Wladimir Klitschko – Neuer Gegner, altes Geschrei…

Wladimir Klitschko

Es ist wieder so weit. Wladimir Klitschko präsentiert offiziell einen neuen Kontrahenten – und die selbsternannten Klitschko-Kritiker zücken ihr kaltgeschriebenes Notizbuch: „Zu klein“, „Zu groß“, „Zu leicht“, „Zu schwer“, „Zu unbekannt“, „Zu überbewertet“ – kein Kritikpunkt ist zu lächerlich, als dass man ihn dem Ukrainer nicht an den Kopf werfen könnte.

Dabei muss man kein Fan seines Boxstils sein, um anzuerkennen, dass Klitschko sich im Oktober einem der besten und hoffnungsvollsten Schwergewichtler dieser Tage stellen wird. Tyson Fury ist kein Unbekannter im Boxsport, keiner, den man „im Vorbeigehen“ schlägt. Der Brite steht in der Boxrec Weltrangliste auf Rang drei, ist acht Zentimeter größer als Klitschko und hat rund zehn Zentimeter längere Arme.

Dass die Gegnerwahl von Wladimir Klitschko in der Vergangenheit nicht immer allzu große Risikofreude bewies ist richtig und darf auch kritisiert werden, doch das große Ganze spricht eigentlich eine andere Sprache.

Mit Sam Peter, David Haye, Ruslan Chagaev und Alexander Povetkin, stellte sich Klitschko seit 2009 seinen größten Kontrahenten – und schlug sie alle. Vergessen wird gerne, dass auch Mariusz Wach (27-0), Francesco Pianeta (28-0-1), Kubrat Pulev (20-0) und Bryant Jennings (19-0) einen Kampfrekord ohne Niederlage aufwiesen, ehe sie vom Superchamp aus dem Weg geräumt wurden. Die Liste der Gegner mit gutem Kampfrekord ließe sich fortsetzen, die Kritiker könnte dies allerdings nicht verstummen lassen: „Overrated – Überbewertet“, würde das Urteil lauten.

Auch die Geheimtipps versagen…

Interessant ist, dass eben jene Kritik zumeist in diversen „Geheimtipps“ endet, welcher Boxer denn tatsächlich die große Prüfung sei. So veröffentlicht der Stern 2012 einen Artikel unter der Schlagzeile: „Es gibt würdige Gegner im Schwergewicht für die Klitschkos“ und wirft den Ukrainern vor, nur handverlesene Gegner zu boxen. Die damaligen Vorschläge lesen sich aus heutiger Sicht allerdings eher wie ein schlechter Scherz:

Tipp Nr. 1: Chris Arreola. „The Nightmare“ nutzt seine Titelchancen nicht, verliert 2013 und 2014 gegen Bermain Stiverne…

Tipp Nr. 2: Odlanier Solis. „La Sombra“ wird nach seiner zweiten, peinlichen Niederlage im Februar 2015 gegen Tony Thompson sogar von seinem Promoter Ahmet Öner verstoßen…

Tipp Nr. 3: David Haye. Der „Hayemaker“ beendet seine Karriere mit einem Sieg gegen Dereck Chisora 2012 und verzichtet auf ein Rematch mit Klitschko…

Tipp Nr. 4: Marco Huck. „Käpt’n“ Huck verliert seinen einzigen Ausflug ins Schwergewicht umstritten gegen Alexander Povetkin und verteidigt im August zum 14. Mal seinen Weltmeistertitel – im Cruisergewicht…

Tipp Nr. 5: Denis Boytsov. Boytsov verliert 2013 überraschend seinen WM-Ausscheidungskampf gegen Alex Leapai…

Als letzten und echten Geheimtipp führt der Stern Seth Mitchell an, jenen Boxer, der als Aufbaugegner für Chris Arreola zu dessen letztem Aufeinandertreffen mit Bermain Stiverne diente.

Natürlich könnte man sich nun über die Ahnungslosigkeit des Stern-Autors auslassen und über dessen möglicherweise fehlenden Boxkenntnisse lästern – dies wäre allerdings ebenso unfair wie die Schelte an Klitschkos erneuter Gegnerwahl. Die oben genannten Herren waren zum damaligen Zeitpunkt nun mal tatsächlich das Maß aller Dinge im Schwergewicht, die einzigen, die Klitschko eventuell hätten Paroli bieten können.

Dass dies nicht geschah, ist die Schuld vieler – nicht jedoch der Klitschkos. Die ewig gestrige Behauptung, Klitschko wäre in einer Generation mit Boxern wie Ali, Frazier oder Tyson untergegangen, mag an Box-Stammtischen vielleicht für viel Zustimmung sorgen, sinnlos bleibt sie aber dennoch.

Wie der Ukrainer gegen die Hall-of-Famer vergangener Tage abgeschnitten hätte – wir werden es niemals erfahren.

Der verklärte Blick in die Vergangenheit

Fakt ist: Wladimir Klitschko kann nur jenen Boxern gegenübertreten, welche heute aktiv sind…

So lange also die Klitschko-Kritiker nicht im Stande sind, den Ukrainer wie Marty McFly mittels Fluxkompensator ins Jahr 1955 zu senden und ihn gegen Rocky Marciano in den Ring zu beamen – so lange wird man in der Gegenwart bleiben müssen…

Der Blick in die Vergangenheit jedenfalls verklärt ohnehin. Rocky Marciano stand in seiner gesamten Karriere gerade einmal zwei ungeschlagenen Gegnern gegenüber, Joe Louis kämpfte gegen drei, Muhammad Ali gegen sechs und Mike Tyson nahm es immerhin mit derer sieben auf. Mit Tyson Fury bekommt Klitschko hingegen schon seinen 13. ungeschlagenen Herausforderer vor die Fäuste – und seine Karriere ist noch nicht vorbei.

Man hört sie schon wieder, die Stammtischler und Klitschko-Kritiker: „Aber das waren doch ganz andere Zeiten, das kann man doch nicht vergleichen……!!!!!“

Eben…….

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