychisch ist er nicht so stark.
Als Auswärtsboxer wird es vermutlich schwer, auf den Scorecards zu bestehen. Kann man davon ausgehen, dass du voll auf harte Kontermöglichkeiten setzen wirst?
Wahrscheinlich in den ersten Runden nicht, aber ab der Mitte des Kampfes werde ich anfangen zu ballern. Ich muss viel Druck machen – nach Punkten wird das sehr schwer.
Er sendet mir noch um Mitternacht Videos und Sprachnachrichten: „Du musst so und so boxen – da sind seine Schwächen.“
Wenn ein Lara ihn stoppen kann, dann ist das auch für dich möglich.
Einen Monat habe ich mit Johnny nun trainiert, und der Typ ist absolut boxverrückt – der liebt diesen Sport. Der hat mir einfach um fünf Uhr morgens irgendwelche Videos von meinem Gegner geschickt. Oder ich möchte ins Bett gehen, und er sendet mir noch um Mitternacht Videos und Sprachnachrichten: „Du musst so und so boxen – da sind seine Schwächen.“ Wir sind darauf eingegangen und haben an den Pratzen viel auf Härte gesetzt. In Thailand hatte ich auch extra einen Strength & Conditioning Coach, mit dem ich zweimal die Woche trainiert habe.
Würdest du sagen, dass dein Coach Johnny der X-Factor – der Gamechanger – in diesem Kampf ist?
Ja, so wie er sagt: Das ist Schicksal. Du dachtest, du boxst nicht mehr, dann bist du hier in Thailand. Dein Trainer konnte nicht, hat kein Visum bekommen. Und dann ist Johnny da und hat Zeit. Er trainiert normalerweise sehr viele Sportler – UFC- und ONE-Kämpfer. Ein Anatoly Malykhin, der dreifacher ONE-Champion ist, was vorher keiner geschafft hat. Er hat noch einen jüngeren Boxer aus England, der mit 16 sein Profidebüt gemacht hat. Normalerweise ist er voll ausgebucht. Ich habe echt Glück mit Johnny, dass er Zeit hat, mich in Australien zu betreuen.
Wir haben viel über das Boxen gesprochen. Was ist dem Menschen Besir Ay abseits des Rings wichtig? Was treibt dich an?
Schwere Frage. lacht Dass es meiner Familie und meinem engsten Umfeld gut geht – dass sie erfolgreich sind. In der heutigen Zeit gönnt keiner dem anderen mehr etwas – oder zumindest viel weniger. Ich freue mich über den Erfolg meiner Freunde genauso, als wäre es mein eigener.
Viele Kämpfer geben keine konkreten Vorhersagen ab. Aber was kannst du den Boxsportfreunden mit Blick auf Mittwoch garantieren? Was dürfen sie erwarten?
Ich werde alles geben und habe hart trainiert. Ich war noch nie so fit wie jetzt und werde auf jeden Fall Australien schocken! *lacht
Eine Übertragung wird es vermutlich nur in Australien geben
Besir Ay und Michael Zerafa werden auf der hochpreisigen PPV-Card das Co-Main Event des Abends bestreiten. Im Hauptkampf kehrt Ex-Weltmeister Keith Thurman (30-1) zurück und trifft im Superweltergewicht auf den schlagstarken Lokalmatador Brock Jarvis (22-1).
Die 70 australische Dollar teure PPV-Veranstaltung beginnt nach deutscher Zeitrechnung um 9:00 Uhr morgens, sodass das Co-Main Event mit Besir Ay voraussichtlich gegen 11:00 Uhr stattfinden wird. Leider gestaltet sich die Übertragungssituation äußerst ungünstig: Amazon Prime hat bereits bestätigt, dass es keine internationale Übertragung geben wird, sodass der Kampf wohl exklusiv in Australien ausgestrahlt wird. Auch alternative Streaming-Optionen dürften nur schwer auffindbar sein.