Was denkt die Boxwelt zwei Tage nach diesem einmaligen upset der Boxgeschichte?
Vor gut 14 Tagen hat der damalige vierfach Weltmeister und Goldmedaillengewinner, Anthony Joshua, in London ein Flugzeug mit dem Ziel New York bestiegen. Als er landete und abends durch New York ging, sah Joshua auf überdimensionalen Leuchtreklamen sein eigens Foto. New York feierte ihn wie einen Hero. Auch die Firma Hugo Boss, mit der Joshua einen hoch dotierten Werbevertrag geschlossen hat, warb mit dem Konterfei des Modellathleten auf überlebensgroßen Plakaten, eines von diesen überlebensgroßen Postern prangte direkt an der „Joe Louis Plaza“ in New York und vor dem Kampf im New Yorker Madison Square Garden, fand auch noch fast jeder Boxfan, dass dies genau der richtige richtige Platz ist. Nach dem Ausgang des Kampfes im Madison Square Garden sehen das inzwischen sicher viele Boxfan als reinen Hohn.
Joshua war ausgezogen New York zu erobern, nein, Joshua wollte die gesamte USA erobern. Von ihm erwartete man, dass er zumindest ein zweiter Lennox Lewis wird. Mehr als 8.000 britische Boxfans wurden, in unzähligen Sonderflügen, von England nach New York eingeflogen, so wie man das bisher nur von den mexikanischen Boxfans kannte, wenn deren Box-Gott Canelo Alvarez in den Ring steigt.
Doch Anthony Joshua machte in der Nacht zum Sonntagmorgen nicht sich selbst unsterblich und zum Hero von New York, aber er hat dazu beigetragen einen dicklichen Mexikaner, mit viel zu kurzen Füßen und viel zu kurzen Händen für seine Körpergröße, der von der Optik gar nicht so aussieht, wie man sich einen Boxer vorstellt, zum neuen Hero von New York gemacht, in dem er sich von Andy Ruiz jr ausknocken ließ.
Vor Joshuas Kampf mit Andy Ruiz jr. im Madison Square Garden wurde ein Video gedreht das dann auch im Vorfeld des WM-Kampfes in der Arena gezeigt wurde. Dieses Video war mit dem Song von Frank Sinatras „New York, New York“ hinterlegt. Das Video ließ alleine Anthony Joshua im hellen Glanz erstrahlen und die Zuschauer in der Halle müssen sich dabei vorgekommen sein, als wären sie zu einem Broadway-Auftritt eingeladen worden, dessen finale Pointe bereits feststand: nämlich der Sieg des Heros Antony Joshua!
Genau so wurde das Matchup zwischen Anthony Joshua und Andy Ruiz jr. auch im Vorfeld gesehen. Die Einführung der größten internationalen Attraktion des weltweiten Boxsports für das New Yorker Publikum, gegen einen Gegner, der für Einige vielleicht als würdig, aber ohne jegliche Gewinnchance angesehen wurde. Die Buchmacher im ganzen Land sahen Ruiz als den 20:1 Außenseiter.
Die eigentliche Ursache für den mangelnden Glauben der Öffentlichkeit an den Boxer Andy Ruiz, war dabei rein optischer Natur. Joshua sieht aus wie ein gemeißeltes physisches Exemplar, wie eine Statue, perfekt definiert und proportioniert. Ruiz ist dagegen, ein blasser, zwar kräftiger Junge, dem manchmal der Unterbauch über den Hosenbund rutscht, um dann, wenn er sich im Ring bewegt, hoch und runter zu schwabbeln, der Brüste hat, wie manche Frau sie sich wünschen würde und der bei den richtigen Bewegungen im Ring teils Ähnlichkeit mit dem früheren Michelin Männchen hat. Ein Mann der, wenn er aus dem Training gerät, wahrscheinlich ganz schnell 180 Kilo vor sich herschieben würde.
„Alle haben von Anfang an an mir gezweifelt“, sagte Ruiz. „Ich denke, genau so, wie ich aussehe, ich bin ganz bewusst so dick wie ich es bin. Ich habe seit dem Dimitrenko-Kampf noch weiter richtig hart trainiert. Aber ich wollte gar kein Gewicht verlieren, weil ich stark sein wollte. Ich habe tatsächlich sogar fast noch 3 Kilo zugenommen, nur weil ich noch ein bisschen stärker werden wollte.“
Der Spott und die körperliche Schande von Ruiz waren gleichzeitig mühsam und vorhersehbar, aber vom Standpunkt der Prognose eines Boxkampfes, ist das Image oft eine genaue Determinante der Überlegenheit im Ring. Im Allgemeinen ist der Boxer mit dem fleischigeren Körperbau, der mit dem untrainierten Aussehen und wenigeren Fans, auch fast immer derjenige, der verlieren wird. Alles das sind nämlich Anzeichen dafür anzunehmen, dass ein Boxer nicht richtig trainiert hat und dass er nur in den Ring steigt um die Börse einzustreichen und häufig lässt dies auch den Schluss zu, dass solch ein Boxer nicht talentiert ist. Im Normalfall kann so selbst ein unerfahrener Zuschauer herausfinden, wer allein aus der Sicht der Optik den Kampf gewinnen wird und meist hat er damit auch recht. Aber es gibt auch Ausnahmen.
Ruiz zeigte keine Anzeichen dafür, dass es ihm egal war, wenn er geneckt oder gehänselt wurde und er scherzte sogar darüber, wie er auf der Pressekonferenz vor dem Kampf genüsslich ein Snickers aß. Ungefähr um 1 Uhr morgens, New Yorker Zeit, in der Nacht seines Lebens, stand Ruiz vor dem Renaissance Hotel im Schatten des Madison Square Garden und sah so lustig aus wie immer, als er mit der einer kleinen Gruppe von Fans zusammenstand, die ihm aus Kalifornien und Mexiko gefolgt waren.
Joshua wirkte in einem negativeren Sinne entspannt. Er kam verspätet aus seiner Umkleidekabine, als den Ring betreten hatte, stand er fast zusammengesunken in seiner Ecke und kaute auf seinem Mundstück wie ein gelangweilter, unbekümmerter oder völlig desinteressierter Boxer. Wie ein Boxer, der wusste, wie die Nacht enden würde – oder sollte. Diese Hypothese wurde von der Menge in der Halle unterstützt, die hörbar kicherten, als Michael Buffers die Punktrichter vorstellte, und dabei sagte, „sollte der Kampf über die volle Distanz gehen, dann entscheiden ………“.
In der dritten Runde sah es zuerst so aus, als würde die Show wie geplant verlaufen. Joshua schickte Ruiz mit einem linken Aufwärtshaken schwer zu Boden und die Menge dachte: das wars schon. Als Andy Ruiz sich dann vom Boden erhob grinste er wie wir das von diesem bescheidenen Dickerchen im Vorfeld schon kannten. Aber vielleicht erinnern sich noch einige an die Worte, die der Trainer von Ruiz, Manny Robles, im Rahmen der letzten Pressekonferenz gesagt hatte: „Wenn man Andy ins Gesicht schlägt, dann verwandelt er sich in einen Teufel.“
Der mexikanische Teufel hat Anthony Joshua dann auch erledigt. Ruiz erwiderte den Knockdown weniger als eine Minute später und schlug Joshua seinerseits noch in der gleichen Runde gleich zwei Mal zu Boden. Das Gleiche wiederholte er in der 7. Runde dann noch einmal und damit machte der dicke Junge mit den viel zu kurzen Beinen und den viel zu kurzen Armen, sich selbst zum neuen Hero der Boxwelt!
Für die Schwergewichtsszene und insbesondere für Ruiz selbst hat dieser Sieg alles verändert.
„Mama, ich liebe dich und unser Leben wird sich ändern. Wir müssen nicht mehr kämpfen“, sagte der neue Schwergewichts-Champion. „Ich bin nur froh, dass ich jetzt der Champion bin. Ich bin so verdammt glücklich, dass ich es bin.“
Es gibt da einen wunderbaren Song des legendären Frank Sinatra, dessen Titel „New York, New York“ heißt und in einer Strophe dieses Evergreens, singt Franky Boy: „
Anthony Joshua kam in die USA um selbst ein Star zu werden, aber er war es, der mit seiner Niederlage Andy Ruiz zum Superstar gemacht hat!